Der private (lange) Arm des amerikanischen Geheimdienstes

US-Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden holen sich die Daten, die sie selbst nicht sammeln dürfen, bei privaten Auskunfteien wie ChoicePoint, die im Dienste von Big Brother arbeiten

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Seit der letzten Meldung über kompromittierte Daten (Identitätsdiebstahl leichtgemacht) ist es um die amerikanische Auskunftei ChoicePoint ruhig geworden. Der "Datenklau" bei anderen Unternehmen wie Seisint (Erneut Datenklau bei den neuen Big Brothers der Privatwirtschaft) beschäftigte die Datenschützer, die Problematik des Nutzens großer Datenbanken seitens der Geheimdienste trat in den Hintergrund. Marc Rotenberg vom Electronic Privacy Information Center (EPIC) hatte schon im Februar eine gesetzliche Regelung für Auskunfteien gefordert, Jay Hoffnagle (ebenfalls EPIC) zog aber den falschen Schluss: "Wenn die Gesetzgeber erst das Ausmaß und die Genauigkeit der Daten bemerken, die Firmen (wie ChoicePoint) verkaufen, wird sie ihre (jetzige) Einstellung bedauern." Tatsächlich ist ein solches Bedauern nicht zu erwarten, wenn Geheimdienste und staatliche Behörden von dem Wissen der Privaten profitieren.

Choicepoint is the largest information broker in the United Stares. The company has amassed more than 19 billion records and has acquired a large number of smaller companies that obtain everything from criminal history records and insurance claims to DNA databases. The private sector and increasingly government rely on the data provided by Choicepoint to determine whether Americans get home loans, are hired for jobs, obtain insurance, pass background checks, and qualify for government contracts. Choicepoint has become the true invisible hand of the information economy. Its ability to determine the opportunities for American workers, consumers, and voters is without parallel.

Marc Rotenberg von EPIC

Dass insbesondere ChoicePoint durch den Patriot Act und durch Aufträge der Regierung (Matrix und der "Terrorquotient") gut verdient, ist bekannt. Wie weit aber die Zuliefertätigkeit der Auskunftei geht, zeigt sich jetzt erst an Hand der Dokumente, welche durch Anwendung des FOIA von National Journal und Government Executive erlangt werden konnten. In den exzessiv geschwärzten Vertragsunterlagen (Begründung: andernfalls würden zu viele sensible Daten bezüglich der Strafverfolgung offenbart werden) ist anfangs noch von einem exklusiven Datensuchsystem die Rede. Dieses gibt Geheimdiensten wie anderen staatlichen Behörden die Möglichkeit, den Privacy Act zu umgehen. Das Prinzip ist simpel: Während es den Behörden und Geheimdiensten verboten ist, sozusagen "aufs Geratewohl" alle möglichen Daten über (nicht nur) die Einwohner der USA zu sammeln, wenn keine explizite Begründung für die gesammelten Daten vorliegt, gibt es eine solche Regelung für den privaten Sektor nicht. Somit greift man auf die Privaten zurück und erhält die Daten, die man sonst nicht erhalten oder durchsuchen dürfte.

ChoicePoint ist, wie der Vertrag offenbart, zudem äußerst kooperativ. Anfangs übernahmen sie lediglich eine Suche für die Behörden, sie "reagierten" also nur auf Eingaben, indem sie gezielt Informationen herausgaben. Doch bereits 2003 wurde die Zusammenarbeit enger. ChoicePoint verkaufte unter anderem sein Auto Track an das FBI, ein System, welches laut Eigenwerbung "einfach zu lesende Berichte kreiert und den Nutzern ermöglicht, Menschen und deren Vermögen einfacher zu lokalisieren". Natürlich fehlt der Hinweis nicht, dass auch auf derartige Weise mehr Straftaten aufgeklärt werden können.

Announcing the FBI's new Public Source Information Program. Aus einem geheimen, über FOIA zugänglich gemachten, aber weitgehend geschwärzten 62-seitigen Zwischenbericht von Choicepoint und "Government Agencies, Inc." Über die weltweite "Informationsindustrie"

Der nächste Service, den ChoicePoint anbot, ging noch einen Schritt weiter. Statt auf die Eingaben zu warten oder aber den Behörden nur die Möglichkeit zu geben, selbst zu suchen, übernahm ChoicePoint die Suche. Die Daten eines "subject of interest" (aka ein Verdächtiger) wurden von der Auskunftei permanent beobachtet, neue Daten, die relevant erscheinen, werden sofort elektronisch an die Foreign Terrorist Tracking Task Force (FTTTF) des FBI weitergeleitet. Allerdings, so schränkt ChoicePoint ein, benötige man für Informationen, die über Identität und Adresse hinausgehen, eine richterliche Verfügung. Wie das System explizit ausgestaltet ist, wird im Rahmen der inneren Sicherheit nicht offenbart, auch die Kosten (welche unter Umständen eine Vermutung über das Ausmaß der Kooperation zuließen) sind geschwärzt.

Der Wortlaut des Vertrages sowie die Tatsache, dass ChoicePoint sein komplettes System der Regierung zur Verfügung stellt und selbst maßgeschneiderte Suchen für die Regierung ausführt, zeigen eine starke Kooperation auf.

Chris Hoofnagle von EPIC

Chris Hoofnagle sieht in der Verwendung der Datenbanken zu Zwecken der Terrorbekämpfung weniger ein Problem. Mitarbeiter des FBI verwahren sich zwar gegen die Anschuldigung, sie würden "fishing expeditions" ausführen, aber da das FBI weder Aussagen darüber macht, wie die erlangten Daten verwandt, noch ob der Abruf sowie die Verwendung überwacht werden, ist zur Zeit nicht ersichtlich, ob wirklich nur Daten zur Terrorbekämpfung abgefragt werden oder ob das "exclusive data-search system" anderen Zwecken dient.

Wir haben das gesetzlich verbriefte Recht, bestimmte Informationen einzukaufen. ChoicePoint ist eine kommerzielle Datenbank und wir kaufen eine Menge dieser kommerziellen Datenbanken. Sie sammeln die Daten und wir haben per Gesetz das Recht, diese Daten zu erhalten.

Ed Cogswell, ein Sprecher des FBI

Es ist verständlich, dass das FBI auf diese Datenquellen zugreift, denn es fehlt eine gesetzliche Regelung in Bezug auf Auskunfteien. ChoicePoint agiert so nicht nur an der langen Leine, sondern vielmehr ohne jegliche Leine, gleichzeitig wird die Firma zu einem nichtoffiziellen Arm der Behörden. Und da liegt das Problem, denn wenn Behörden einfach die Daten aus kommerziellen Datenbanken übernehmen, so müssen Datenschutzregeln nicht eingehalten werden. Und überdies ist eine Überwachung von Privatunternehmen, die für Geheimdienste arbeiten, ist immer ein schwieriges Unterfangen.

Anders als Regierungsbehörden sind solche Unternehmen nicht verpflichtet, dem Kongress Rede und Antwort zu stehen. Und da die meiste Arbeit der Geheimdienste nun einmal geheim ist, führt dies dazu, dass eine unabhängige Kontrolle nicht durchführbar ist. Wenn so Gesetze "zurechtgebogen" oder gebrochen werden, werden wir dies vielleicht nie herausfinden.

Steven Aftergood vom Project on Government Secrecy at the Federation of American Scientists

Daher spricht sich Chris Hoofnagle für entsprechende neue Gesetze aus, wobei er Unterstützung seitens des Kongresses erhält. Der von den Senatoren Arlen Specter und Patrick Leahy eingebrachte Personal Data Privacy and Security Act fordert u.a., dass die Regierung für die Verwendung von Daten(banken) privater Auskunfteien Regelungen in Bezug auf Sicherheit und Privatsphäre gesetzlich festlegt und dass Verträge, die die Verwendung solcher Daten regeln, einer Kontrolle unterzogen werden.

Obgleich diese Forderungen von Datenschützern als zu gering angesehen werden, zeigen sich bereits Reaktionen u.a. bei ChoicePoint. Spezielle Lobbyisten wurden bereits instruiert, unter diesen befindet sich auch die Ashcroft Group (siehe hier). Hierbei handelt es sich um eine in Washington D.C. ansässige Firma, die sich an "große Unternehmen mit großen Problemen" wendet. Die Gründer der Ashcroft Group sind der ehemalige Justizminister John Ashcroft, David Ayres and "Juleanna Glover Weiss" (welche insofern wieder zu ihrem früheren Arbeitgeber zurückkehrte, denn bevor sie Pressesprecherin des Vizepräsidenten Richard Cheney wurde, arbeitete sie bereits für John Ashcroft als Beraterin). Ashcroft, der am 2. November 2004 zurückgetreten war und dessen Nachfolge Alberto Gonzales antrat (Ein würdiger Nachfolger) hatte die FTTTF im April 2002 ins Leben gerufen. Fragen, wie sie beispielsweise bereits im Januar 2003 Senator Patrick Leahy stellte, blieben bisher unbeantwortet.