Die Angst vor dem Hochhaus

Eigentlich will New York - wie es sich für die Supermacht unter Bush gehört - mit dem Entwurf von Libeskind wieder an die Wolkenkratzerspitze der Welt, viele New Yorker würden es aber lieber kleiner haben

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Mit den Anschlägen auf die Türme des World Trade Center hatten die Terroristen ein markantes Ziel treffen und zerstören wollen. Das ist ihnen auch auf eine Weise gelungen, dass Medien den Schock und die gebannte Faszination über die Bilder der einschlagenden Passagierflugzeuge, die brennenden Türme und deren Einsturz weltweit verbreitet haben. Das derartig globale Ereignis hinterließ in New York eine Wunde, die symbolisch wieder aufgefüllt werden will. Aber nicht mit dem höchsten oder einem sehr hohen Bauwerk der Welt sagen die New Yorker.

WTC-Türme

Als die beiden Türme des WTC im Jahre 1973 fertiggestellt wurden, waren sie natürlich die höchsten Welt. Sie lösten 40 Jahre der Lufthoheit des Empire State Building ab, das natürlich auch in New York stand. Wolkenkratzer symbolisierten damals noch Fortschritt und erschienen zugleich als eine Möglichkeit, wie sich möglichst viele Menschen und Funktionen auf knappem Grund massieren lassen. Gleichzeitig waren sie architektonische Herausforderungen. Die immer weiter in den Himmel getriebenen Phalli erfüllten zudem nicht nur die Funktion, ein Stadtbild deutlich zu markieren, sondern sind eben auch Zeichen der Potenz durch ein beeindruckendes Erhabenes. Wer den höchsten Turm hat, der ist gewissermaßen auch am besten.

Aber in der Konkurrenz um die Weltmetropole blieb New York mit dem WTC (417 Meter) nicht lange mit der Nase vorn. Schon ein Jahr später überholte Chicago mit dem Sears Tower (441 Meter) New York recht deutlich. Erst sehr viel später begannen die Asiaten, die wirtschaftlich aufholten, die Amerikaner zu übertrumpfen, während das Alte Europa fassungslos zurückblieb. 1998 waren die Petronas Türme (452 Meter) in Kuala Lumpur, Malaysia, fertiggestellt. Das Land hatte sich im Fortschrittsrausch der New Economy daran gemacht, sich wirtschaftlich und technisch an die Spitze der Welt zu katapultieren - und nun das erste Mal die USA überholt (auch wenn manche den Rekord nicht anerkennen, weil der Sears Tower noch immer das höchste Stockwerk besitzt).

Petronas-Türme

Vorerst sind die Träume eingeschlafen, aber die Türme blieben zurück, die noch immer die höchsten der Welt sind. Allerdings liefern sich nun China und Indien einen Wettstreit (Wolkenkratzer für das nächste Jahrtausend). Vielleicht ist das höchste Gebäude in den nächsten Jahren mit 500 Metern das Shanghai World Financial Center oder Union Square Phase 7 (480 Meter) in Hongkong. In Dubai will man vielleicht noch dieses Jahr mit dem Bau eines 560 Meter hohen Turms für 1,8 Milliarden Dollar beginnen, der zunächst für Australien geplant war, aber dort abgelehnt wurde. Indien könnte möglicherweise mit dem Center of India Tower (677 Meter) in Katangi alles mit großem Abstand hinter sich lassen. Sollte dieser Turm jemals gebaut werden, so würde das auch den erneuten Übergang von der Wirtschaft zur Religion bedeuten, denn Bauherr wäre die Maharishi-Gruppe.

Der Anschlag auf die WTC-Türme war für viele Menschen, die in Städten oder in hohen Türmen leben und arbeiten, ein Schock, weil sie plötzlich merkten, wie riskant es sein kann, in solchen räumlichen Verdichtungszonen sich aufzuhalten. Es sind genuine Ziele für Angreifer, die einen möglichst großen Schaden und möglichst viel Panik auslösen wollen. Für viele Amerikaner zog damit der Krieg in die Heimat ein, fühlte man sich nirgendwo mehr sicher. Und zudem war der Anschlag auf die Türme wohl auch eine Demütigung, die in den Bildern weltweit gesehen werden konnte. Amerika erlebte eine bis heute anhaltende Patriotismuswelle, gepaart mit Rachewünschen und Angst, weswegen die US-Regierung, die sich der Emotionen geschickt bediente, einen weltweiten Krieg starten konnte, der versprach, alles Böse auszurotten.

Die Leere

Symbolisch wie die Zerstörung musste denn auch das sein, was die von den Anschlägen hinterlassene Leere auffüllen sollte. Nur Erinnerung durch die Lücke wollte man nicht aushalten, es musste auch die Entschlossenheit, die Größe und die Geste darstellen, dass man sich dadurch nicht aus der Bahn werfen lässt. Die ersten sechs Entwürfe, die von der Ende November gegründeten Lower Manhattan Redevelopment Corporation (LMRC) im Sommer des letzten Jahres vorgestellt wurden, fanden nicht die Zustimmung der Bevölkerung - und sicherlich auch nicht die von Bush. Tausende von New Yorkern durften in "Listening to the City" ihre Meinung dazu äußern. Die Bebauung wurde allgemein als zu klein und bedeutungslos empfunden, gaben für die Skyline nichts her. Dem Anlass und der Nation gemäße Größe war also gefordert.

Listening to the City am 20. Juli 2002

Im Dezember stellte man schließlich weitere sieben Entwürfe zur Auswahl vor, ließ aber nicht mehr so viele Menschen an der Entscheidung teilnehmen. Ende Februar fiel die Entscheidung auf den Entwurf "Gardens of the World" von Daniel Libeskind, der "majestätisch" genug erschien. Immerhin ist in seinem Vorschlag ein imposanter transparenter Turm in Höhe von 560 Metern enthalten, was New York zumindest zeitweise wieder an die Spitze der Welt bringen würde. Auch die Höhe selbst soll symbolische Bedeutung haben: Die 1776 Fuß sollen an das Jahr der Unabhängigkeit der USA erinnern. Sicherlich war es die Höhe, aber man entschied sich für Libeskinds Entwurf auch, weil er die beiden Fundamente der Türme frei lässt und so Raum für einen Park, aber auch für eine Gedenkstätte bietet. Überdies sollen die Grundmauern bewahrt werden, um, so Libeskind, die "heroischen Fundamente der Demokratie" zu zeigen.

Nicht nur Weltspitze, sondern auch bedeutungsdurchtränkt

Nach einer aktuellen Umfrage der Quinnipiac Universität sind die New Yorker aber nicht mehrheitlich von dem Entwurf Libeskinds überzeugt. Die Meisten wollen lieber kleinere und unauffälligere Gebäude, weil das mehr Sicherheit mit sich bringt, während höhere Gebäude möglicherweise neue Anschläge provozieren könnten. 57 Prozent sind so dagegen, das höchste Gebäude an die Stelle des WTC zu bauen. 39 Prozent sehen hingegen ein großes Gebäude als ein Zeichen für die Wiederauferstehung der Stadt an, das aber für 52 Prozent wiederum zum Ziel von Angriffen werden könnte.

Lieber also ein wenig ducken und nicht so protzen, dafür aber sicherer. Das freilich steht in krassem Widerspruch zur Politik von George W. Bush, der auf Macht und Größe setzt - und wahrscheinlich am liebsten in New York den weltweit größten Turm hätte.