Der doppelte Obama

In Europa herrscht Erleichterung über den Ausgang der Vorwahlen in den USA. Doch ein böses Erwachen könnte folgen

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Mit den Vorwahlkämpfen in den USA ist das wohl nervigste Medienereignis seit Beginn des Irak-Kriegs zu Ende gegangen. Die Republikaner haben sich auf den Hardliner John McCain geeinigt. Am Dienstag nun erreichte der Kandidat der Demokraten, Barack Obama, die für eine Entscheidung notwendige Zahl von 2118 Delegierten seiner Partei. Seine Herausforderin Hillary Clinton hat ihre Niederlage eingestanden und scheint einen Posten als Vizepräsidentin nicht anzustreben. Damit ist endlich Schluss mit den fast täglichen Meldungen über peinliche Versprecher, vermeintliche Skandalenthüllungen und spontane Tränenausbrüche. Barack Obama ist der Favorit für die Wahlen am 4. November. Aber wer ist er?

Als ein "Ein-Mann-Schmelztiegel" hatte Obama sich während seiner Wahlkampagne bezeichnet. Er lieferte damit eine recht treffende Beschreibung seiner Biografie. Am 4. August 1961 in Honolulu auf Hawaii geboren wuchs der Sohn eines Kenianischen Einwanderers und einer US-Amerikanerin aus Kansas in Indonesien und den USA auf. Barack Obama studierte Jura an der Harvard Law School und spezialisierte sich später auf Bürgerrechte. Er vereinigt damit in seinem persönlichen und beruflichen Werdegang Erfahrungen von Basis und Elite der US-Gesellschaft. "Mein Name stammt aus Kenia", sagte er selbst während der Wahlkampagne, "mein Akzent aus Kansas."

Der Erfolg Barack Obamas bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei hat nun vor allem in Europa große Hoffnungen ausgelöst. Seit Beginn des Irak-Krieges ist das Verhältnis schwer belastet. Nur wenigen ist klar, dass eine Annäherung an den Sympathieträger Obama fast zwangsläufig eine Einbindung der EU-Armeen in die laufenden (und noch bevorstehenden) Kriegszüge Washingtons bedeuten wird.

Rascher Schwenk Obamas: "Gefahr aus dem Iran eliminieren"

Zugegeben: Beim Blick auf das Wahlprogramm finden sich wenig Belege für diesen Rückschluss. Obama versprach landauf, landab eine soziale Reform des Wirtschaftssystems. Die US-amerikanische Binnenwirtschaft müsse an das digitale Zeitalter angepasst und die Abhängigkeit von Erdölimporten vermindert werden. Gehe es nach ihm, würde die Regierung in Washington wieder stärker in das Bildungs- und Gesundheitssystem investieren, dessen Abbau die noch amtierende Bush-Führung aktiv betrieben hat. Armut würde ebenso wie der Terrorismus bekämpft. Und vor allem: Als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werde er, Barack Obama, den Irak-Krieg beenden.

Dieses letzte Versprechen polarisierte. Während der Republikaner McCain, ein 71-jähriger Kriegsveteran, unverhohlen auf einen militärischen Sieg im Zweistromland setzte, brachte Obama eine Exit-Strategie ins Gespräch. Zugleich erklärte er, mit tatsächlichen oder gefühlten Gegnern der USA - Iran, Syrien, Kuba und Venezuela - in Verhandlungen zu treten. Als der Afroamerikaner in einer Chat-Debatte gefragt wurde, ob er zu solchen Gesprächen auch ohne Vorbedingungen bereit wäre, war seine Antwort denkbar simpel: "Ja." Während ihm die Outsider-Rolle zunächst notwendige Medienaufmerksamkeit sicherte, wurde sie in den letzten Wochen zu seinem größten Ballast. Das Image eines zu nachgiebigen Politikers könnte Obama noch immer den Weg an die Spitze der Krieg führenden USA verbauen.

Nur kurz nach seiner Nominierung kam der Schwenk. Obama und Clinton traten am Mittwoch auf dem Kongress der mächtigen Lobbygruppe American Israel Public Affairs Commitee (AIPAC) auf. Im Zentrum aller Reden stand der Iran. Und plötzlich sagte der Kandidat vor über 7000 Delegierten:

Die Gefahr aus dem Iran ist realistisch, und mein Ziel wird es sein, diese Gefahr zu eliminieren. (…) Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um nukleare Waffen im Iran zu verhindern.

Barack Obama vor dem AIPAC

Für Beobachter des Wahlkampfes war es eine durchaus nachvollziehbare Erklärung. Denn gegen Obama spricht nicht nur das Image des Softliners. Der Schulterschluss mit der pro-israelischen Lobby in den USA war auch wegen des Misstrauens zwischen der jüdischen und afroamerikanischen Gemeinde in den USA nötig. "Die Bande zwischen Israel und den Vereinigten Staaten sind unzertrennlich - heute, morgen und für immer", sprach Obama in der Hoffnung, diese Vorurteile auszuräumen.

Neue US-Nähe könnte in den Irak führen

Dass diese Töne in Europa aufmerksam verfolgt werden sollten, wurde auf einer Veranstaltung am Mittwoch in Berlin klar. Pünktlich zum Ende des Vorwahlkampfs der US-Demokraten trafen sich auf Einladung der SPD-nahen Friedlich-Ebert-Stiftung US-amerikanische mit deutschen Politikern und Analysten. Michael Signer vom US-Think-Tank Center for American Progress machte die Positionen Obamas schnell deutlich: Er sei pragmatisch und er mache im Gegensatz zu John McCain klare Ansagen. So habe sich der Kandidat der Demokraten unmissverständlich gegen Wahlen im Gaza-Streifen gewandt, "weil das keine Lösung bringen würde". Die Hamas kontrolliert diesen westlichen Teil des Palästinenser-Gebiets und hat seit Anfang 2006 die absolute Mehrheit im Palästinensischen Legislativrat inne. Signer, der den früh ausgeschiedenen Kandidaten der Demokraten John Edwards beriet, machte zudem die Notwendigkeit einer Exit-Strategie in Irak deutlich. Es gehe mehr darum, Teheran Einhalt zu gebieten.

Amr Hamzawy vom Washingtoner Carnegie Endowment für International Peace teilte die Einschätzung. Angesichts des Scheiterns der US-Politik im Nahen- und Mittleren Osten habe sich eine "aktive regionale Diplomatie" entwickelt. Einer künftigen US-Führung müsse es darum gehen, diese Partner einzubinden. "Wenn wir Krisen lösen wollen, dann dürfen wir niemanden ausschließen", so Hamzawy. Es ginge im Kern um die "Rehabilitierung der Demokratieförderung", die im Verständnis der Zielstaaten von der Drohung eines Regimewechsels abgekoppelt werden müsse. Es lag auf der Berliner Veranstaltung an dem SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich, das Resümee aus dem Gesagten zu ziehen: Deutschland werde sich unter einem Präsidenten Obama auf ein Engagement in Irak einstellen müssen. Das wird der Preis für die gewünschte Annäherung an Washington sein.

Das war ehrlich. Und es ließ vermuten, dass sich manch ein europäischer Politiker dann rückwirkend einen Sieg der Republikaner wünschen wird.