"Deutschland redet vom Klimaschutz, macht aber viel zu wenig"

Seite 2: Weshalb das Waldsterben der 1980er-Jahre kein Mythos ist

Leugner des Klimawandels würden Ihnen jetzt entgegenhalten, dass in den 1980er-Jahren – zumindest in Westdeutschland – vor dem Waldsterben gewarnt wurde. Der Wald ist aber doch noch da, oder?

Nick Reimer: Nein, diese Aussage ist falsch. Der Wald ist wieder da – aber anders und auch nicht überall. Ich bin am Fuße des Erzgebirges aufgewachsen, Mitte der 80er-Jahre war dort der Wald tot, die Abgase der Braunkohlenverstromung haben fast den kompletten Baumbewuchs des Osterzgebirges vernichtet.

Dann wurden Entschwefelungsanlagen in die Kraftwerke eingebaut und es entwickelte sich ein neuer Wald. Aber der ist anders als der damalige, beispielsweise gibt es kaum noch Hochmoore, die einst prägend für das Osterzgebirge waren. Die Moor-Bergkiefer, die früher häufig anzutreffen war, die gibt es heute praktisch nicht mehr.

Dennoch wird der Klimawandel nach wie vor kontrovers diskutiert. Sieht die Wirtschaft die Lage nach Lieferengpässen durch Niedrigwasser auf den großen Wasserstraßen und unterbrochene Lieferketten realistischer?

Nick Reimer: Zumindest gibt es Fachleute in den Unternehmen, die die Gefahren des Klimawandels realistisch für den eigenen Profit einschätzen. Diese Spezialisten machen nichts anderes als wir für das Buch: Wissenschaftliche Studien lesen und dann runterbrechen für die Zukunft und dadurch die Folgen kalkulieren. Allerdings werden diese Fachleute noch immer nicht überall in den Konzernen von den Entscheidungsträgern gehört.

Die Europäische Union will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Mal abgesehen davon, dass Europa größer ist als die EU - halten Sie das für realistisch?

Nick Reimer: Nicht mit der derzeitigen Politik. Den Plänen der Bundesregierung zufolge soll Deutschland zum Beispiel bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden. Aber Kohlekraftwerke dürfen bis zum Jahr 2038 weiterlaufen.

Das ist absurd und zeigt, wie wenig die Regierenden das Thema ernst nehmen. Wir brauchen eine Bestandsgarantie für Altbauten, Abriss und Neubau können wir uns nicht mehr leisten, wenn wir klimaneutral werden wollen. Wir müssen das private Auto ausmerzen und auf eine klimafreundlichere Mobilität setzen. Die Bundesrepublik Fleischland muss komplett umgebaut werden, mit dieser Billig-Landwirtschaft werden wir niemals klimaneutral. Und Erdgasleitungen wie Northstream 2 dürfen gar nicht erst ans Netz.

Wohlhabende verursachen mehr CO2-Ausstoß

Sahra Wagenknecht spricht von "Symbolpolitik für die Wohlhabenden und deren gutes Gewissen". Wieviel sozialen Sprengstopp bergen Klimawandel und real existierende Klimapolitik?

Nick Reimer: Sahra Wagenknecht hat das Problem offensichtlich intellektuell nicht richtig durchdrungen! Urlaubsflüge, SUV, Shoppen … die Wohlhabenden verursachen in aller Regel einen viel größeren CO2-Ausstoß. Deshalb ist es nur gerecht, sie stärker zur Kasse zu schicken, als weniger Wohlhabende.

Der soziale Sprengstoff in der real existierenden Klimapolitik besteht darin, dass die real existierende Klimapolitik den Namen "Klimapolitik" nicht verdient. Alle Studien zeigen, dass die weniger Wohlhabenden überproportional unter den Folgen der Klimaerhitzung leiden werden, weil sie sich in den sengenden Sommern der Zukunft keine Klimaanlage leisten können, nicht das Häuschen mit Baumschatten bewohnen, deshalb häufiger unter Hitzestress leiden werden und kranker werden.

Klimaschutz als "Symbolpolitik für die Wohlhabenden" zu bezeichnen, heißt den ärmeren Teil Deutschlands in den Brutkasten der Klimaerhitzung zu schicken. Das ist der soziale Sprengstoff der Klimakrise.

In Ihrem Buch stellen Sie das Jahr 2050 in den Fokus, bis zu dem ja einige Prognosen des Weltklimarates IPCC ausgelegt sind. Blicken Sie in diese Zukunft mit Angst oder mit Zuversicht, und warum?

Nick Reimer: Mit Wehmut. Mit meinem Partner Toralf Staud habe ich 2007 das Buch "Wir Klimaretter – so ist die Wende noch zu schaffen" vorgelegt. Darin haben wir zusammengetragen, was es für klimaschonende Alternativen zu unserem treibhausgasintensiven Leben gibt. Und wir haben Vorschläge unterbreitet, wie diesen zum Durchbruch verholfen werden kann. Ein Forschungsinstitut hat dann berechnet, was dies bewirken würde: Die Bundesrepublik hätte ihre Emissionen bis zum Jahr 2020 glatt halbieren können im Vergleich zu 1990.

Und das wäre enorm wichtig gewesen für die Welt: Klimaschutz braucht Vorreiter, die zeigen, dass es geht. Deutschland redet zwar seit 1990 vom Klimaschutz. Macht aber viel zu wenig. Ab 2020 müssten die weltweiten Treibhausgas-Emissionen sehr stark sinken, wenn die globale Oberflächentemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts nicht stärker als zwei Grad Celsius ansteigen soll. Dummerweise steigen die Emissionen aber immer weiter, sogar jetzt mit Corona-Pandemie.

Es lag also nahe, sich anzusehen, was das Scheitern des Klimaschutzes für Deutschland bedeutet. Und zu appellieren, endlich die Augen zu öffnen: Wie sich das Klima bis Mitte des Jahrhunderts in unserem Deutschland verändert können wir nicht mehr beeinflussen, dafür sind bereits zu viele Treibhausgase produziert. Wir könnten aber noch entscheiden, ob es bei "schlimmen Veränderungen" bleibt, oder ob es bis Ende des Jahrhunderts katastrophal wird.

Das entscheiden wir jetzt.

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