Deutsche bei den Separatisten im Donbass

Die konservative "Welt" ruft zur Strafverfolgung auf, aber was macht man mit Deutschen, die sich den Kurden oder den ukrainischen Milizen angeschlossen haben?

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Die Welt hat Skandalöses entdeckt: "Rund 100 Bundesbürger kämpfen für die Rebellen in der Ostukraine. Viele Russischstämmige sind darunter, ehemalige Soldaten, auch eine Frau - und die Politik schaut tatenlos zu." Und sie weiß auch, wie sie titelt: "Warum Deutsche für Putin in der Ukraine sterben."

Die Welt argumentiert, die Bundesregierung würde zwar gegen Dschihadisten, die sich dem IS anschließen, mit voller Härte vorgehen, aber mit den "deutschen Kämpfern in der Ostukraine" würde sich nicht mal der Verfassungsschutz beschäftigen. Zwar gebe das Innenministerium im Gegensatz zum Justiz- und Außenministerium, beide SPD-geführt, wenigstens zu, dass es Hinweise auf Deutsche in der Ostukraine gebe, aber auch hier werde nicht ermittelt. Man hat auch einen CSU-Politiker gefunden, der die Marschrichtung vorgibt: "Wenn Deutsche an Kampfhandlungen teilnehmen, sollte eine Strafbarkeit wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erwogen werden", sagte der Innenexperte der Union, Stephan Mayer (CSU), der "Welt am Sonntag". Er fordert, dass Doppelstaatlern in dem Fall "die deutsche Staatsangehörigkeit wegen der Teilnahme an einem Bürgerkrieg entzogen werden" sollte.

Angeblich habe der ukrainische Botschafter Andrej Melnik bereits die Bundesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Deutsche nicht weiterhin "in Richtung Osten ziehen und am Morden und Töten teilnehmen".

Und die Welt unterstellt, dass die deutsche Regierung deswegen nichts unternimmt, um eine friedliche Lösung durch das Minsker Abkommen nicht zu gefährden, erwähnt aber nicht, dass selbst die USA bislang nicht dem Drängen von manchen ukrainischen Regierungspolitkern wie dem Regierungschef Jazenjuk gefolgt sind, die "Volksrepubliken" insgesamt zu Terrororganisationen zu erklären:

Dahinter könnte politisches Kalkül stecken. Die Bundesrepublik, allen voran die Kanzlerin, lässt nichts unversucht, in der Region Frieden zu stiften. Dazu braucht man nicht nur den Kreml, sondern auch die Separatisten. Würde man sie zu Terroristen erklären, könnte man sie kaum mehr an den Verhandlungen beteiligen, wie in Minsk geschehen.

Nikolaj Blagin bzw. Nikolaj Blagaderov aus Deutschland am 4. Januar: "Ich und Schulz während einer pause."

Die konservative Zeitung schildert den Lebensweg von einigen der Deutschen, die sich den Separatisten angeschlossen haben, und kommt dabei selbst zum Ergebnis, dass diese sich eher aus persönlichen Motiven in das Abenteuer des Krieges gestürzt haben, um Sinn zu finden oder persönliche Probleme hinter sich zu lassen, denn aus politischen. Das ist auch meist so bei den jungen Deutschen, die es zum IS zieht - und wahrscheinlich auch bei anderen Menschen, die etwa mit den Kurden gegen den IS oder mit al-Nusra gegen den IS und das syrische Regime kämpfen, geschweige denn von jenen, die wiederum in ukrainischen Milizen gegen die "Volksrepubliken" kämpfen.

Wie es die Ideologie der Welt so will, wird nach diesen nicht einmal gefragt, obgleich bekannt ist, dass sich den ukrainischen Milizen etwa dem Bataillon Azow auch Europäer vor allem aus der rechtsextremen Ecke angeschlossen haben (Schweden, Kroaten, Italiener, Franzosen, vermutlich auch Polen und Weißrussen). Dann würde die Frage etwas interessanter werden, ob generell gegen alle Deutschen, die als Söldner oder Freiwillige an einem Krieg im Ausland teilnehmen und dabei militärische Fertigkeiten lernen sowie Menschen töten, ermittelt werden müsste. Die Welt weist selbst darauf hin, dass bislang nur gegen die ermittelt und vorgegangen wird, die sich im Ausland einer Terrororganisation angeschlossen haben. Der IS wurde von Deutschland zu einer Terrororganisation erklärt, nicht aber die separatistischen Milizen in der Ostukraine, auch nicht die kurdischen YPG-Milizen in Syrien oder die Freiwilligenverbände der Ukraine. Bekannt ist bislang nicht, ob bei den ukrainischen Milizen auch Deutsche mitwirken.

Vermutlich kam die Welt durch das spanische Vorgehen gegen heimkehrende Kämpfer aus dem Donbass auf das Thema. In Spanien wurden 8 Spanier bei der Rückkehr im Rahmen der "Operation DANKO" festgenommen (Verhaftungswelle in Spanien gegen Donbass-Brigaden. Juristisch stehen die Festnahmen allerdings auf wackeligem Boden. Die Spanier sehen sich in der Tradition der internationalen Brigaden. Das spanische Innenministerium gab bekannt, man sei erstmals in der EU gegen "Aktivitäten von ausländischen Kämpfern in der Ukraine" vorgegangen. Der Grund ist vor allem, dass sie Separatismus unterstützt wurde, gegen den Spanien in Katalonien und im Baskenland auch kämpft und weswegen das Land entgegen den USA und der Rest-EU auch noch nicht den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt hat. Das macht auch die speziellen Interessen Spanien deutlich. Verdächtigt werden die Festgenommenen wegen möglicher Vergehen, die den Frieden oder die staatliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, indem sie durch ihre Teilnahme am bewaffneten Konflikt die Neutralität Spanien verletzt haben.

Gernot Erler (SPD), der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, sagte MDR Info, dass es wohl auf beiden Seiten Kämpfer aus Deutschland gebe. Man müsse sich fragen, ob von ihnen "eine physische Gefahr für die Gesellschaft ausgeht", ähnlich wie bei Dschihadisten aus Syrien. Aber er wies darauf hin, dass die Beteiligung an den Kämpfen in der Ukraine im Gegensatz zum IS nicht strafbar seien.

Und was ist mit Kämpfern bei den Kurden gegen die IS?

Die Deutsche Yvana Hoffmann, die der in der Türkei verbotenen, aber in Deutschland bislang nur vom Verfassungsschutz beobachteten MLKP angehörte, war im Frühjahr 2014 nach Syrien gefahren, um sich dort in Rojava den syrischen Kurden von der PYD anzuschließen, die der in der Türkei ebenfalls noch verbotenen PKK nahestehen. Mit den Frauenverbänden der "Volksverteidigungseinheiten" YPG zog sie schließlich in den Krieg gegen den Islamischen Staat, kämpfte angebliche auch in Kobane und wurde am 7. März als "Märyrerin" (MLKP) getötet ("Ich will ein Teil der Revolution in Rojava sein"). Die Bundesanwaltschaft prüft jetzt, wie der Spiegel berichtete, ob sie gegen die MLKP strafrechtlich vorgehen muss. Mitglieder der Organisation könnten "wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung" belangt werden.

In der Türkei ist die MLKP als Terrororganisation eingestuft und damit verboten, in Deutschland hingegen noch nicht. Die MLKP unterstützt die syrischen Kurden im Kampf gegen den IS und hat sich ihnen mit der "MLKP Rojava" angeschlossen. Schon im Oktober war der in Deutschland aufgewachsene Suphi Nejat Ağırnaslı, ebenfalls MLKP-Mitglied, in Kobane getötet worden. Es sollen och mehr Deutsche dort mit den YPG kämpfen, der Spiegel spricht von bis zu 80. Wie viele davon mit der MLKP verbunden sind, ist jedoch nicht klar. Die MLKP erklärte im Februar, man habe mit dem Aufbau einer internationalen Brigade begonnen, es seien die ersten "Revolutionäre" aus verschiedenen Ländern eingetroffen.

Mit anderen kommunistischen Parteien rief die MLKP im Oktober 2014 dazu auf, zur Unterstützung insbesondere von Kobane auch dorthin zu gehen und sich dem Kampf anzuschließen. Man sieht sich in der Tradition der Menschen, die einst in Spanien in den internationalen Brigaden gegen die Franco-Faschisten kämpften: "Steigern wir die internationalistische Parole der Madrid-Verteidigung, gegen die Franko-Horden: Jetzt ist Kobane die Heimat der Revolution! Geben wir dem Kobane-Widerstand Kraft, durch die Demonstrationen und Streiks an den Arbeitsplätzen, Schulen und auf den Plätzen und durch den heroischen Widerstand der Revolutionäre, die sich in Kobane und Rojava an den internationalen Brigaden beteiligen!"

Will man jetzt also gegen mögliche deutsche Kämpfer bei den syrischen Kurden vorgehen? Die Briten haben hier zunächst einen Strich zwischen den guten und bösen Freiwilligen ziehen wollen, die ihr Abenteuer im Krieg sehen (Die guten und die bösen Kämpfer). Allerdings wurde, wie jetzt bekannt wurde, eine 16-Jährige, die sich den Frauenverbänden der kurdischen YPJ anschließen wollte, im Januar verhaftet und eines Vergehens nach dem Antiterrorgesetz beschuldigt. Auch in Großbritannien sind die YPJ, die YPG oder die Peschmerga nicht zu Terrororganisationen erklärt worden. Der Guardian vermutet, dass die Anklage mit der auch in Großbritannien verbotenen PKK zu tun haben könnte. Auch hier wird schwierig, wie die Regierung gleichzeitig die Kurden im Kampf gegen den IS unterstützen und Briten bestrafen will, die sich den Kurden anschließen.

Tatsächlich gelten die YPG und PYD in Deutschland nicht als Terrororganisationen. Die USA hat sie mit Luftangriffen und Versorgung mit Waffen unterstützt. Auch die Peschmerga, die wiederum direkt von Deutschland mit Waffen versorgt und ausgebildet werden, kamen den Kurden in Kobane zu Hilfe - übrigens mit der Duldung der Türkei, die wiederum mit der PKK schon länger einen Friedensprozess aushandelt. Wenn nun Anhänger der in Deutschland nicht als Terrororganisation geführten MLKP die syrischen Kurden im Kampf gegen IS unterstützen, warum sollten sie dann ausgerechnet als Unterstützer einer Terrororganisation verfolgt werden?