Der kanadische Ölsand-Komplex

Teil 2

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Syncrude Sweet Blend: Umweltschäden und Energiesicherheit

In der kürzlich erschienenen Studie Under-Mining the Environment zu den Umweltauswirkungen von Ölsand-Förderungen kamen der World Wildlife Fund und das Pembina Institute zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass diese Aktivitäten nicht besonders zuträglich für die Umwelt sind. Zehn Unternehmen, von denen sieben noch nicht mit der Förderung begonnen haben, wurden anhand von 20 verschiedenen Umwelt-Indikatoren in fünf Kategorien nach ihrem Verschmutzungspotential von Boden, Luft und Wasser sowie hinsichtlich ihrer Treibhausgas-Emissionen und dem Umweltmanagement bewertet. Am schlechtesten schnitten Syncrude und Synenco Northern Lights ab. Bei Syncrude, einem Joint Venture verschiedener Unternehmen wie Canadian Oil Sands Limited, Imperial Oil, Petro-Canada, Nexen und ConocoPhillips, wurde der Bericht umgehend abgelehnt: im größten Ölsand-Tagebau der Welt betrachtet man sich als führend in Sachen Nachhaltigkeit.

Bild: David Dodge, The Pembina Institute)

Grüngewaschenes Idyll mit Waldbüffeln

Die bergbauliche Extraktion des Ölsands hat Moore und boreale Nadelwälder im Großmaßstab verschwinden lassen. Nach mehr als 40 Jahren Ölsand-Förderung gibt es keinen einzigen Hektar ehemaliger Abbaufläche, der nach den Richtlinien der Provinzregierung von Alberta als rekultiviert zu bezeichnen wäre. Nur Syncrude, eins der ältesten und größten Mega-Projekte im Ölsand, versucht gegenwärtig, 106 Hektar eines ehemaligen Moorgeländes als wieder nutzbar gemacht zertifizieren zu lassen.

Suncor hat nach eigenem Bekunden eine Fläche im Crane Lake-Gebiet als Feuchtgebiet rekultiviert, mittlerweile hätten sich dort mehr als 150 Vogelarten angesiedelt, nach Unternehmensangaben unter anderem der „beeindruckende Kanadakranich“. Syncrude hat ein Gebiet am Wood Bison Trail verschönt – heute grast dort eine Herde Waldbisons, gleich in der Nähe des Syncrude-Geländes.

Keins der Unternehmen hat bisher Anstrengungen unternommen, um die Wasserentnahme aus dem Athabasca River zu reduzieren. Die Ölsand-Tagebaue dürfen im Jahr 359 Millionen Kubikmeter aus dem Athabasca River abzweigen – mehr als das Doppelte des städtischen Wasserbedarfs von Calgary.

Fort Chipewyan: Öliger Schaum auf dem Trinkwasser

Weiter stromabwärts, in Fort Chipewyan, einem alten Handelsposten am Lake Athabasca, vermuten die meist indianischen Einwohner seit geraumer Zeit einen Zusammenhang zwischen dem gehäuften Auftreten seltener Arten von Krebs in der Bevölkerung und der Ölsand-Förderung- und Aufbereitung. Die Siedlung liegt 260 km nördlich von Fort McMurray, dem Zentrum der kanadischen Ölsand-Operationen, wo verschiedene Unternehmen die größten bekannten Ölvorkommen außerhalb des Nahen Ostens abbauen und während des Prozesses verschiedene Schadstoffe freisetzen.

Suncor Upgrader am Athabasca River Bild: Chris Evans, The Pembina Institute

Eine im November 2007 veröffentlichte Studie zu Wasser und Sedimenten im Peace-Athabasca-Delta erklärte zwar das Trinkwasser vor Ort für unbedenklich, berichtete jedoch von hohen Gehalten an Arsen, Quecksilber und polycyclischen Aromaten in Fisch, von dem sich die Dorfeinwohner zu einem Grossteil ernähren. Von der Provinzregierung in Auftrag gegebene Studien weisen gesundheitliche Bedenken von der Hand. Die Einwohner von Fort Chipewyan berichteten jedoch von öligem Schaum auf ihrem Trinkwasser – sie wollen ein Moratorium des weiteren Ausbaus der Ölsand-Förderung. Um die Gründe und das wahre Ausmaß zu bestimmen, befürworten Wissenschaftler weitere Studien vor Ort. Das, was bereits gefunden wurde, ist in ihren Augen Besorgnis erregend genug – schon machen Vergleiche mit der "Exxon Valdez"-Katastrophe von 1989 die Runde. Damals ergossen sich 40 Millionen Liter Rohöl in den Prince William Sound vor der Küste von Südost-Alaska und verheerten 2000 km Küstenlinie.

Bild: Nebenprodukt Schwefel, Syncrude Upgrader. Bild: David Dodge, The Pembina Institute

Ein Hund namens “Kyoto”

Eine Grundaussage der Pembina-Studie: das Vertrauen der Provinzregierung Albertas in freiwillige Maßnahmen zum Schutze von Boden, Luft und Wasser seitens der Industrie hat sich als ungerechtfertigt erwiesen. Die Regierung solle nun annehmbare Standards erzwingen und diese ständig verbessern. Kritisiert wird die Widerwilligkeit der Regierung, umweltbezogene Informationen öffentlich zugänglich zu machen.

Die Studie richtet sich auch an Investoren, die sich angesichts zu erwartender neuer Gesetzgebungen mit Haftungen auseinandersetzen müssen.

Stéphane Dion, Chef der Liberalen Partei Kanadas und ehemaliger kanadischer Umweltminister, der in seiner Amtszeit keinen Hehl aus seiner Begeisterung für Ölsand aus Alberta machte und dessen Familien-Husky „Kyoto“ heißt (eine Art Dauerwitz unter kanadischen Umweltministern):

"Kein Umweltminister der Welt kann verhindern, dass das Öl aus dem Sand kommt, dafür ist viel zuviel Geld im Spiel. Aber wir müssen peinlich genau auf die Umweltverträglichkeit achten.“

Absetzbecken von Syncrude. Der „Syncrude Tailings-Damm“ gilt hinsichtlich des Dammvolumens als größter Damm der Welt. Zur Extraktion von einem Barrel Öl werden zwischen zwei und vier Barrel Wasser verwendet. Nicht wieder verwendete Abwässer werden in den riesigen Rückhaltebecken als Giftmüll gesammelt, der aufgespülte Minenabraum soll sich im Laufe der Zeit absetzen.Propankanonen und Vogelscheuchen sollen Vögel von den verseuchten Wasserflächen fernhalten. Was aus diesen Teichen werden soll, wenn sich Syncrude eines Tages zurückzieht, weiß niemand. Syncrude und Suncor arbeiten unterdessen an einem Verfahren, in dem der Abraum mit Gips oder Kalkstein zu einer inerten Füllmasse verarbeitet wird und das damit das Absetzen mit Wasser hinfällig machen soll. Bild: Google earth

Die Syncrude-Anlage am Mildred Lake gilt als größter einzelner Treibhausgas-Emittent Kanadas. Trotz rückläufiger CO2-Emissionen pro produziertem Barrel Öl ist Syncrude unter den sechs größten kanadischen CO2-Emittenten zu finden. Und mehr noch: das prognostizierte Wachstum im Ölsand-Geschäft droht die im Rahmen des Kioto-Protokolls eingegangenen Verpflichtungen des Landes zu bloßer Makulatur verkommen zu lassen.

Tankstelle für die Festung Amerika

George W. Bush machte mit seinem Amtsantritt zu Beginn 2001 die Bewältigung der Energiekrise der U.S.A. zu seiner Hauptaufgabe. Die Verquickung von Mitgliedern der US-Regierung mit dem Ölgeschäft ist nur ein Ausdruck dessen. Seit in den U.S.A. Energiesicherheit synonym ist mit „homeland security“ und die politischen Unruhen in der Welt zunehmen, gewinnen stabile Öllieferanten an Bedeutung – immerhin sind in den U.S.A. 5% der Weltbevölkerung zu 25% am weltweiten Ölverbrauch beteiligt. Athabasca-Ölsand– längst gilt er den US-Amerikanern als Angelegenheit einer langfristigen Energie- bzw. nationalen Sicherheit, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Kriegsverlaufs im Irak. Ermöglicht wird das auch durch die Bedingungen des kontinentalen Freihandels, die die Rolle Kanadas als Satellit der Vereinigten Staaten festgeschrieben haben. Mit dem Ziel der “vollständigen Integration der Energiemärkte“ erhöhen die US-Amerikaner ständig den Druck auf den Nachbarn, wie Hugh McCullum in der Studie Fuelling Fortress America beschreibt.

Die Veränderungen kamen schleichend

In den 1970er bis Mitte der 1980er Jahre gab es in Kanada zwei Ölpreise – einen Binnenpreis und einen internationalen Preis. So blieben die Kanadier von den Preiserhöhungen der OPEC weitgehend verschont – bis die Mulroney-Regierung die Binnenpreis-Politik mit dem National Energy Program von 1985 abschaffte und Kanadas nationale Energiepolitik demontierte, indem sie die behördlichen Befugnisse des National Energy Board empfindlich beschnitt und US-amerikanischen Ölfirmen gestattete, im Land zu investieren. Die Regelung, nur Exporte zu erlauben, wenn eine für 25 Jahre ausreichende Öl- und Gasreserve vorhanden sei, wurde abgeschafft. Mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) von 1989 verschärfte sich die Situation: fortan war es den Kanadiern verboten, Öl- und Gasexporte Richtung U.S.A. mit Steuern oder anderen Beschränkungen zu belegen. Noch aus der Mitte der 1990er Jahre stammt die Festlegung zu den fälligen Förderabgaben: um Unternehmen anzulocken, hatte man sich auf einen Prozent der Einnahmen verständigt – bis zur Amortisierung sämtlicher Kapitalkosten. Der im NAFTA-Vertrag verankerte Artikel 605 („proportional sharing clause“) verbietet Kanada des Weiteren, seine Energieexporte zu reduzieren – es sei denn, das Land drosselt seinen eigenen Verbrauch um den proportionalen Betrag. Seit der Unterzeichnung von NAFTA haben sich Kanadas Öl- und Gasexporte in die Vereinigten Staaten nahezu verdoppelt. Im Frühjahr 2004 wurde Kanada für die U.S.A. zum größten ausländischen Öllieferanten, und im Dezember 2005 übertrafen die kanadischen Ölimporte die Importe aus dem Persischen Golf.

Kanada ist neben Norwegen das einzige Öl produzierende Mitgliedsland der Internationalen Energieagentur (IEA), das keine strategische Ölreserve hat. Die IEA verlangt von Nettoimport-Staaten die Vorratung einer Ölreserve, mit der ein eventueller Lieferausfall von bis zu 90 Tagen überbrückt werden kann. Nettoexporteure sind davon ausgenommen – die IEA hat keine Richtlinien für eine Export-Nation vorgesehen, die nicht über ihre eigenen Ressourcen befindet. Kanadas Energiepolitik ist nicht nur deshalb einzigartig. Verglichen mit dem mächtigen Nachbarn, stuft das Land seine Bedürfnisse und seine eigene Energiesicherheit als zweitrangig ein. Hauptsächlich der Osten Kanadas bleibt abhängig von Importen aus dem Mittleren Osten, während die US-Amerikaner mit kanadischem Öl dieser Abhängigkeit zu entgehen versuchen. Kritiker sind schockiert über das Ausmaß des Desinteresses und der Gedankenlosigkeit, dass an zuständiger Stelle gepflegt wird.

Pipeline-Fieber

Kanada exportiert 67 % seines Öls in die Vereinigten Staaten, während 40 % der kanadischen Bevölkerung von Offshore-Importen, vorwiegend aus dem Mittleren Osten, abhängig ist. Seit der Trudeau-Aera wurde in Kanada keine neue West-Ost-Ölpipeline mehr gebaut. Bis 1999 flossen täglich 250,000 Barrel aus dem Westen Kanadas durch die Montreal-Sarnia-Pipeline Richtung Montreal. Sie wurde seinerzeit als Reaktion auf die Instabilität des Ölmarktes gebaut. Seit 1999 fließt hier Öl in die entgegengesetzte Richtung: importiertes Offshore-Öl. Politik und Wirtschaft sorgten für die Richtungsumkehr. Im Falle einer Krise gibt es unterdessen nicht genügend Pipeline-Kapazitäten, um den Osten des Landes zu versorgen.

Anders sieht es in der Nord-Süd-Richtung aus. Fünf neue Pipelines sollen demnächst 78-80 % des kanadischen Öls in die Vereinigten Staaten transportieren. In diesem Frühjahr sollen die Arbeiten am Keystone Pipeline Project beginnen. Die 3456 Kilometer lange Versorgungsader soll US-Raffinerien in Wood River und Pakota, Illinois, und Cushing, Oklahoma, beliefern – mit täglich 590,000 Barrel. Im kanadischen Teil der Leitung sollen 864 Kilometer der bereits bestehenden Canadian Mainline-Gaspipeline auf Öltransport umgestellt werden. Ähnliche Entwicklungen sind auf dem Erdgassektor zu beobachten. Die Alliance-Pipeline liefert seit 2000 von British Columbia zur Verteilerstelle Chicago, während die Maritimes and Northwest-Pipeline seit 2001 kanadisches Offshore-Gas vor Nova Scotia unter anderem nach New England befördert.

Scotford Upgrader, in der Nähe von Fort Saskatchewan, Teilansicht. Shell Canada dehnt momentan seine Ölsand-Operationen sowohl bei Fort McMurray als auch nahe Edmonton unter dem Namen „Alberta Oil Sand Projects“ aus. Zu letzterem ist auch der Ausbau des Scotford Upgraders zu rechnen, der nach Fertigstellung 100,000 Barrel synthetisches Rohöl täglich liefern soll. Der Albian Sands-Tagebau ist nicht wie die Tagebaue von Suncor und Syncrude direkt mit einem Upgrader gekoppelt: mit Lösungsmitteln verdünntes Bitumen wird über eine Pipeline von der Muskeg River Mine ins 440 Kilometer südwestlich gelegene Scotford transportiert und dort veredelt. Bild: Google earth

Hyperion Resources aus Dallas planen mit demGorilla-Projekt den Bau einer 10 Milliarden US-Dollar teuren Ölraffinerie nördlich von Elk Point im US-Bundesstaat South Dakota. Das wäre der erste Neubau einer US-Raffinerie seit mehr als 30 Jahren. 400,000 Barrel kanadischen Öls pro Tag sollen dann hier veredelt werden. Wo es indessen herkommen soll, ist unklar – Hyperion und TransCanada haben beiderseits erklärt, dass ihre Vorhaben nichts miteinander zu tun haben; vielmehr seien die Keystone-Kapazitäten zum Grossteil verplant. Beobachter vermuten, dass Hyperion eine eigene Pipeline entlang der Keystone-Trasse plant.

Mittlerweile zeigen auch die Chinesen Interesse am kanadischen Ölsand: es gibt ein Projekt mit Syncrude, und eine Pipeline von Edmonton nach Price Rupert in British Columbia ist im Gespräch. Die Vorstöße der Chinesen sollten den Kanadiern eine Diversifizierung des Markts, mehr Investitionen und mehr Wettbewerb bescheren - die US-Amerikaner jedoch fühlen sich provoziert, denn man weiß: es ist nicht mehr genug Öl für zwei Supermächte vorrätig.

Kanadas eigene konventionelle Ölreserven schwinden

Die herkömmlichen Ölfelder von Alberta und Saskatchewan fördern eine Million Barrel täglich, die Ölplattformen im Atlantik weitere 500000 Barrel. Für 2015 wird erwartet, dass die Summe beider auf 600,000 Barrel täglich fällt. Ähnlich sieht es beim Erdgas aus, das eine Schlüsselstellung in der kanadischen Energieversorgung einnimmt. Die schwindenden Vorräte an konventionellen Energieträgern lassen die ungebremsten Exporte in die Vereinigten Staaten fragwürdig erscheinen, doch noch werden die Konsequenzen einer explosionsartigen Ausweitung der Ölsand-Förderung auf die eigenen Energiereserven nicht öffentlich diskutiert. Die kanadische Regierung hat mit dem Ausverkauf von Petro-Canada ihre Entscheidungsmacht aus der Hand gegeben, in den Ölfeldern Albertas haben längst andere das Sagen – wie Exxon Mobil, über die Tochter Imperial Oil. Kanada ist nun voll im nordamerikanischen Markt integriert.

Sauberkeitsbedenken zu Neujahr

In den Anfang des Jahres platzte schließlich eine schier unglaubliche Nachricht: Kanadisches Öl könnte zu schmutzig sein für die US-Regierung. Der im Dezember 2007 unterzeichnete Energy Independence and Security Act soll verhindern, dass US-Behörden Treibstoffe aus nichtkonventionellen Quellen nutzen, es sei denn, deren CO2-Emissionen bei der Gewinnung sind geringer oder vergleichbar mit denen aus konventionellem Öl. Die Flotten der Militär- und Postfahrzeuge gelten als die größten behördlichen Treibstoffverbraucher im Land.

Präsident George W. Bush bedrängte bei der gleichen Gelegenheit den Kongress, für Zugang zu den eigenen Ressourcen am äußeren Kontinentalschelf und im Arctic National Wildlife Refuge zu sorgen. Außerdem solle die gegenwärtige Kapazität der Strategischen Ölreserve verdoppelt werden. Die liegt derzeit bei 727 Millionen Barrel. Ähnliche Ansinnen anderer Länder, wie China und Indien, deren strategische Reserven viel kleiner sind, werden dagegen als Versuch gewertet, den knapper werdenden Rohstoff „zu horten“.

Weiterführende Literatur:

Jens Uwe Gerloff: Ölsande und Ölschiefer – Reserven des globalen Ölmarktes? Geographische Rundschau 1 (2008) 42-49.

Kenneth S. Deffeyes, Beyond Oil. The View From Hubberts Peak. Hill and Wang, New York (2005)