Deutschland am finanziellen Wendepunkt?

Während der erste Warnschuss der Finanzmärkte offenbar keine Wirkung auf Angela Merkel zeigte, dürfte der Käuferstreik wohl andauern - und letztlich auch hier ein Umdenken erzwingen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es war schon eine Überraschung: Anstatt wie gewohnt als letzter "sicherer Hafen" niedriger Zinsen zahlen zu müssen, wenn andere Eurozonestaaten abstürzen, scheinen die Märkte inzwischen auch von Deutschland die Nase voll zu haben.

Bisher hatte Deutschland durch einen niedrigeren Eurokurs und noch niedrigere Zinsen von jeder Verschärfung der Eurozonenkrise direkt profitiert, während die wohl ebenso solide aufgestellten Länder Finnland, Holland und Österreich schon vor drei Wochen die harte Hand der Märkte zu spüren bekommen hatten, wobei Nobelpreisträger Paul Krugman Österreich daraufhin bescheinigt hatte, eine solidere Haushaltspolitik zu führen als Deutschland.

Allerdings war der Schock offenbar nicht groß genug, um Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ernst der Lage vor Augen zu führen. So wurden die zehnjährigen Bundesanleihen trotz Nachfragemangel zu einer Rendite von weniger als zwei Prozent emittiert, was noch immer nur knapp über den absoluten Tiefstständen seit der Euroeinführung liegt. Noch dazu war das nicht abgesetzte Volumen schon mehrmals noch höher, und historisch betrachtet war es viel eher ungewöhnlich, dass in den vergangenen drei Jahren kaum jemals substantielle Anteile der Emissionen von der Bundesbank übernommen werden mussten.

Grafik: SG Cross Asset Research/Zerohedge

Angesichts von zwei Prozent Rendite ist ohnehin rätselhaft, welcher rationale Investor jetzt noch Bundesanleihen kaufen würde. Schließlich ist die Inflationsrate bereits jetzt fast doppelt so hoch und die unklaren monetären Verhältnissen lassen durchaus steigende Inflationsraten befürchten, während die Anleihenpreise angesichts der sehr hohen Kurse viel mehr Raum nach unten als nach oben haben. Wenn substanzorientierte Langfrist-Investoren also Bundesanleihen kaufen sollten, dann also vermutlich nur noch deshalb, weil wenigstens die nominelle Tilgung derzeit noch halbwegs gesichert erscheint.

In einem Deflationsszenario à la Japan, wie es im Zuge einer andauernden Eurozonenkrise durchaus eintreten könnte, würden Bundesanleihen vielleicht ein gutes Investment sein - das allerdings auch nur dann, wenn es nicht zu schlimm kommt und etwa nach einer Pleite Italiens eine generelle Regulierung der europäischen Staatschulden durchgeführt wird, oder wenn auf ein Deflations- ein Hyperinflationsszenario folgt, bei dem die Krise zuerst mit exzessivem Gelddrucken bekämpft wird, auf das dann vielleicht eine drastische Geldentwertung folgt. Allerdings dürfte aktuell niemand die Wahrscheinlichkeiten für denkbare Zukunftsszenarien angeben können - und noch weniger für jene, die heute noch undenkbar erscheinen.

Insofern sind zwei Prozent Langfristzinsen für Deutschland jedenfalls absurd, insbesondere als die Bundesanleihen aus der Sicht internationaler Investoren inzwischen nicht nur Inflations- und Wechselkursrisiken tragen, sondern eben auch Kreditrisiken, die bei Ländern wie Japan, den USA, der Schweiz oder Großbritannien notfalls immerhin noch von der eigenen Notenbank übernommen werden würden.

Merkels Verweigerung erhöht nicht Deutschlands Kreditwürdigkeit

Deutschland hat diese Möglichkeit nicht und folglich gibt es in der Eurozone keinen wirklich risikofreien Schuldner, sieht man ab von den überschüssigen Reserven der Banken bei der EZB, die von Woche zu Woche auf immer neue Rekordstände klettern, obwohl sie nur mit einem schlappen halben Prozent verzinst werden.

Dieses Geld könnten die Banken zwar nach wie vor in Bundesanleihen stecken, ohne ihr Eigenkapital zu belasten, allerdings wird es zusehends schwieriger, dafür gute Gründe zu finden. So kann bei Eurozonestaatsanleihen von Risikofreiheit keinesfalls mehr die Rede sein, weshalb auch die Regulatoren kaum umhin kommen werden, bald auch für Staatsanleihen eine Eigenkapitalunterlegung zu fordern.

Dieses zusätzliche Risiko ist zwar noch lange nicht aktuell, aber auch jetzt dürften Banken mit Bundesanleihen kaum sehr viel verdienen können. Damit das aber ein Geschäft wird, müsste der Spread zwischen den kurzfristigen Refinanzierungszinsen und den Zinsen der Bundesanleihen wohl weiter ansteigen, was beides offenbar gerade der Fall ist. Immerhin notieren die zehnjährigen Bundesanleihen nicht mehr bei den minimalen 1,64 Prozent Jahresrendite vom 24. September, und auch die EZB hat schon am 9. November die Refinanzierungszinsen von 1,5 auf 1,25 Prozent gesenkt und dürfte im Dezember eine weitere Senkung vornehmen.

Bis das aber eine ausreichende Kompensation für die derzeit unabsehbaren Risiken sein wird, dürfte noch eine erhebliche Spread-Ausweitung nötig sein, insbesondere da Angela Merkel auch nach diesem ersten Warnschuss der Märkte weiter darauf beharrt, weder Eurobonds noch eine stärkere Rolle der EZB zuzulassen.

Wie die Reaktion der Märkte zeigte - sofort nach der Meldung, dass Merkel Eurobonds wie EZB-Käufe weiterhin strikt ablehne, brache Aktien- und Eurozonen-Staatsanleihekurse weltweit kräftig ein -, steigert Merkels Verweigerungshaltung aber auch Deutschlands Kreditwürdigkeit nicht. Das ist auch verständlich, denn ohne massive Eingriffe scheint die Lage nicht mehr unter Kontrolle zu bringen zu sein, und wenn tatsächlich ein großes Land wie Spanien oder Italien tatsächlich straucheln sollten, dann würden in der darauffolgenden Finanzkrise die Karten wohl ohnehin völlig neu gemischt.

Viel weniger klar ist, warum durch die Eurobonds eigentlich die Zinsen Deutschlands ansteigen müssen. So wird Deutschland sicher nicht gezwungen werden, den eigenen Finanzierungsbedarf über Eurobonds zu decken, sondern wird weiterhin eigene Papiere emittieren. Die Garantien, die Deutschland für die Eurobonds würde leisten müssen, werden zwar sicherlich auch die Markteinschätzung der Bundesemissionen beeinflussen, genau so werden aber wohl auch weiterhin die individuelle Budgetpolitik, die Exportkonjunktur usw. die Zinsen beeinflussen, die Deutschland abverlangt werden.

Immerhin bestehen erhebliche Zinsdifferenzen zwischen Bundesanleihen und den Anleihen europäischer Institutionen wie der Europäische Investitionsbank (EIB), die laut ihrem letzten Jahresbericht immerhin 334 Milliarden Euro an verbrieften Wertpapieren begeben hat. Organisiert ist die EIB als Aktiengesellschaft, deren Kapital von den einzelnen EU-Staaten gezeichnet wurde, allerdings wurde von den 232,4 Milliarden Euro an insgesamt gezeichnetem Kapital 220,7 Mrd. noch nicht abgerufen. Sollte es dort also zu Problemen kommen, müsste Deutschland zumindest seine Kapitalzusage überweisen, so dass hier letztendlich längst Bonds in Umlauf sind, die von den Eurozonestaaten im Rahmen ihrer Kapitalzusagen gemeinsam garantiert werden.

Diese Papiere wurden lange mit Zinsaufschlägen von kaum zehn Basispunkten (100 BP = 1 Prozentpunkt) gegenüber Bundesanleihen gehandelt, was sich erst änderte, als im November Gerüchte auftauchten, die EU wolle die EIB verstärkt zur Finanzierung der Krisenländer heranziehen. Daraufhin schossen die Umlaufrenditen um rund einen halben Prozentpunkt nach oben und übertrafen sogar den bisherigen Rekord-Spread gegenüber den Bundesanleihen während der Lehman-Pleite von 2009. Das war allerdings vor der gescheiterten Bundesanleihenemission, die für die anderen Eurozonestaaten immerhin einen Vorteil hatte. Denn weil die (ohnehin durchweg extrem niedrigen) Kurse der anderen Eurozoneanleihen weitgehend stabil blieben, während die Bundesanleihen einbrachen, reduzierten sich für Länder wie Österreich, Finnland und auch Frankreich wenigstens vorübergehend die an den Märkten als ultimatives Risikomaß geltenden Risikoaufschläge gegenüber den Bundesanleihen - was allerdings ein schwacher Trost gewesen sein dürfte.