Deutsche Fernsehskandale

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3sat, Parlazzo Spezial - Skandal! Wenn Fernseher sich aufregen. Dokumentation über TV-Skandale und gesellschaftlichen Wertewandel. 25.05.99, 00:05 Uhr

Schamvoll versteckt sendete 3sat um Mitternacht Schlaglichter deutscher Fernsehskandale. So war die Rede vom gezeigten Brustwarzenhof von Romy Schneider und von der Freizügigkeit, die das Küssen auf öffentlichen Straßen fördere. Dem Outing von Harpe Kerkeling durch Rosa von Praunheim im Heißen Stuhl, der einstigen Sendung des jetzt so seriösen Ulrich Meyer von SAT 1. "Schalke 05", der sportliche Versprecher der 1. deutschen Sportmoderatorin sollte fast das Ende der sportvorführenden Karriere bedeuten. Dabei führte sie auch im Sportstudio die Bild am Sonntag vor, denn die berichtete schon vorab von der schlechten Moderationsleistung - die Sendung lief allerdings bei Auslieferung dieser Sonntagszeitung erst an.

Armselige Frauenbilder, von der Ansagerin, die mal im Baby Doll auf einer Party war und prompt gekündigt wurde, bis zum Maulkorb-Verhalten mit anschließendem Mikrofon-Striptease von Karin Struck in der Talkrunde 3 nach 9. Oder den Masturbationsszenen von Nina Hagen im Österreichischen Fernsehen. Hugo Egon Balder kommentiert ungehemmt, wobei seine Sendung "Tutti Frutti" nicht unerwähnt bleibt. Nackte Busen in der Quizsendung "Wünsch Dir was" bleiben natürlich nicht außen vor. Die ehemals 17jährige darf natürlich auch die weitere Geschichte der Skandale kommentieren. Frau Schreinemakers verkündet fast ungehindert ihre Steuerproblematik auf SAT 1. Zwar blieb bei der Erklärung der Bildschirm schwarz, aber Barbara Eligmann von RTL bietet der zukünftigen RTL-Plaudertasche dann doch die nötige Exklusiv-Plattform.

Tabubrecher sind auch Spielverderber, das lehrt uns der Titanic-Buntstiftlutscher von "Wetten Dass?". Oder der Verräter Wolfgang Neuss, der beim Straßenfeger der Durbridge-Krimireihe per Zeitungsanzeige einfach den Mörder vorab verriet.

Noch schlimmer sind wohl Nestbeschmutzer wie der Fernsehmacher Michael Born. Er machte die Bilder, die jeder sehen wollte. Ku-Klux-Klan-Rituale mitten in Deutschland oder Katzenjäger, dieses und anderes lieferte er Günther Jauch für "Stern TV". Als alles aufflog, mußte Born im Knast reale Bilder einfangen. Max, der mithin in 14 Talkshows immer die gleiche Masche fuhr, macht die Talkshows auch nicht glaubwürdiger. Egal, ob pastoral oder kreischend, mitfühlend oder selbstinszeniert, die Schäfers, Veras oder Meisers scheinen nicht auszusterben. Schlimmer noch, manche Skandale wurden nicht im 3sat-Stückwerk benannt, denn wie sonst kann Alida sich mit der Belanglosigkeit als Prädikat so lange halten?

Helmut Kohls Neujahrsansprache zweimal zu senden war ein politischer Affront, während sich Bayern nicht nur bei Dieter Hildebrandt aus dem offiziellen Programm ausschaltete.

Oliver Kalkhofe, der Medienprofessor Leder, Klaus Bednarz von Monitor, Hugo-Egon Balder, Dieter Hildebrandt, Heiner Geißler, Dr. RTL-Thoma, Carmen Thomas und andere durften sich an vielen Zwischenschnitten ergötzen, potenzieren oder wissenschaftlich neutral kommentieren. Schnell, wie die Wirklichkeit rasten die Bilder in noch schnelleren Schnitten an dem interessierten Zuschauer vorbei. So schnell, daß man die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch diese Skandale ausgelöst worden sind, nicht mitbekam.

Hat sich etwas geändert? Der sich räuspernde Köpcke oder die strapsvorführende Susan Stahnke sind unerwähnte Tagesschau-Skandal-Sinnbilder der Gegenwart. Gut, Küssen ist schon lange geduldet, die Schwulen dürfen in Hamburg heiraten, der Turnschuh-Minister ist ein manierlicher Außenminister und auch Oben-ohne-Liebesszenen sehen wir inzwischen am Nachmittag. In einem Wassertank wird immer noch getaucht, obwohl auch hier in der Fernsehvergangenheit fast eine Frau ertrunken war. Die Schere der Dünnbrettbohrer setzt wohl früher ein oder untermalt die Talkshows mit vielen lauten Pieptönen. Der Skandal wird übertönt - oder ist das Piepsen der Skandal?

Teils war es amüsant, manches war gar schon vergessen, aber nichts geht über die Gegenwart, denn neue Skandale finden täglich statt. Bilder- und Printmedien sind geil auf Skandale und Tabuverletzungen, denn das normgerechte Normale ist langweilig und keine Meldung wert. Und Medientrüffelschweine Oliver Kalkhofe und Stefan Raab müssen doch auch leben, während "Dirty Harry" alias Harald Schmidt inzwischen als Kult gilt.