Der Weg ist das Spiel

Mit "Saw II: Flesh & Blood" schreibt sich das beliebte Franchise weiter fort ohne dem Motiv etwas hinzuzufügen

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2009 war bereits das erste Videospiel zur Saw-Filmreihe erschienen. Das bis dahin lediglich durch kleine Online-Games und Filmsequels erweiterte paratextuelle Universum über den Serienmörder, der seine Opfer in lebensgefährliche Spiele verstrickt, hatte damit ein neues Medium besiedelt ohne dadurch seine Erzählverfahren grundsätzlich ändern zu müssen. Saw II: Flesh & Blood erscheint nun als Fortsetzung des ersten Spiels und narratives Scharnier zwischen zweitem und drittem Film und hat abermals kaum etwas Neues zu bieten.

Wobei der Vorwurf zunächst schärfer klingt, als er angesichts des Stoffes überhaupt sein kann. Denn das Prinzip des mediatisierten Serienkillernarrativs liegt ja vor allem nicht in der Originalität, sondern in der Wiederholung, die sozusagen auf der medialen Oberfläche wiederholt, wovon ihre Erzählung berichtet: von der Wiederkehr des Immer gleichen. Die Taten eines Serienmörders sind ein sich ständig wiederholender kultureller Albtraum - und wie in einem fremdbestimmten Traum wird der Protagonist auch durch die Serienmord-Erzählung geführt, ohne dass er grundsätzlich bestimmen kann, welchen Verlauf diese nimmt.

Vorgriffe und Rückgriffe

Im ersten Spiel übernahm man die Rolle des Polizisten David Tapp, der von Jigsaw in das aus den Filmen bekannte Labyrinth aus Trickfallen und "Minispielen" versetzt wurde, aus dem er nicht nur herauszufinden, sondern dabei auch noch wichtige Lektionen fürs Leben zu lernen hatte. Im Sequel spielt man nun der Rolle dessen Sohnes Michael, der erfahren muss, dass sich sein Vater umgebracht hat und nun herauszufinden versucht, warum. Zunächst erscheint es so, als sei Michael allein für den Suizid verantwortlich. Im Verlauf des Spiels "erarbeitet" man sich jedoch immer mehr Hinweise, die auf eine Verschwörung und Korruption innerhalb der Polizei hindeuten, welcher David Tapp auf der Spur war.

Zu Beginn spielt man jedoch in der Rolle einer Figur namens Campbell - eines Drogenabhängigen, dessen Sohn von Jigsaw und dessen Gehilfen Pigface entführt wurde -, der aus dem Alptraumlabyrinth flüchtend ebenfalls wieder lernen soll das Leben zu lieben. Am Ende des ersten Levels trifft Campbell auf einen anderen Gefangenen Jigsaws: Michael. Mit diesem spielt man dann in einer Art "Rückblende" weiter und erst am Ende des Spiels treffen beide Figuren in der Gegenwart des Spielbeginns wieder aufeinander.

Narrative Einbahnstraße

Das Spielprinzip von Saw II: Flesh & Blood liefert - wie eingangs geschrieben - nichts wesentlich Neues: Die Odyssee des Helden besteht aus einer Kette aneinander gereihter Rätsel und Minispiele, die auf die Reaktionsschnelle, die Geschicklichkeit (im Umgang mit dem Controller), die Kombinationsfähigkeit bei Dreh-, Schieb- und Steckspielchen und selten auf die freie Wahl der Aktion in der Begegnung mit einem Widersacher beruhen: Ganz am Ende, wenn man den Schüssen anderer im Labyrinth befindlicher Gegner ausweichen muss, verlässt das Spiel die vorgefertigten Pfade und bietet dem Spieler zumindest augenscheinlich die freie Wahl wie die Situation zu meistern ist. Dass die Erzählung von Saw II: Flesh & Blood ans Ende angelangt, dann mehrere alternative Schlüsse anbietet, ist allerdings weniger eine Konsequenz solcher vorherigen Spielerhandlungen als ein zusätzlicher Beleg für die "konstruierte Dichte" des Saw-Universums.

Dieses - so könnte man sagen - offenbart nämlich das Grundprinzip aller Videospiele (ja aller Regelspiele überhaupt) als Personifikation: Jigsaw ist derjenige, der in den Filmen wie in den Spielen die Geschicke und Geschichte seiner Gefangenen lenkt. Man hat stets nur eine (also keine) Wahl: seinen Vorgaben und Wegen zu folgen. Eine Abweichung führt entweder nirgendwohin oder in eine tödliche Falle. In Saw II: Flesh & Blood wird dieses Prinzip an etlichen Stellen regelrecht "sichtbar" - etwa bei den Puzzle-Pfaden, bei denen man über Monitore zu gehen hat, welche Symbole zeigen, die man sich vorher in der richtigen, d.h. von Jigsaw vorgegebenen Reihenfolge zu merken hat. Diese narrativen Vorschriften zeigen sich sogar in den actionbetonten Spielhandlungen, in denen man etwa genau zum richtigen Zeitpunkt die richtige Taste zu drücken hat, um einem Gegner auszuweichen oder ihn niederzustrecken.

Erzähl mir meine Welt

Das Universum von Saw ist damit natürlich ein hochgradig determiniertes und man kann sich zu Recht fragen, ob diese Sichtbarmachung des sowieso vom Programmcode vorgegebenen Spielpfades nicht einiges von der Freiheitsillusion raubt, die man beim Medienübergang vom (scheinbar) passiven Filmerleben zum (scheinbar) aktiven Spielerlebnis gewonnen zu habe glaubt. Dass sich das Spielgeschehen selbst zu einer vorher bestimmten Erzählung zusammenfügen muss, wird schon durch das Einsammeln der "Case Files" und Audiokassetten, in denen der Tod David Tapps aufgeklärt wird, deutlich. So beschleicht den Spieler bereits nach wenigen Spielminuten das Gefühl, lediglich den Erzählpfad auf ein vorher bestimmtes Spielende abzuschreiten - nicht gerade die beste Motivation um ein Videospiel durchzuspielen.

Je weniger Originalität allerdings die Spielerzählung zu bieten hat, desto mehr Konzentration kann man auf das Spielambiente richten. Da wären zum einen natürlich die Settings: die aus den Filmen wie dem Vorgängerspiel schon bekannten halb zerstörten Gebäude, deren Aussehen von Wasser, Dreck, Ungeziefer und Rost geprägt ist. Eine düstere, durch den dräuenden Soundtrack perfekt unterstrichene, unheimliche Atmosphäre, in der Jigsaw seine Trickfallen und Tests aufgebaut hat. In diesen liegt der andere Reiz des Spiels: Was hat man sich selbst bzw. der Spielfigur anzutun, um voranzukommen?

Das aus den Slasher-Filmen der 1980er-Jahre bekannte "creative killing"-Konzept wird im Saw-Universum zu einem zynischen "creative self-multialtion": angefangen beim Herausschneiden eines Schlüssels aus der eigenen Haut, womit eine weitaus größere Verwundung verhindert werden soll, bis hin zum bereits aus Saw II bekannten Griff in ein Bassin voller benutzter Spritzen, um ebenfalls an einen Schlüssel zu gelangen. Das Spiel enthält zahlreiche derartige Situationen, was diese dann schon beinahe beliebig wirken lässt (ganz anders als in Link auf http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32134/1.html, wo so etwas dramaturgisch perfekt eingesetzt, seinen Effekt zu keiner Zeit verfehlt.)

Und die Moral von der Geschicht'?

Erzählerisch verfolgt dies alles das aus den Filmen übernommene Konzept, eine "Lektion zu lernen". Gelernt werden soll der Wert des Lebens (durch Mord), Demut (durch Erniedrigung), Moralität (durch stures Regelbefolgen), Mitgefühl (durch Zynismus) usw. ... alles auf Basis einer Didaktik von Schmerz und Qual. Dass diese Pädagogik Jigsaws eine schwarze ist, ist ohnehin klar. Darauf basiert das Franchise.

Wie allerdings die Gegner und Opfer, die einem von ihm in den Weg gestellt werden, motiviert sind, scheint zeitkulturell variabel. In Saw II: Flesh & Blood hat man beispielsweise einen Mann aus einer Vorrichtung zu befreien, die ihm die Hände abzutrennen droht. Gelingt dies, hat der Gerettete dennoch so starke Verletzungen an den Unterarmen, dass er seine Hände wohl kaum wieder benutzen kann. Macht aber nix, klärt einen Jigsaw in einer seiner zahllosen Videobotschaften auf, er habe sie zuvor sowieso nur dazu benutzt, kleine Mädchen anzugrapschen. "Tatort: Videospiel" ...

Und auch mit der übrigen Gewalt geht das Spiel nicht gerade zimperlich um. Waren Spielserien wie Manhunt und Condemned hierzulande gerade aufgrund ihrer als selbstverständlich und fremdbestimmten Gewalthandlungen gerichtlich verboten worden, so deuten eigentlich genau die selben Darstellungen und Motivationen in Saw II: Flesh & Blood auf ein sich stetig wandelndes Selbstverständnis im Umgang mit individueller Gewalt und ihrer moralischen Begründbarkeit hin.

Dass man sich hier wie etwa schon in Manhunt von der Glasscherbe bis zum Stacheldraht-umwickelten Baseballschläger "hocharbeiten" muss, ist nur ein Hinweis darauf. Letztlich sind es aber auch genau diese Darstellungen, verbunden mit der Frage, welche Grausamkeiten sich Jigsaw wohl als nächstes ausgedacht haben könnte, auf denen der Reiz der Spiele und Filme beruht. Wer dies immer wieder aufs Neue herausfinden und dabei den Eindruck gewinnen möchte, er halte das Heft der Erzählung als Videospieler selbst in der Hand, wird in Saw II: Flesh & Blood sicherlich das geeignete Spiel vorfinden.

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