Deutschland und die irakischen Massenvernichtungswaffen

Seit kurzem mehren sich Berichte über deutsche Verwicklungen, mangelnde Risikoaufklärung durch die Regierung oder jetzt die Lieferung von Natriumcyanid an Nordkorea

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Möglicherweise kommt die Haltung der deutschen Regierung in Bezug auf den Irak-Konflikt durch einige kürzlich bekannt gewordene Informationen unter Druck - oder zumindest Verdacht. Da ist die von der FAZ aufgebauschte Meldung über das von der Bundesregierung verharmloste Risiko eines Anschlags mit Pockenviren aus dem Irak. Da sind die vom CSU-Kanal Report München gesendeten Informationen über den Verkauf von mobilen Labors an den Irak in den 80er Jahren. Und da sind aus US-Geheimdiensten stammende Informationen, dass Nordkorea mehrere Tonnen Natriumcyanid von Deutschland importiert habe, das man auch zur Herstellung des Nervengases Sarin verwenden könne.

Auffällig ist es schon, dass diese Informationen schnell aufeinander just zur Zeit in die Öffentlichkeit gelangen, als mit der deutsch-französischen Initiative die amerikanische Position an Rückhalt verlor und nun auch die EU wieder zu einer gemeinsamen Kompromissposition gefunden hat. Ließe sich nachweisen, dass Deutschland irgendwie über die bereits bekannten Informationen hinaus in die Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak verwickelt sei, dann könnte man der Regierung eher Interessen unterstellen, die ihrem Einspruch gegen einen Krieg zugrunde liegen könnten.. Dass Firmen aus vielen Ländern, auch aus den USA und Großbritannien, den Irak noch bis in die 90er Jahre hinein mit Techniken und Materialien für sein Rüstungsprogramm beliefert haben (Saddam Hussein und die Bundestagsdrucksache AZ V B4-296-92-VS), ist freilich ebenso lange bekannt wie die Tatsache dokumentiert ist, dass gerade aus der USA Ende der 80er Jahre noch Materialien in den Irak kamen, die zur Herstellung chemischer und biologischer Waffen dienen können, beispielsweise Kulturen von Anthrax- und Pesterregern (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen).

Es wird zwar kaum jemand ernsthaft glauben, dass die rot-grüne Regierung aktiv das Hussein-Regime unterstützten will, aber für leicht beeindruckbare Zeitgenossen, die Medienberichte nicht hinterfragen, könnte doch dieser Eindruck entstehen, dass es hier etwas zu verbergen geben könne. Was die angebliche Vertuschung der Gefahr durch Anschläge mit Pockenviren aus dem Irak betrifft (Die Pocken am Frühstückstisch), so kann man davon ausgehen, dass es keine wirklichen Kenntnisse über einen Besitz von Pockenviren im Irak gibt (deswegen lässt sich dies natürlich aber auch nicht ausschließen). Auch der BND hat bestätigt, keine solchen Kenntnisse zu besitzen. Bekannt ist schon lange, dass man im Irak mit Kamelpocken experimentiert hat, allerdings gibt es vermutlich nicht die Möglichkeit, diese so zu verändern, dass sie sich wie Menschenpocken verhalten, erklärte Reinhard Kurth, der Präsident des Robert-Koch-Instituts. Kurth geht überdies von keinem erhöhten Risiko aus:

"Wir beim Robert-Koch-Institut gehen - ebenso wie der Bundesinnenminister - von einem sehr, sehr geringen Restrisiko aus. Wir haben keine neuen Erkenntnisse, die anzeigen würden, dass sich die Pockengefahr in der letzten Zeit erhöht hätte."

Vor kurzem hatten erst auch britische Wissenschaftler davor gewarnt, die Wirkung von Bio-Waffen zu übertreiben. Die Folge der dadurch ausgelösten Hysterie sei vermutlich größer als ein Einsatz von biologischen Waffen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass Pocken sich nicht so schnell ausbreiten und Millionen von Menschen infizieren können, wie dies in manchen Bedrohungsszenarien geschildert werde. Auch die Folgen von Anschlägen mit chemischen Kampfstoffen wie Sarin würden weitaus übertrieben dargestellt.

Was die von Hans Branscheidt gegenüber Report München berichtete Lieferung der mobilen Labors aus Deutschland an den Irak betrifft, so dürfte dies zwar, falls sich das bestätigen sollte und falls diese tatsächlich für die Herstellung von biologischen Waffen verwendet wurden/werden, für die US-Regierung erfreulich sein, die seit langem auf deren Existenz hingewiesen hat. Sie wären dann offenbar nicht nur den Waffeninspektoren entgangen, sondern mit ihrem heimlichen Betrieb hätte der Irak eine schwerwiegende Verletzung der UN-Resolution begangen. Branscheidt, der bei Medico International arbeitet und seit längerem für eine militärische Befreiung des Irak eintritt, sprach davon, dass Ende der 80er Jahre mindestens acht dieser mobilen Labors an den Irak geliefert worden seien. Das habe er einem Bericht der Bundesregierung an das Parlament aus dem Jahre 1991 entnommen. Warum er aber nicht konkreter werden könne, bleibt vorerst sein Geheimnis.

Ob die Labors, die von nach Report München von einem Zeugen auch gesehen worden seien, tatsächlich zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienten, ist erst einmal Behauptung. Überdies habe, so Report München, "ein irakischer Geschäftsmann, der sich zur Zeit in Dubai aufhält", gesagt, "dass die Komponenten für die mobilen Labors aus Deutschland, Amerika, Schweden und der Schweiz stammen. Alle Exporte, so der Report-Informant, 'seien von den jeweiligen Regierungen genehmigt worden'. Das geht dann nicht nur die deutsche Regierung an, vor allem aber betrifft es die ehemalige Kohl-Regierung, die dazu Stellung nehmen sollte und könnte.

Neu sind die Informationen von Brandtscheidt allerdings nicht. Er hatte die Waffengeschäfte des Iraks mit vielen Ländern und vor allem Deutschland etwa in einem Artikel letztes Jahr aufgelistet. Und dort war auch bereits die Rede von den mobilen Labors:

Dass von Pestiziden nur deklaratorisch die Rede war, ergibt sich aus der Tatsache einer bezeichnenden Lieferung von "Kolb / Pilot Plant" nach Bagdad: Exportiert nach Samarra wurde "eine Gaskammer, in der auch die Wirkung von chemischen Kampfstoffen an Hunden und Katzen überprüft werden kann" (STERN, 10.12. 1987). In derselben Ausgabe des "STERN" wird auch eine besonders brisante Lieferung erwähnt: "Rhein-Bayern lieferte an die 'Karl Kolb' - und die wiederum an den Irak - 'acht mobile toxikologische Labors'": Chemielabors in sandfarbenen Magirus-LKWs mit Klimaanlagen. Während das Unternehmen sie als "normale chemische Labors" bezeichnete, charakterisierte sie der C-Waffen Experte Adolf-Henning Frucht wie folgt: "Dieses Gerät ist hervorragend geeignet, um taktische Gemische von verschiedenen chemischen Kampfstoffen bestimmen zu können" (STERN, 29/1988).

Hier hatte Brandtscheidt die Informationen allerdings vorwiegend aus dem Stern. Der zitierte Experte sprach allerdings nicht davon, dass in diesen Labors chemische und biologische Waffen hergestellt werden können, sondern dass sie - auch dies ist militärisch wichtig - zur Analyse von chemischen Kampfstoffen dienen. Von biologischen Waffen ist hier noch nicht die Rede. US-Außenminister Powell sagte in seiner Rede vor der UN, dass die Geheimdienste die Informationen über die mobilen Labors zur Herstellung von biologischen Waffen von Überläufern hätten.

Deutsche Hilfe für chemische Waffenproduktion in Nordkorea?

Heute berichtete aber zudem die Washington Times unter dem Titel "Schiffe bringen Waffen in und aus dem Land" von Erkenntnissen der US-Geheimdienste, dass der nordkoreanische Frachter Sosan, der im Dezember von spanischen und amerikanischen Schiffen gestoppt worden war und 15 offenbar gut versteckte Scud-Raketen für den Jemen an Bord hatte, anschließend nach Deutschland gefahren sei und dort einige Tonnen an Natriumcyanid geladen habe. Am Donnerstag sei es schließlich damit zur nordkoreanischen Hafenstadt Nampo zurückgekehrt. Natriumcyanid sei ein dual-use-Material und könne zur Herstellung vieler Dinge wie Pestizide oder Plastik verwendet werden, aber es sei auch notwendig zur Produktion des Nervengases Sarin.

Zunächst hatte man in den USA unterstellt, der Frachter Sosan liefere die Scud-Raketen an den Irak (Nordkorea will den Irak-Konflikt ausbeuten). Doch dann hatte Jemen sich über die Beschlagnahme beschwert und die Raketen verlangt. Die US-Regierung musste beigeben, da sie auf den Jemen angewiesen ist. Doch seitdem hat sich der Nordkorea-Konflikt weiter zugespitzt, nachdem das Regime zunächst eine stillgelegte Wiederaufbereitungsanlage, mit der sich waffenfähiges Plutonium herstellen lässt, wieder aufgenommen wurde und seitdem das Regime immer aggressiver gegenüber der US-Regierung auftritt. Die würde das Problem zwar lieber dem UN-Sicherheitsrat anheimgeben, kann sich aber dem Konflikt nicht entziehen, der die amerikanische Irak-Politik empfindlich stört. Die US-Regierung überlegt neue Sanktionen, vor allem um die Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Nordkorea verfügt nicht nur über chemische und biologische Waffen, sondern wahrscheinlich auch über Langstreckenraketen. Es wäre auch imstande, Nuklearwaffen herzustellen.

Die Lieferung von Natriumcyanid an Nordkorea stellt möglicherweise eine Verletzung der freiwilligen Exportbeschränkungen der sogenannten Australischen Gruppe dar, der auch Deutschland beigetreten ist. Die Beitrittsländer verpflichten sich, auf einer Liste aufgeführte Techniken und Substanzen, die zur Herstellung von biologischen und chemischen Waffen benutzt werden können, durch Ausfuhrgenehmigungsregeln zu kontrollieren, so dass sie nicht in die falschen Hände gelangen sollen. Tatsächlich wird hier "Sodium Cyanide" aufgeführt, allerdings mit der Kennzeichnung "non listed".