Der vertrauenswürdige Kandidat für das Amt des irakischen Ministerpräsidenten

Ausgerechnet auf Allawi, der die Falschinformation für das erste britische "Geheimdienstdossier" über die schnelle Einsatzfähigkeit der irakischen Massenvernichtungswaffen geliefert hat, scheint sich der Regierungsrat geeinigt zu haben

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Ziemlich überraschend wurde vom Regierungsrat der schiitsche Politiker Ijad Allawi als Ministerpräsident gekürt. Damit setzt der im Irak unbeliebte, von der US-Regierung eingesetzte Regierungsrat auf Kontinuität, weil seine Mitglieder den einmal erlangten Einfluss nicht verlieren wollen. Die US-Regierung könnte zwar, nachdem man mit Tschalabi uneins geworden ist, mit Allawi leben, der mit Washington eng verbunden und zudem ein säkularer Schiit ist. Allerdings scheint es auch Bedenken zu geben, eben weil Allawi zu offensichtlich den USA nahe steht. Allawi ist, genau wie der fallen gelassene Tschalabi (Das Ende des Dunkelmeisters), eine dubiose Figur - und die Entscheidung für ihn ist anscheinend selbst im Regierungsrat umstritten.

Die UN fühlt sich zu Recht übergangen. Generalsekretär Kofi Annans Sprecher Fritz Eckhard meinte trocken, dass man nicht erwartet hatte, dass die Ernennung so geschehen würde. Schließlich sollte eigentlich die UN und ihr Irak-Gesandter Lakhdar Brahimi einen Vorschlag machen. Nach Eckhard respektiere er die Entscheidung. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, zeigte sich hingegen erfreut, weil der "gute und fähige" Mann angeblich eine "breite Unterstützung im irakischen Volk" besitzt. Das ist freilich fraglich, aber die Wahl gleicht der Entscheidung, dem Irak noch schnell vor der wie auch immer gearteten, jedenfalls versprochenen "Souveränität" eine im US-Sinne korrekte Flagge aufzuzwingen (Eine neue Flagge für den Irak).

Allawi ist nicht nur ehemaliges Baath-Mitglied, sondern hat bereits 1971 das Land verlassen, um aus dem Exil Oppositionsarbeit zu leisten. Mit Tschalabi, dem Vorsitzenden des Iraqi National Congress (INC), hatte sich Allawi, obgleich mit ihm verwandtschaftlich verbunden, überworfen und nach dem ersten Golfkrieg seine eigene Partei (Iraq National Accord - INA) gegründet. Er unterhielt enge Beziehungen zur CIA und zum britischen Geheimdienst, während Tschalabi der Favorit des Pentagon war. Beide haben mit ihren Organisationen regelmäßig nicht unbeträchtliche finanzielle Unterstützung von den USA erhalten.

Tschalabi, der in Jordanien des Bankbetrugs bezichtigt wird und auch im Irak als Mitglied des Regierungsrats und Speerspitze des Pentagon in dubiose Machtspiele und Korruptionsfälle verwickelt sein soll, hatte der US-Regierung viele der Informationen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen durch seine Informanten dem "Office of Special Plans" im Pentagon zugespielt und so mitgeholfen, den Irak-Krieg zu legitimieren und gleichzeitig gut damit zu verdienen (Das Geheimherz der Lügenfabrik). Unlängst kam er in Verruf, dass viele der von ihm und seiner Organisation stammenden Informationen falsch gewesen sind. Tatsächlich wurden auch keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Angeblich soll Tschalabi, sozusagen als Doppelagent, Informationen an den Iran weiter gegeben haben. Dass nun aber ausgerechnet Allawi zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung werden könnte, ist so ähnlich, als würde man den Teufel mit dem Beelzebub austauschen.

Mit falschen Informationen zur Schützenhilfe für den Irak-Krieg hat sich nämlich nicht nur Tschalibi hervorgetan, auch Allawi spielte hier eine unrühmliche Rolle (ebenso wie die willfährigen britischen und amerikanischen Geheimdienste, die - vermutlich auf Druck von oben - Informanten, die das erwünschte, wenn auch nicht unbedingte wahrheitsgemäße Material lieferten, denn auch ohne Nachprüfung Glauben schenkten). Allawi war ausgerechnet derjenige Informationsbrocker, der geholfen hatte, das erste britische "Geheimdienstdossier" vom September 2002 (Beweise jenseits allen Zweifels ...) mit der Behauptung aufzusexen, dass der Irak in 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen könne (Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen). Das spielte auch im BBC-Skandal die wesentliche Rolle (Hutton-Bericht zieht sich aus der Affäre).

Im Januar hatte ein Sprecher der INA, also der Partei von Allawi, eingestanden, dass die Information von einem irakischen Offizier gekommen wäre, der die Massenvernichtungswaffen nie selbst gesehen hätte. Er habe gesagt, Hussein habe Kommandeuren gesagt, dass im Falle eines Angriffs auch Massenvernichtungswaffen eingesetzt würden. Der Sprecher von INA meinte, man habe die Information an den britischen Geheimdienst weiter gegeben, der sie schließlich hätte überprüfen können. In der damals gebotenen Eile, endlich mit dem Krieg beginnen zu können, war dafür aber weder Zeit noch Interesse vorhanden.

Zu vermuten ist, dass Allawi, sollte er tatsächlich Ministerpräsident der Übergangsregierung werden, deren Akzeptanz und Glaubwürdigkeit nicht fördern dürfte. Der von den US-Regierung eingesetzte Regierungsrat fand im Irak keine Anerkennung, und wenn nun dieser einen der von der US-Regierung Inthronisierten zum Ministerpräsidenten kürt, auch wenn möglicherweise die US-Regierung selbst Bedenken hat und eigentlich die Mitglieder des Regierungsrates außen vor lassen sollte, so dürfte Allawi trotzdem als US-Vertreter gesehen und abgelehnt werden. Allawi als Ministerpräsident wäre sicherlich kein guter Einstieg in die angebliche Souveränität, vor allem wenn dabei die UN ausgebootet wurde, weswegen Außenminister Powell sich vorsichtig gegenüber dem Vorschlag geäußert hat. Allerdings bleibt der US-Regierung vielleicht auch gar nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen, weil egoistischen Spiel des Regierungsrates zu machen, der die Macht bei sich behalten will. Würde die US-Regierung Allawi ablehnen, so wäre wahrscheinlich der Widerstand gegenüber dem nächsten Kandidaten noch größer, weil er noch mehr als Marionette gelten würde. Aus diesem Dilemma wird die Besatzungsmacht nicht ohne weiteres herauskommen, nachdem bereits zu viele Fehler gemacht wurden.