Der eigentliche, wahre Islam

Teil III: Al-Qaida ist eine fundamentalistische Bewegung, aber sie versteht sich auch als Avantgarde und nutzt neue Technologien und Medien

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Peace to Hamas and the Hizbollah
OBL [bin-Laden] pulled me like a shiny star
Like the way we destroyed them two towers ha-ha
The minister Tony Blair, there my dirty Kuffar
The one Mr Bush, there my dirty Kuffar...
Throw them on the fire ....

Das ist ein kurzer Auszug aus den "lyrics" von "Dirty Kuffar" (schmutziger Un-gläubiger), einem Rapsong von "Sheik Terra and his Salah (Glaubens) Crew", der seit wenigen Monaten als Videoclip in Londons Moscheen kursiert. Die Images des Videos sind mehr als eindeutig: Ein US-Marine erschießt einen am Boden liegenden, verwundeten Iraki, Scharon hat einen Schweinekopf, Powell und Rice sind "Sklaven", ein tschetschenischer Moslem-Kämpfer durchlöchert einen russischen Soldaten. "Kill the Zionazis" oder "Death to the Crusaders" laufen als Slogan über den Bildschirm.

Zu sehen war das Video auf der Website von Mohammed Massari, einem radikalen Moslem aus Saudi-Arabien, der in Großbritannien im Asyl lebt. "Ich habe das Video von einem meiner Schüler bekommen", sagte Massari zur Presse. "Er hat es von der Regent Park Moschee. Jemand hat es ihm an der Tür gegeben, aber das Video muss wohl überall erhältlich sein". Wer glaubte, dass sich moderne Unterhaltungsmusik und Ideen von al-Qaida nicht vertragen, ist nun eines Besseren belehrt.

Al-Qaida ist sicherlich eine "fundamentalistische Bewegung", die ein puritanisches Paradies als Ideal glorifiziert ("salafi"). Nach dem Propheten Mohammed, so glaubt man, habe niemand mehr den Islam richtig verstanden. Um ein gerechtes, sinnvolles Leben zu finden, müsse man unbedingt zu dieser idealen und perfekten Gesellschaft zur Zeit Mohammeds zurückkehren. Es ist eine Gesellschaft, die vollkommen auf der "Scharia und den Lebensprinzipien des Propheten" basiert. Alles andre ist indiskutabel, weil es nicht dem "rechten, ursprünglichen Islam" entspricht.

Anhänger dieser Bewegung, die besonders in den Golf-Staaten verbreitet ist, verstehen als Einzige den "eigentlichen, wahren Islam". Al-Qaida ist entsprechend dieses Elitegedankens, den man bei allen modernen Ideologien findet, die kämpferische Avantgarde, die dem Ideal den Weg bereitet. Die Gläubigen müssen aufgerüttelt, mobilisiert und im Kampf für das Gute und Wahre vereint werden. Parallelen zu linken Gruppierungen, wie der deutschen RAF, die sich auch als "Avantgarde im Befreiungskampf" verstanden hat, sind offensichtlich.

Es gibt nur Gläubige und Ungläubige

Wie man aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts weiß, führt dieses "Elitedenken" stets in die Barbarei. Die höheren Ziele haben Vorrang vor der Menschlichkeit. Gerade an diesem Missverhältnis waren alle marxistisch orientierten Experimente von Beginn an zum Scheitern verurteilt und verursachten Millionen von Toten.

Bei al-Qaida heißt die "dehumanisierende Dichotomie" nicht "Arbeiterklasse und Bourgeoise", sondern "Gläubige und Ungläubige". Zivilisten, die laut Koran im Krieg eigentlich verschont werden müssten, gibt es nicht mehr. Alle sind Soldaten. Al-Qaida treibt die "Kollektivschuld" auf die Spitze. Wer nicht mit uns, für eine "gerechte, ur-islamische Gesellschaft" ist und gegen die Unterdrücker dieser Welt kämpft, muss mit dem Tod rechnen. Die Attentate in Kerbala bei den Ashoura-Feierlichkeiten im Irak haben gezeigt, dass von diesem Dogma selbst nicht Muslime verschont werden, die den USA kritisch, aber eben nicht kritisch genug gegenüberstehen. Aber ohnehin kommen Schiiten für die gerechte Gesellschaft nicht in Frage. Ihr religiös-politisches Handlungskonzept ist zu pragmatisch. Schiiten warten auf die Rückkehr des verschwunden "Mahdi", der eine "neue Welt" einläuten wird.

Technik ist für al-Qaida etwas sehr Positives, solange sie richtig angewandt und islamischen Prinzipien gemäß kontrolliert wird. Ganz im Gegensatz zu den Taliban, die neue Technologie, Musik oder Internet aus dem Leben verbannten. Al-Qaida verbindet auf ihre Weise Tradition und Moderne. Satellitentelefone sind eine Selbstverständlichkeit. Im Internet kann man auf unzähligen Seiten die "al-Qaida-Message" finden. Es werden Videos, Kassetten, CDs produziert, T-Shirts gedruckt oder bin Laden Images fürs Mobile-Display verschickt. In manchen Ländern, wie in Pakistan, ist bin Laden ein "Counter-Culture-Symbol". In diesem Sinne trugen wohl auch die Hells Angels von Stockholm T-Shirts mit einem Konterfei von bin Laden, wenn auch in einem ganz anderen Kontext.

In der Vergangenheit konnte man meinen, al-Qaida habe einen oder mehrere PR-Mananger. Mehrfach meldete sich ein tot oder schwer verwundet geglaubter bin Laden mit einem Video oder Audiotape, ganz im Stile der Dementis und Statements der modernen Kommunikationsgesellschaft. Während des Afghanistan-Kriegs und der Eroberung des Iraks war al-Dschasira von den USA wegen der Ausstrahlung von bin Ladens Botschaften schwer verurteilt und die Büros des TV-Senders waren bombardiert und beschossen worden. Heute stürzt sich der amerikanische CNN auf jedes Audiotape von al-Qaida. Unter "Breaking News" interpretieren und entschlüsseln arabisch sprechende Experten. Mitunter werden auch schon mal Übersetzungen von al-Qaida mitgeliefert. Die PR von al-Qaida ist präsenter und effektiver wie nie.

Der kämpferische Islam wird zu einem Vehikel der Selbstverwirklichung

Via Medien sind die Toten in New York, Bali, Istanbul, Kerbala oder in Madrid weit, weit entfernt. Niemand kann mediale Abstraktionen emotional nachvollziehen, höchstens rational differenzieren. Aber wer macht das schon, besonders, wenn es der eigenen Gefühlslage widerspricht. "Was im Westen vom Großteil der Menschen als terroristische Aktionen gesehen wirs", sagt Nizar Hamzeh, Experte in Sachen Islamischer Widerstand an der Amerikanischen Universität in Beirut, "wird in der muslim-arabischen Welt nicht so verstanden. Viele sympathisieren mit al-Qaida". Hintergrund sei ein Gefühl der Unterlegenheit. Die muslim-arabische Welt sehe sich als Opfer einer kulturellen Invasion des Westens, die alle traditionellen Werte nivellieren würde. "Hinzu kommen natürlich die zahllosen militärischen Niederlagen", so Nizar Hamzeh weiter, "die der Islam nach den ruhmreichen Eroberungen in der ganzen Welt erlitten hat." Für die Gegenwart seien aber die Niederlagen durch Israel 1948, 1967 und 1973 besonders bedeutsam. "Da hat sich etwas aufgestaut, das nach Ausgleich sucht."

Vergessen dürfe man auch nicht, dass kein auch nur annäherndes sozio-ökonomisches Gleichgewicht existiere. "20 % der Menschen verbrauchen 80 % der natürlichen Ressourcen. Das sorgt für Unzufriedenheit mit den Regimes, von denen die meisten diktatorisch und korrupt sind. Radikale Islamisten sprechen Staaten wie Saudi-Arabien keinerlei Legitimität zu".

Für viele Jungendliche in arabischen Ländern, ohne Ausbildung, ohne Job, ohne positive Zukunft, ist der "bewaffnete Kampf" gegen den Westen und gegen die illegitimen Könige und Präsidenten der eigenen Region eine Genugtuung. Ein symbolischer Ausgleich für die eigenen Frustrationen. Der kämpferische Islam wird zu einem Vehikel der Selbstverwirklichung und der Identitätsbildung. Die vorher trostlose Welt bekommt wieder Sinn, man ist aktiver Teil einer "Veränderungsbewegung". Kolonialismus, Imperialismus und nun der Angriff auf den Islam ist dabei der tragende, rote Faden.

Osama bin Laden arbeitet geschickt mit religiösen semantischen Überlagerungen, die von jedem Moslem emotional leicht verstanden werden. Das Bildmaterial, das man von ihm kennt, stellt ihn als den Sohn in der Wüste dar, mit Familie, Freunden, Kampfgenossen, auf der Jagd oder bei Schießübungen, als einen, der der ausgezogen ist in den Kampf gegen die Korruption der Städte. Er will den Arabern nach Jahrhunderten endlich wieder einen Sieg gegen die "Kreuzfahrer" schenken.

Al-Quds und Palästina müssen erneut von den Ungläubigen (wie im 13. Jahrhundert) befreit werden. Unterstützung ist von den scheinheiligen Golf-Regimes nicht zu erwarten. Es ist also die Pflicht der "Globalen Islamistischen Kampffront gegen Juden und Kreuzritter" die historische Aufgabe alleine in die Hand zu nehmen. Und der Sieg ist den Dschihad-Kämpfern gewiss: "Wenn Gott euch beisteht, kann niemand euch überwinden" (Koran, Sure 3, 160)