Die Amerikaner werden sesshafter

Seit den 1980er Jahren ist die geografische Mobilität drastisch gesunken

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Die USA waren wegen der hohen Mobilität der Menschen bekannt. Oft wurde dies auf dem Hintergrund der Pioniere gesehen, die - Go West! - den Weg ins Unbekannte antraten, um dem amerikanischen zu folgen und ein besseres Leben zu finden. Vor allem seit dem beginnenden 20. Jahrhundert zogen die Menschen massenhaft schnell dahin, wo es Arbeit gab, und wechselten ebenso schnell an einen anderen Ort, der mehr Chancen zu bieten schien. Die meisten Amerikaner zogen mehrmals in ihrem Leben um und durchquerten dabei mitunter mehrmals die USA vom Westen nach dem Osten, vom Norden nach den Süden oder umgekehrt. Aus der Mobilität entwickelten sich die Mobilhäuser, die sich versetzen lassen, oder die Trailer Parks, wo die Menschen in Wohnwagen leben, die zwar primitiver und kleiner sind, aber auch von einem PKW gezogen werden können. Aber seit 1980er Jahren ist die Mobilität zwischen den US-Bundesstaaten kontinuierlich und seit den 1990er um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. Aber warum sind die Amerikaner sesshafter geworden?

Mobile Homes fertig zum Verkauf. Bild: Riverview Homes/CC-BY-SA-3.0

In den 1950er und 1960er Jahren konnten die Amerikaner noch gut als Volk auf Reisen betrachtet werden. 20 Prozent sind damals jährlich umgezogen, 5 Prozent von einem Bundesstaat in einen anderen. 2012 waren es nur noch 12 Prozent oder 31 Millionen. 2012 zogen fast Zweidrittel innerhalb eines Counties um, die Umzüge von einem Bundesstaat in einen anderen nahmen gegenüber 2011 leicht zu, aber dies machten dennoch nur um die 3 Prozent.

Auch wenn man längere Zeitabschnitte betrachtet, wird die Veränderung der Mobilität deutlich. Zogen in den 5 Jahren von 1965 bis 1970 40,1 Prozent der Amerikaner mindestens einmal um und 9 Prozent von einem Bundesstaat in den anderen, so waren es von 2005 bis 2010 nur noch 35,4 Prozent bzw. 5,6 Prozent. Interessant ist auch, dass zwischen 2005 und 2010 15,4 Millionen von Großstädten weggezogen, aber nur 11 Millionen in diese zugezogen sind. Dagegen sind die Vorstädte (suburbs) weiter gewachsen. Hierhin zogen 17,9 Millionen, während nur 9,2 Millionen diese verließen, in der Regel, um in eine andere Vorstadt umzusiedeln.

Was sind die Gründe für die abnehmende Mobilität innerhalb der USA? Verliert die amerikanische Gesellschaft ihre Dynamik? Sind die Menschen weniger flexibel? Ist es eine Folge der älter werdenden Gesellschaft? Sind die Kosten eines Umzugs gestiegen, beispielsweise durch eine Erhöhung des Anteils der Hausbesitzer? Mit der wachsenden Zahl der Doppelverdiener-Haushalte, in denen Mann und Frau arbeiten, könnte der Druck zum Wegzug und zur Suche einer neuen Arbeitsstelle geringer werden, wird ebenso vermutet wie eine Landflucht in die Städte, die seit den 1980er Jahren abflacht. Tatsächlich sind Bevölkerung und Arbeitsmöglichkeiten in Großstädten und urbanen Regionen gesunken, in den weniger dicht besiedelt Gegenden aber gestiegen. Sie bieten vielleicht mittlerweile ähnliche Annehmlichkeiten wie Städte, während mit den billigen Kommunikations- und Transportmöglichkeiten auch die Notwendigkeit von Unternehmen, sich in oder an Städte anzusiedeln, geringer wurde. Klar scheint jedenfalls zu sein, dass sich der seit 30 Jahren zu beobachtende Rückgang der Mobilität kaum mit der Finanzkrise und den Einbrüchen auf den Immobilienmärkten zurückführen lässt.

Es hat sich vor allem die Struktur des Arbeitsmarkts geändert, schreiben drei US-Ökonomen in einem Paper. Die Mobilität ist in allen Altersgruppen gleichermaßen gesunken, auch ob jemand Mieter oder Eigenheimbesitzer ist, spielte keine Rolle. Auch die Ausbildung scheint keinen Einfluss zu haben. Und die Vermutung, dass steigende Immobilienpreise zu Wanderungsbewegungen führen könnte, lässt sich ebenfalls nicht bestätigen.

Aufgrund von Daten von Langzeitstudien zeigt sich für sie ein wesentlicher Grund für höhere Sesshaftigkeit oder mehr Umzüge innerhalb eines County bzw. in einen benachbarten: Mobilität lohnt sich nicht, da die Lohnzuwächse bei einem Wechsel des Arbeitgebers geschrumpft sind, während die Lohnzuwächse, wenn man beim selben Arbeitgeber bleibt, gleich blieben.

Auffällig sei auch, dass die Abwerbeangebote anderer Arbeitgeber geringer wurden. Seit etwa 2000 sei für die Höhe des Gehalts die Einstellung ausschlaggebend, was heißt, dass Arbeitsverträge weniger oft als früher verhandelt werden, was wiederum heißt, der Arbeitgeber wird weniger oft gewechselt.

Über die Gründe kann nur spekuliert werden, die Autoren vermuten, dass entweder der Anteil der Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen kleiner geworden ist, wofür viel spricht, oder dass die Lohnpolitik der Arbeitgeber sich stärker vereinheitlicht hat, was wiederum bedeuten würde, dass sich die geografischen Unterschiede des Arbeitsmarkts in den USA nivellieren. Eine andere, weniger wahrscheinliche Möglichkeit wäre, dass Arbeitnehmer und Unternehmen einander besser finden, weswegen beide in einem kleineren Spektrum von (räumlichen) Möglichkeiten suchen. Grundsätzlich gehen die Autoren davon aus, dass die Mobilität nicht wegen höherer Kosten, sondern aufgrund geringerer Gewinne sinkt. Allerdings muss die These der Nivellierung mit Vorsicht genossen werden, denn tatsächlich findet weiterhin eine räumliche Ungleichheit statt, die mit der Einkommensungleichheit wächst. Möglicherweise also schrumpft die geografische Mobilität im Zusammenhang mit der geringen sozialen Mobilität (USA: Armut als Schicksal).

Die Gründe bleiben Vermutungen, schon zuvor ist eine andere Studie auf eine etwa andere Erklärung gestoßen. Sie kommen zum Ergebnis, dass sich der Arbeitsmarkt in den USA nivelliert hat, also dass es sich weniger lohnt, woanders einen Job anzunehmen, weil die Gehälter keine so großen Unterschiede mehr aufweisen. Daneben gebe es aber einen zweiten Grund: Die Menschen haben mehr Zugang zu Daten, um sich zu informieren, bevor sie sich auf ein Abenteuer einlassen. Dabei hilft nicht nur das Internet, auch die Reisekosten sind billiger geworden, so dass man es sich auch eher leisten kann, sich erst einmal umzuschauen, bevor man wegzieht.

Interessant ist eine weitere Studie, in der Mobilitätsdaten der USA mit denen in der EU verglichen wurden. In der EU wird zwar nicht regelmäßig die Mobilität erfasst, aber 2005 wurde in einem Eurobarometer danach gefragt, während ebenfalls 2005 eine Arbeitsmarktumfrage für einige Länder vorgelegt wurde. Danach bestätigt sich, dass zumindest in diesem Jahr die Mobilität in den USA deutlich höher als in den meisten europäischen Ländern ist. Allerdings sind in Großbritannien und den skandinavischen Ländern die Mobilitätsraten ähnlich hoch, in Dänemark und Finnland sogar ein weniger höher als in den USA. Angestiegen in der EU ist bekanntlich die Mobilität zwischen den Ländern, was auch darauf hinweist, dass ein Vergleich zwischen den USA, wo die Mobilität in und zwischen Counties und Bundesstaatenerfasst wird, und der EU mit ihrer Freizügigkeit schwierig bleibt. Bis zur Finanzkrise war allerdings generell die grenzüberschreitende Mobilität in den süd- und osteuropäischen Ländern geringer als in den nördlichen Ländern.