Die Befreiung des Geistes aus der Flasche

Die Evolutionsbiologie und die Erklärung der menschlichen Kreativität II

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Genau-so-Geschichten sind leider der größte Teil dessen, was in der Evolutionspsychologie als erklärender Diskurs gilt, wozu auch deren Anwendung auf die menschliche Kreativität gehört. Obwohl sie an sich oft interessant sind, sollte man sie am besten als Bestandteile einer vorwissenschaftlichen Methode betrachten, die mit komplexen historischen Daten zurechtkommen will.

Warum es nicht genau so ist

Derartige Geschichten beginnen mit der Übernahme des Anpassungsprogramms, wie es Gould und Lewontin (1979) verstanden haben sollen, indem sie sich vor allem das Postulat einverleiben, daß es bei Organismen beobachtbare Eigenschaften deswegen dort gibt, weil sie die Ausbreitung von Kopien der mit ihnen verbundenen Gene fördern. Eigenschaften sind, mit anderen Worten, adaptiv. Die natürliche Selektion, der primäre Motor des evolutionären Wandels, trennt sie von konkurrierenden Optionen ab. Um die spezifischen Strukturen, Funktionen oder Verhaltensweisen zu verstehen, akzeptieren wir, daß sie Anpassungsleistungen sind, und versuchen zu erraten, was ihnen eigen ist, um der Verbreitung der Gene dienen zu können.

Aber müssen sie Anpassungen sein? Natürlich nicht. Unser Blick auf die Mikro- und Makroevolution sowie die Physik der Ontogenese hat deutlich gemacht, daß eine beliebige Zahl von "Kräften" am Werk ist, um die biologische Vielfalt und das Aussehen des Organismus zu formen. Die natürliche Selektion ist nur eine von diesen Kräften. Ihre Vorherrschaft muß für jeden Fall sorgfältig mit Daten bewertet werden, die die vergleichbaren Rollen aller Elemente des Evolutionsprozesses beleuchten. Wenn man dies nicht macht, riskiert man, Trugschlüsse zu ziehen und ungerechtfertigte Erklärungen zu geben. Das sowie zwei weitere Eigenschaften der Gerade-so-Geschichten, die wir gleich behandeln, sind der Grund, warum der Anpassungsdiskurs eine solche Debatte auch unter Evolutionstheoretikern auslösen kann.

Ein verbreiteter Zusatz zu den Gerade-so-Geschichten ist der extreme genetische Reduktionismus, der auf der falschen Formel "Gen --> Eigenschaft" beruht (man vergleiche damit die zuvor besprochene Formel: "Veränderung der Gene --> möglicherweise Veränderung der Eigenschaft"). Individuen duplizieren sich nicht selbst im Reproduktionsprozeß. Sie replizieren ihre Gene und schleudern diese dann in die Zukunft. Wenn ein Gen der Bauplan für eine Eigenschaft wäre, dann wäre es leicht, Individuen als passive, von den Genen programmierte Behälter für die Replikation von Polynukleotiden darszustellen. Alle Eigenschaften wären dann nichts anderes sein als Mittel, die der expansiven Replikation des Erbmaterials dienen. Wie wir weiter oben sahen, ist die unterschiedliche Replikation von Genvarianten eine universelle Eigenschaft der biologischen Evolution, aber nicht deswegen, weil ein Gen mit einer Eigenschaft gleichzusetzen ist oder weil alle Gene zusammen einen Bauplan bilden, dem der Organismus bereits wie ein Homunculus innewohnt.

Wie die Gleichnisse des Neuen Testaments belehren und unterhalten Gerade-so-Geschichten. Wir werden später einige kennenlernen. Als wissenschaftliche Gegenstände sollte man sie, wie ich lieber vorschlage, als Produkt - und nicht als Meisterwerk - einer jungen Wissenschaften sehen, die dabei ist zu entdecken, wie man überprüfbare Voraussagen über die biologische Geschichte macht. In den Händen der gegenwärtigen Meister dieses Genres, wie beispielsweise Dawkins (1976) oder Wilson (1978) lenken sie die Aufmerksamkeit auf zentrale Themen der Anpassung und lösen Dikussionen aus. Aber sie sind kein Ersatz für falsifizierbare Hypothesen, d.h. für Vermutungen, die nicht nur das Bekannte rationalisieren, sondern die es wagen, Voraussagen zu machen, und dann zum allgemeinen Nutzen zerschmettert werden.

Was wir wissen

Wir sind eine junge Art, und die "Familie" unserer Art ist ebenfalls ein Kind, gerade einmal 5-7 Millionen Jahre alt, ein Augenblick in der Zeit der Makroevolution. Ein paar Stunden in einem Anstellungsgespräch oder ein Prüfungsausschuß für die Promotion in einer Fakultät werden selbst den überzeugtesten Sapiensphilen daran erinnern, daß wir hinsichtlich der großen Parameter unseres Sozialverhaltens ebenso wie hinsichtlich der Anatomie und Physiologie ganz Primaten geblieben sind. Auf dem Hintergrund aller sozialen Arten, die wir gegenwärtig kennen (Wilson, 1975, ist hier als Quelle noch immer einzigartig, s.a. Trivers, 1985, und Tudge, 1996), stellen wir die "Primatenverpackung" nicht zu sehr heraus.

Genetisch stehen wir bei allen oberflächlichen körperlichen und kognitiven Unterschieden unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, sehr nahe. Schimpansen und Menschen sind einander in anatomischen Einzelheiten, in der Physiologie, der Struktur der Chromosomen, der Biochemie und der Gensequenzen tatsächlich so nahe, daß sie vielen Paaren von Tierarten wie Fruchtfliegen und Vögeln gleichen, von denen wir wissen, daß sie sich erst während der letzten Million Jahre getrennt haben! In seiner neuen Übersicht über die menschliche Evolution, die der interessierte Leser für viel breiteren Hintergrund heranziehen kann (s.a. Tattersall, 1993), weist Jared Diamond (1992, 1995) darauf hin, daß neuere Untersuchungen den Prozentanteil unseres Genoms, in dem wir uns wirklich von Schimpansen unterscheiden, mit 1,6 % angeben. Diese Zahl geht auf unter 0,2 % zurück, wenn man die sogenannte "Junk"-DNS mit berücksichtigt, einen freien Text aus Polynukleotiden, der keine bekannte Funktion besitzt.

Derartig kleine Zahlen sind bemerkenswert, aber sie sollten einen nur aus der Perspektive eines extremen genetischen Reduktionismus überraschen, der eine direkte Verbindung zwischen den Genen und dem "fertigen" Organismus zu ziehen sucht. Man wird sich der Diskussion über die nichtlineare Dynamik erinnern, daß sogar kleinste Veränderungen zu großen Wirkungen führen können, wenn sie ein System über eine Schwelle stoßen und so eine große Änderung auslösen, beispielsweise eine Explosion des Gehirnvolumens oder die Umgestaltung des Kehlkopfs. In der nichtlinearen Welt können 0,2 Prozent und noch weniger viel verändern, wenn die Bedingungen stimmen. Ich kenne gegenwärtig keinen empirisch begründeten Hinweis darauf, daß uns eine solche nichtlineare Bifurkation von unseren Primaten- und Hominidenverwandten trennt. Aber die Idee ist interessant.

Das Muster der körperlichen Evolution, die sich in ausgezeichneten Funden von prähumanen Fossilien und Artefakten zeigt, legt nahe, daß die Fingerabdrücke der Kreativität an unserer Geschichte einer sorgfältigen Deutung bedürfen. In der Paläowelt unserer Vorfahren scheint, um es kurz zu sagen, die Kreeativität für lange Zeit sehr langsam gewirkt zu haben. Vor vier Millionen gingen die Hominiden bereits aufrecht und auf zwei Beinen. Zwei Millionen Jahre später hatte sich Homo habilis in Ostafrika verbreitet und nahm das Gehirnvolumen der Hominiden zu (etwa 650 Kubikzentimeter, während Gehirnvolumen bei Schimansen 400, beim Australopithecus africanus 450, beim modernen Menschen 1200-1400 beträgt; Tobias, 1971, 1979). Eine Explosion des Schädelumfangs auf ungefähr 900-1000 Kubikzentimeter ereignete sich beim nachfolgenden Homo erectus vor 1,5 - 1,7 Millionen Jahren. Vor etwa 100000 Jahren nahm es mit dem Auftreten des ersten anatomisch modernen Homo sapiens in Südafrika noch einmal zu.

Vor fünf Millionen saßen wir sozusagen noch immer in den Bäumen. Drei Millionen Jahre später stehen wir aufrecht und verwenden einfache, aber leistungsstarke Steinwerkzeuge. Fast zwei Millionen Jahre danach benutzten wir noch immer Steinwerkzeuge, auch wenn es eine größere Vielfalt gab und sie auf beeindruckende Weise verbessert wurden. Währenddessen wurde das Feuer gezähmt und begannen schließlich einige, ihre Toten zu begraben, was vielleicht von Ritualen der Körperbemalung ist der Zeit vor dem Begräbnis begelietet wurde. Wenn man aber alles nur auf der Grundlage von materiellen Funden sieht, dann hat die Kreativität der Hominiden während der Zeit einer Viertelmillion von Generationen unsere erfundene Welt genausoviel verändert, wie die Geschicklichkeit eines modernen Kindes den Inhalt seines Zimmers in den Dutzend Jahren zwischen Kindergarten und College verändert.

Aber dann setzte die materielle Kreativität vor 40-50000 Jahren in Westeuropa ein, 50000 Jahre nach dem Auftreten von Menschen, deren Gehirne so groß und deren Skelette so aufgebaut waren wie die unseren: spezialisierte und zusammengesetzte Werkzeuge, gebaute Unterkünfte, Handel über große Entfernungen, die Meisterwerke der Höhlenkunst, die über Jahrtausende in Lascaux die Zeit überdauerten, und die damit verbundenen, aber vergessenen Heiligtümer. Der Restb ist Geschichte.

Abbildung 6. Was ist im Pleistozän geschehen? Gemälde von Nick Woolridge; Photo von Charles Lumsden.

Unsere immer raffinierter auf das Geflüster des Nachthimmels eingestellten Radioteleskope könnten uns eines Tages in Kontakt mit einer alten, den Weltraum bereisenden Art bringen, die in den Grabenbrüchen der Hominidenzeit umherging, so daß wir schließlich in ihren Exo-Anthropologie-Büchereien die Verhaltensweisen von Homo habilis und Homo erectus sehen und ihre Stimmen hören werden. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir uns aber an die Fossilien und an die stummen Steinfunde halten und sie so gut wie möglich deuten, wobei wir uns an ihre inhärenten Ausrichtungen und nicht an das Summen der intragalaktischen Störungen halten müssen.

Diese Ausrichtungen sind besonders für die paläopsychologischen Rekonstruktion der langsam verlaufenden evolutionären Morgendämmerung der Kreativität wichtig, weil unsere Daten auf das beschränkt sind, was uns die Geschichte anbietet. Wie Weichtiere, die in den warmen Ozeanen lebten und bei ihrem Verschwinden nur zufällige und verwackelte Spuren in den Tiefen des Meeresgrunds hinterlassen haben, werden viele Ergebnisse des kreativen Prozesses keine materiellen Überreste gebildet haben. Zumindest werden die Spuren schwer zu entdecken sein, wenn sich die Wissenschaftler wie jetzt üblich auf die Entdeckung und Diskussion von Erfindungen konzentrieren und nicht die weit schwierigere Aufgabe übernehmen, die Existenz eines Produkts von seinem Einfluß abzuleiten, den es auf sekundäre oder höher gelagerte Wirkungen ausgeübt hat. Wenn man mit farbigem Sand sein Meisterwerk erzeugt, dann ist dieses mit dem nächsten Wind verschwunden. Die Rhapsoden von neuen Variationen der homerischen Gesänge mögen es in der oralen Tradition erlebt haben, daß diese Varianten verschwunden und mit anderen verschmolzen sind, wenn sie zum geistigen Eigentum anderer Meister des Mündlichen wurden.

Auch Delphine können es

Wir können uns die kreativen Handlungen anderer Arten ebenso ansehen wie unsere eigene Kultur mit ihrer verrückten Geschwindigkeit des Just-in-Time-Veraltens und der nächsten Mode, um diese Flüchtigkeit der Kreativität zu erkennen. Ohne die geduldige Feldarbeit der japanischen Primatologen (Kawy, 1965), würde die Erfindung des Waschens von Kartoffeln durch Imo, dem Makakengenie, nur solche Spuren hinterlassen, die spätere Fossilienfunde von Populationsdichten, Lebensräumen oder Wanderungswegen zeigen. Könnten wir das Waschen von Kartoffeln mit unseren gegenwärtigen Methoden daraus herleiten?

Im Wasser lebende Säugetiere nehmen auch einen zweiten Platz hinter ihren Primatenverwandten auf dem Festland ein. Große Tümmler, Tursiops truncatus, eine Art, bei der einiges dafür spricht, daß sie neben einem erstaunlich großen Gehirn und einem bekannten Spieltrieb Selbstbewußtsein (Marten & Psarakos, 1994; Marten & Psarakos, 1995a, b) besitzen, haben unlängst eine neue Verhaltensinnovation im Sea Life Park auf Hawaii (Marten, Shariff, Psarakos & White, 1996) gezeigt. Obgleich ihnen die Greifmöglichkeiten der Menschen zur Gestaltung von materiellen Dingen fehlen, haben die Delphine des Sea Life entdeckt, wie sie ihr Atemloch zusammen mit ihren Fluken und Rückenflossen einsetzen können, um komplizierte, aber stabile Luftblasen in Form von großen Ringen und Spiralen zu formen. Luft und wirbelndes Wasser sind ihr Rohmaterial.

Die zur Herstellung auch der einfachsten Formen von luftgefüllten Ringen erforderliche Geschicklichkeit verlangt Übung. Marten und seine Kollegen berichten, daß das Verhalten in dem Sinn sozial vermittelt wird, daß neue Delphine in der Anwesenheit von geübten Ringeformern die Fähigkeit erwerben, Ringe zu bilden. Laka, ein weiblicher Delphin, die eine besonders gute Meisterin im Ringemachen ist, entdeckte noch eine Reihe weiterer Innovationen. Man hat sie beobachtet, wie sie Luftblasen aus ihrem Mund aufsteigen ließ und durch einen Stups zu einem Ringe formte, wenn sie an ihrem Körper vorbeigetrieben waren, und wie sie weitere Luft einem Ring einblies. Diese Verhaltensweisen wurden von anderen Delphinen genau betrachtet, die irgendwann mit deren Hilfe ihre eigenen Ringe machen werden. Ähnliche Verhaltensweisen wurden in anderen Meerwasserparks beobachtet, aber es ist eine wirklich seltene Fähigkeit. Auch wenn man gelegentlich bei wildlebenden Delphinen Unterwasserringe beobachtet hat, so scheinen sie hier eher in einem sozialen als in einem spielerischen Kontext vorzukommen.

Abbildung 7. Ringförmige Blase und ihr Produzent. Project Delphis photo.. Schützt die Delphine. Ein Aufruf von Dr. Ken Marten, Project Delphis Lead Scientist.

Die Auslösung von Kreativität ist genau wie die der Evolution opportunistisch. Während unseres nächsten Spaziergangs am Meeresstrand werden die Wellen nicht von den Errungenschaften von Laka und ihren Vorgängern berichten. Ihre Errungenschaften gehören einer erfundenen und flüchtigen Welt an. Delphine schreiben nicht, und Blasen werden zu keinen Fossilien. Ähnlich hat sich der Geist des Homo habilis, des Homo erectus und der ersten Angehörigen des Homo sapiens aufgelöst. Abgesehen von den offenischtlichsten und dauerhaftesten Spuren ihrer kreativen Tätigkeit, zu der auch ihre genetische Erbschaft in uns gehört. Daher sind die vorhandenen Daten auf die am wenigsten flüchtigen Zeichen ihrer geistigen Meisterwerke beschränkt - und man könnte vielleicht richtigerweise sagen, daß man hoffnungslos darauf beschränkt ist. Man benötigt Methoden zum Aufspüren der Spuren, die flüchtige Innovationen an solchen fossilen und paläokulturellen Dingen hinterlassen. Wie wenn man eine unsichtbare Schrift erscheinen läßt, indem man einen Brief über einer Kerzenflamme schwenkt, müßte die Botschaft der flüchtigen Kreationen, sofern dies möglich ist, der in den Steinwerkzeugen aufgezeichneten Geschichte der Erfindungskraft hinzugefügt werden.

Als echte Primaten sind wir von den neuen Dingen fasziniert, die wir mit der koordinierten Tätigkeit unserer Augen, unserer Hände und unseres Gehirns gestalten, um unsere Welt aus Texten, Apparaten und Dingen zu weben, an denen wir uns erfreuen, mit denen wir verführen und gefallen, unsere Welt verbessern oder ausbeuten wollen. Wir sollten in unserer Evolution nicht die Rolle unserer sozialen und flüchtigen Innovationen wie die ersten Gesänge und Geschichten unterschätzen (Kreindler & Lumsden, 1994). In unserer Kindheit prägt die Begegnung mit ihnen unseren Geist. Es kann keine ernsthafte evolutionäre These über Kreativität geben, bis eine Paläoarchäologie der flüchtigen Phänomene erschöpfend realisiert und vollständig mit den Daten des "Dauerhaften" verbunden und die Feldforschung über Spiel und Innovation bei den Tieren mit den Beobachtungen bei den Menschen verknüpft wurde.

Ich muß an dieser Stelle hinzufügen, daß die Arten als Produkte des Evolutionsprozesses kaum als dauerhafte Entitäten gesehen werden können. Bei der blinden und gleichgültigen Erforschung der organischen Vielfalt in der genetischen Evolution ist die Auslöschung die Norm. In besonders drängendem Gegensatz ist die Koevolution der Menschen und ihres Ökosystems keine Angelegenheit des blinden Zufalls, sondern sie wird durch die Entscheidungen bestimmt, die wir beim Verfolgen unserer Wünsche und Ziele treffen. Wir gestalten die Evolution der Menschheit und die der Milliarden anderen Arten auf unserem Planeten intentional - natürlich auch durch die Gentechnik und damit zusammenhängende esoterische Wissenschaften, aber vor allem viel unmittelbarer und pragmatischer durch unsere Erhaltungsmaßnahmen und unsere Umweltethik. Durch diese sind Laka und ihre Verwandten unmittelbar gefährdet. Man geht davon aus, daß durch das Abfischen unserer Weltmeere mit den modernen Schiffen und ihren Fangnetzen für Thunfischen jedes Jahr Millionen dieser Delphine getötet werden.

Abbildung 8. Das flüchtige Wesen kurzlebiger Innovationen wie den ringförmigen Blasen schließt die Untersuchung ihrer kreativen Erzeugung und Wahrnehmung in den von der Soziobiologie erforderlichen quantitativen, mathematischen Begriffen nicht aus. Ein Teil einer Seite des Notizbuchs des Autors. Photo: Charles Lumsden.

Nehmen wir einmal an, daß eine derartige Forschung der Zukunft eine Geschichte über die Evolution der Kreativität bei der Art Homo erzählt, die mehr oder weniger mit dem übereinstimmt, was wir jetzt wissen, so daß die kleinen Gruppen des Homo habilis und des Homo erectus, wenn sie sich in den Nächten des Pleistozän zusammendrängten, so wenige gemeinsame Ideen, Erzählungen, Zeremonien und Gesänge haben würden wie Werkzeugtypen. Dann wenden wir unseren Blick zurück auf die verwirrende Mißstimmigkeit zwischen fossilen Spuren, die eine schnelle Entwicklung zu größeren Gehirnen, geschickten Händen und dem Gang auf zwei Beinen offenbaren, aber nur einen langen und langsamen Anstieg beim Ausdruck der Kreativität in der Welt - ein Kriechen, das seinen Abschluß in einer Explosion materieller Innovation vor 400 Jahren fand.

Fallende Kehlköpfe und lärmende Nachbarn

Es gibt einige gute Geschichten von Evolutionstheoretikern, um die Phylogenie der Vielfalt der Artefakten mit dem darwinistischen Begriff der Anpassung zu versöhnen. Es lohnt sich, diese synthetischen Erzählungen anzuschauen, weil sie andere Entwicklungsmuster anbieten, bei denen die zuvor erwähnte Erkenntnis zur Unterstützung von Interpretationen bestimmter Funktionen verwendet werden kann. Wenn sie angemessen durchgeführt werden, könnten diese Interpretationen eines Tages einen Stand erreichen, der ihnen neuartige und falsifizierbare Vorhersagen zu geben erlaubt. Sehen wir uns ein paar Beispiele an.

Jared Diamond (1992, 1995), auf dessen Überlegungen zur menschlichen Paläobiologie ich bereits hingewiesen habe, ist der Meinung, daß sich das Mißverhältnis zwischen der schnellen Vergrößerung der Gehirngröße und der erfinderischen Vielfalt auf folgende Weise lösen ließe: Man halte 0,01 Prozent unseres Genoms zurück und setze voraus, daß vor 40000 Jahren Änderungen in ihm die gesprochene Sprache zu ihrer modernen Form entwickelt haben. Dann brach Kreativität aus, angetrieben von den vereinten Kräften der Sprache und der sprachlichen Erkenntnis in ihrer modernen Form. Ausgehend von primatologischen und anthropologischen Beispielen leitet Diamond ab, daß wir, bevor der Geist der Hominiden die moderne Sprache entwickelte, ein bißchen klügere Schimpansen waren, die sich in einer Sprache ähnlich der Pidgin- oder Kreolensprache äußern konnten. Veränderungen in diesem kleinen Abschnitt unseres Genoms gestalteten unseren Stimmapparat um und verbanden ihn auf geeignete Weise mit unseren bereits vergrößerten Gehirnen und ihren schon existierenden Verarbeitungskapazitäten. Jetzt konnten wir besser über neue Ideen sprechen und vielleicht, versehen mit einer leistungsstärkeren "Denksprache" im Sinne Fodors, Ideen in unseren Köpfen trennen und verknüpfen, wodurch zunächst leichter neue Ideen entstehen konnten. Die 60000 Jahre währende Zeitspanne zwischen dem frühen Homo sapiens und der kreativen Explosion verbesserte unsere Fähigkeit, Vokale und Konsonanten auszusprechen, und Bildung einer komplexeren Grammatik, wodurch wir den Homo erectus und neanderthaliensis hinter uns zurückließen.

Vielleicht war es so. Aber was hielt die kritischen 0,01 Prozent so lange zurück? Schließlich war es nur ein kleiner Schritt. Und können wir davon überzeugt sein, daß die Komplexität der grammatikalischen Kapazität des modernen Menschen eine notwendige Bedingung für Vielfalt der Artefakte im Oberen Paläolithikum war? Ist Sprache für Kreativität wirklich eine notwendige Voraussetzung? Was ist mit den Anpassungsmöglichkeiten, die durch kreativere Formen des sozialen Umgangs (Cheney & Seyfarth, 1990; Cosmides & Tooby, 1992) oder der Brautwerbung, der Paarungskonkurrenz und der sexuellen Orientierung (Trivers, 1985) entstehen? Nur die Sprache oder noch etwas anderes? Gab es vor dem Oberen Paläolithikum eine erfinderische Stasis, so daß dafür eine Metapher des explosiven, punktierten Gleichgewichts angemessen? Vielleicht nahm die Vielfalt während der ganzen Zeit auf die übliche Weise zu (Tobias, 1979). Viele evolutionäre Trends der Erneuerung geschehen beispielsweise in Exponentialfunktionen, bei denen das anfängliche Verhalten wesentlich exponentiell ist (Hamblin, Jacobson & Miller, 1973, bieten eine schönen Überblick über Beispiele aus der Zeitspanne, in der die neodarwinistische Synthese geschaffen wurde). Der Beginn einer Exponentialfunktion kann sehr flach aussehen und so erscheinen, als ob sie nur aus Stichproben mit grober Auflösung besteht. Wenn die exponentielle, also stetig ansteigende Zunahme und die stetig zunehmende Größe der Kurve über den Auflösungsgrad unseres Verfahrens hinauswächst, erhalten wir ein Signal, das einem Punkt gleicht, der plötzlich auf einem Radarschirm erscheint. Wenige Stichproben können ein graduell wachsendes Muster wie einen Sprung erscheinen lassen.

Abbildung 9. Indem er Sprache ermöglichte, war möglicherweise der evolutionäre Umbau des menschlichen Kehlkopfs ein entscheidender Vorgang in der kreativen Explosion. Zeichnung von Nick Woolridge.

John Pfeiffer (1982) verbindet den kognitiven und kreativen Aufschwung im Oberen Paläolithikum mit einer breiteren Perspektive der Veränderung, die auch das Bevölkerungswachstum und den stetig zunehmenden Druck auf die Menschen und das Land berücksichtigt. Grob gesagt wurde vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschen die Not zum wirklichen Ursprung von Erfindung und fanden kreativen Leistungen ein zunehmend aufnahmebereits Publikum: mehr Menschen, mehr hungrige und verängstigte Menschen in Not, mehr Menschen, um Neuigkeiten weiterzugeben, mehr Orte, an die man Neuigkeiten weitergeben konnte. Die Kreativität erzeugte Inovationen, die es den Menschen ermöglichten, schneller mehr Menschen auf die Welt zu bringen und den Zwang zur Innovation weiter zu erhöhen. (Vielleicht gab es das kreative Potential schon immer. Es schlief nur und wartete nur auf die Kälte der Not.) Die genetisch-kulturelle Verbindung schnappte ein und die "moderne" Periode einer schnell sich steigernden Kreativität brach in der Geschichte der Menschen aus. Die Last der kulturellen Information, die einen Druck auf immer kompliziertere Netzwerke von Gesellschaften ausübte, deren Mitglieder noch nicht schreiben oder lesen konnten, eröffnete Menschen neue Möglichkeiten, die malen konnten. Die unterirdischen Heiligtümer an Orten wie Lascaux wurden zu Sozialisierungsmaschinen. Die rhythmischen Zeremonien, die sensorische Deprivation und die Aussetzung an virtuelle Welten, die auf den Höhlenwänden in bezwingender Weise dargestellt waren, förderten die Verankerung von sozialen Gruppennormen und Wissen.

Vielleicht war es so. Das kann dabei helfen, ein Publikum zu finden, auch wenn selbst ein Leonard Bernstein oder ein Garth Brooks CDs pressen lassen müssen, wenn sie für eine Zukunft spielen, die eher dem Dauerhaften als dem Gemurmel des Ephemeren ergeben ist. Vielleicht aber wurde Kreativität nicht in irgendeine einfallslose Ebene eines Pseudoschimpansen eingepflanzt oder durch lärmende Nachbarn ausgelöst, sondern entwickelte sich kontinuierlich von einem Muster zum anderen, während die Hominiden sich von den Bäumen herabbegaben und beharrlich auf die Wolkenkratzer zuschritten. Merlin Donald (1993) hat behauptet, daß unsere Funde vom Homo erectus und vom frühen Homo sapiens die Spuren großer Veränderungen der mit der Kreativität verbundenen Kognition und Kultur trügen. Der Durchbruch des Erectus, was dessen (mögliche) transkontinentale Reisen und die Zähmung des Feuers erleichterte, führte zu einer großen Verbesserung der bewußten Bewegungskontrolle des ganzen Körpers, nicht nur des Stimmapparats, förderte die Mimesis und ermöglichte Wiederholung, Gemeinsamkeit und Planung - die Schaffung dessen, was Donald ein "gestisches Theater des Alltagslebens" nennt. Der zweite Durchbruch ist den Veränderungen ähnlich, die von Diamond erwogen werden, wozu die Umbildung des Stimmapparates und der dazu gehörigen Neuroanatomie, schnellere Sprachfertigkeiten und der Durchbruch zu einem der leistungsstärkeren Kanäle der ephemeren Kreation gehören: die lexikalische Erfindung und die Weitergabe des Vokabulars, die eine planende und auf Erzählungen gründende Entwicklung der Kultur stärkte (Kreindler & Lumsden, 1994).

Vielleicht war es so. Aber wissen wir, ob das kinematische Nachäffen beim Zurechtkommen mit den Herausforderungen des Homo erectus wichtiger als die kreolische Sprache war? Die menschliche Kreativität ist intentional und die Aktivität eines selbstbewußten Geistes. Wo ist das Bewußtsein und wie ist dessen Evolution mit der Geschichte der Kreativität verbunden? Vielleicht ging es zuallererst um die Anpassung an das Bewußtsein, um besser die Rivalen beim Spielen und bei der Paarung zu überlisten. Vielleicht war diese Transformation des Bewußtseins im Oberen Paläolithikum bereits vollzogen und vollendete ihre Entwicklung als unerwartetes Nebenprodukt beispielsweise im Umbau des Stimmapparates. Kreativität ist ein Flirt mit der Komplexität, mit den Risiken der Veränderungen, denen man gegen imaginäre Triumphe standhält. Die neuronalen Prozesse, die eine solche Fähigkeit ermöglichen, müssen zumindest in der Lage sein, eine Menge an Information im knappen Raum eines menschlichen Schädels zu bündeln und zu verarbeiten, der bereits von anderen Aufgaben belegt ist. Vielleicht ist die menschliche Kreativität in der Geschichte an einem Faden aufgehängt, der aus weniger als 0,2 Prozent unserer DNS gewoben wurde, aber die kritische Veränderung war möglicherweise nicht die Stimme oder die Sprache, sondern eine kleine Verbesserung in der kortikalen Vernetzung, die die paläolithische Bandbreite zur Verbindung von Ideen und zum Testen ihrer Leistungen aufsprengte. Vielleicht war es ein Bedürfnis nach einem besseren Schlaf, um den Streß des Gruppenlebens geringer zu halten, daß die neuronale Neuvernetzung für ein genau verändertes REM mit einem Ausbruch von Träumen und Kreativität begünstigte (z.B. Feldman, 1988; Kavanau, 1996). Evolution kann sich so ereignen, daß etwas in unerwarteten und sogar präadaptiven Kaskaden etwas anderes auslöst. Vielleicht.

Wunderbare Spekulationen wie die von Diamond, Pfeiffer und Donald können unendlich vermehrt werden. Sie sind Bestandteil einer mit der Wissenschaft verbundenen Mythologie, mit der wir uns selbst einen Sinn schaffen wollen. Selbst die besten Spekulationen, wie wir sie hier vorgestellt haben, die in ihrer Formulierung einfallsreich und in ihrer Verbindung unterschiedlicher Daten wertvoll sind, stellen nur Vermutungen dar. Da sie zu "weich" sind, um sie falsifizieren zu können, bieten sie mehr Induktionen als Deduktionen. Aber um das geht es auch nicht wirklich, wie ich glaube. Die Evolutionstheorie ist eine junge Wissenschaft von den komplexesten Schöpfungen der Natur. Wenn wir eine Evolution der Kreativität schreiben, die den Titel "wissenschaftlich" verdient, dann muß die künftige Forschung zu verstehen suchen, wie die adaptionistische Position selbst ebenso wie deduktive Modelle in ihr situiert werden können, indem beides, sofern erforderlich, unerbittlich dekonstruiert wird, wenn man die wirkliche Phylogenie der Kreativität aufdecken will.

COG bis zur Rettung

Die evolutionäre Wissenschaft der Kreativität gibt es nicht. Eines Tages wird es sie vielleicht geben, aber die Kompliziertheit der damit zusammenhängenden mentalen Phänomene und die Diskontinuität der Geschichte machen diese Aufgabe zu einem mühsamen, wenn nicht unmöglichen Unternehmen. Es ist, anders gesagt, unwiderstehlich. Daher würde ich gerne vorschlagen, daß man die folgenden Punkte im Bewußtsein halten muß, wenn wir unser Verständnis von der Evolution und der Kreativität näher zusammenbringen wollen:

- Es ist klar, daß irgendetwas im Oberen Paläolithikum geschehen ist. Nicht ganz so klar ist, ob es sich dabei um das erste Auftauchen eines schon lange zuvor im Hintergrund existierenden Signals, um einen evolutionären Durchbruch oder um etwas ganz anderes gehandelt hat. Wenn wir bessere Daten haben, dann wird es möglich sein, die Hypothesen der "stetig sich entwickelnden Vielfalt" und der "punktierten Kreativität" an den Fakten zu überprüfen.

- Quantititative Modellierungen können hilfreicher werden, um numerische Berechnungen der Kategorien von Artefakten mit der Kreativität zu verknüpfen. Eine gute evolutionäre Hypothese sollte die mathematische Form der Vielheitsfunktion in Zeiten wie der Explosion im Oberen Paläolithikum vorhersagen. Die ununterbrochene Kurve eines stetig erfolgenden exponentiellen Wachstums kann beispielsweise mit einem graduellen Fortschritt vereinbar sein, der die Kreativität des körperlich modernen Menschen mit der des frühen Homo sapiens und des Homo erectus verbindet. Ein Modell der Punktuation würde zumindest eine Veränderung der Geschwindigkeit im Übergang von einer Stufe zur anderen implizieren. In Modellen der Informationsausbreitung, die auf dem Konzept des "Filters" beruhen, bewegt sich Information in einem Gitter aus Informationsverarbeitung und Übertragungseinheiten von einem Ort zum anderen (Stauffer, 1985). Unterhalb einer bestimmten Schwelle der Leitfähigkeit zwischen den Einheiten, die neuronale Schaltkreise im Gehirn oder räuberische Gruppen sein können, die eine Gegend absuchen, können Signale keine fertigen Wege durch das System finden und Inputs zu keinen Outputs führen. Oberhalb der kritischen Schwelle wird jedoch die Information durch das System verarbeitet. Die mathematische Form der Antwort des Systems in der Nähe der Schwelle gehört zu einer begrenzten Zahl von Kategorien, die man Universalitätsklassen nennt. Zu welcher Universalitätsklasse gehört der Wandel im Oberen Paläolithikum? Dieser Sachverhalt begrenzt den Bereich der möglichen evolutionären und paläo-ökologischen Prozesse, die mit dem Wandel übereinstimmen.

- Rechnet Kreativität? Indem er bis an die Grenzen des Quantenuniversums geht, glaubt Roger Penrose, daß das kreative Denken des Menschen nicht berechenbar ist. Diese offen ikonoklastische Behauptung negiert das gesamte herkömmliche Denken in der Neuropsychologie und in den Kogntitionswissenschaften, für das der Geist in der Physik der Interaktionen zwischen neuronalen Zellen begründet ist. Obwohl diese Interaktionen vielleicht zu komplex sind, können sie, ähnlich wie andere physikalische Prozesse, numerisch untersucht werden. Auch wenn ich keine Vergleiche zwischen Arten kenne, ist der menschliche Geist letztlich eine Turingmaschine, die intentionale und allgemeingültige Berechnungen bis zu den Grenzen ausführen kann, die durch unsere beschränkten Gedächtniskapazitäten gesetzt sind (vgl. auch Tudge, 1996, S. 253).

Die universelle Turingmaschine steht an der Spitze einer Hierarchie von mathematischen Maschinen, die zunehmend leistungsstärkere Arten der Informationsverarbeitung umfassen (Einführung und Übersicht in Dufort & Lumsden, 1997). Der Moment, an dem der Geist der Hominiden eine mit der Universellen Turingmaschine vergleichbare Leistung erreicht, gilt als phylogenetischer Meilenstein. Doch Penrose würde uns noch viel weiter fortschreiten lassen, wenn er aufgrund seiner Untersuchung der mathematischen Erfindung sagt, daß Menschen Innovationen auf eine Weise hervorbringen können, die kein berechenbarer Prozeß zu leisten imstande ist. Es ist sehr wichtig zu erkennen, daß diese keine Behauptung über Begrenzungen ist, die durch endliche Ressourcen wie die Anzahl der Transistoren oder die Größe des Gedächtnisses zustandekommt. Es geht um die Grenzen aufeinanderfolgender Algorithmen, egal wie groß und komplex sie sein mögen. Man erinnere sich, daß Algorithmen oder deren Äquivalente die Grundlage aller mathematischen Zugänge zum Geist darstellen, wozu auch die bislang in Computermodellen kreativer Arbeit gebrauchten gehören. Wenn Penrose Recht haben sollte (Dennett, 1995, einer der vielen Verteidiger der traditionellen Lehrmeinung, formuliert die Gründe, warum viele glauben, daß Penrose danebenliegt), dann führen all diese Versuche in die Irre, weil Kreativität nicht Berechnung ist und irgendwann in der Evolution, wahrscheinlich auf dem Zweig, der zu uns führt, ein nicht-berechenbarer Geist mit unserem kreativen Phänotyp aufgetaucht ist.

- Berechenbarkeit kann Schöpferisches hervorbringen. In völligem Gegensatz zur Position von Penrose steht die Hypothese, daß sich Kreativität genau deswegen genau verstehen ließe, weil sie ein Algorithmus ist (Dasgupta, 1994; Langley et al., 1987). Dieser läßt sich niederschreiben und in einen Computer eingeben. Mindestens seit der Zeit von Campbells ersten Text über Variation und Speicherung (Campbell, 1960) haben evolutionäre Metaphern das Denken von Psychologen über menschliche Kreativität stimuliert (Gruber & Davis, 1988; Perkins, 1994, 1995; Simonton, 1993; Sternberg & Lubart, 1995). Digitale Verkörperungen wie BACON (Langley et al., 1987) und AARON (McCorduck, 1991) sind der nächste Schritt. Durch aufeinanderfolgende Algorithmen leisten sie anscheinend Kreatives in komplexen Bereichen wie dem der Physik (BACON) und dem der künstlerischen Zeichung (AARON). Vielleicht ist unsere bewunderte Kreativität viel einfacher, als wir glauben mögen. Penrose wird auf den Kopf gestellt. Aber Douglas Hofstadter hat zur Vorsicht aufgerufen: Die gegenwärtigen Kreativitätsmaschinen sind enttäuschend auf bestimmte Bereiche beschränkt und hängen von vielen vorher zu gebenden Hinweisen ab, um ihre angeblichen Schöpfungen und Entdeckungen zu vollbringen.

Figure 10. Rechnet Kreativität? Photo: Alex Wright.

Exotischere Software-Architekturen (Hofstadter, 1995; Minsky, 1986) können jedoch vielleicht wirklich Kreatives leisten und Evolutionswissenschaftlern ein neues logisches Kalkül für die Ausarbeitung von Hypothesen zur Paläokognition anbieten. Am vielversprechendsten in dieser Hinsicht ist das COG-Projekt von Richard Brooks am MIT, bei dem man versucht, in einem sozialen Roboter einen Geist wachsen zu lassen (mir fällt kein besseres Wort dafür ein), das dem eines Kindes ähnlich ist. Hier geht es nicht um die heftigen Diskussionen, die COG unter Kognitionswissenschaftlern ausgelöst hat, sondern darum, daß dann, wenn die ethischen Probleme, die durch das Spielen mit der Entwicklung von potentiellen (Quasi-)Personen entstehen, irgendwie gelöst sind, sogar ein bescheidener Erfolg mit COG die Paläopsychologie revolutionieren wird, weil die Lernregeln von COG nach Belieben verändert werden können und die Lernumgebung sich so gestalten läßt, daß sie mit allem Möglichem von Lascaux bis zur Lagerstatt eines Homo habilis übereinstimmt.

- Ein großer Geist ist wichtig. Aber wie groß muß er sein und für wen ist er wichtig? Die Kreativitätsforschung hat die Ergüsse von einigen großen Genies umfassend untersucht (Bloom, 1994; Boorstin, 1992; Gardner, 1993; Kearney, 1988; Perkins, 1981; Petroski, 1994; Simonton, 1988). Unsere Mythen ehren die Homers, die Newtons und die Michelangelos. Alles Genies und Heroen. Aber wir wisen nur wenig über den Einfluß solcher Individuen auf die Sozialgeschichte (Csikszentmihalys, 1988), ganz abgesehen von der Evolutionsgeschichte (Findlay & Lumsden, 1988). Was (oder wer) ist im Spiel von Katastrophe und Kontingenz wichtig (Shermer, 1993)? Die Chaostheorie hat den Schmetterlingseffekt zu einer modernen Parabel werden lassen: nichtlineare Systeme können in "chaotische Zustände" geraten, in denen sie besonders empfindlich für kleine Einflüsse sind (Lansdown, 1991). Das Wetter ist dafür ein bekanntes Beispiel: Der Schmetterling, der seine Flügel im Regenwald des Amazonas (oder Laka, die in Hawaii ihre Luftblase macht) lösen den Wirbelsturm aus, der die Golfküste von Texas verwüstet. Natürlich nicht immer. Die Bedingungen müssen dafür genau stimmen. Würden unsere kreativen Größen auf jeden Fall unsere Kultur beherrscht haben oder konnten sie dies nur, weil sie ihre Flügel genau zum richtigen Augenblick der Geschichte schlugen? Ist das der Schmetterlingseffekt in Aktion? Was war dessen Rolle in der Vorgeschichte und in der Evolution der Kreativität?

Der Geist wird aus der Flasche befreit

Auf unserem Ast des Evolutionsbaumes sitzen neben uns zahlreiche andere Arten, für die Spielen ein wesentlicher Mechanismus des Lernens und des Geschicklichkeitserwerbs in der Kindheit ist. Wir können auch die Gezeiten der Kreativität während der menschlichen Lebenszeit erfassen. Aber Evolutionsbiologen haben noch kaum damit begonnen, diese lebensgeschichtlichen Muster aufzugreifen und sie in den Kontext von anderen Arten zu stellen. Das ist ein Mangel, weil wir gesehen haben, daß die Evolutionswissenschaft nach einer neuen Vereinigung mit der Entwicklungsbiologie strebt. Wir können ganze Organismen nicht mit einem genetischen Reduktionismus erklären.

Nehmen wir zum Beispiel das Konzept der Neotonie, also die Fortdauer von Eigenschaften von der Kindheit bis zum erwachsenen Menschen (eine Übersicht bietet Raff, 1996). Die kugelförmige, stupsnasige Gestalt des menschlichen Schädels ähnelt der von jungen Menschenaffen mehr als der von ausgewachsenen. In einem klassischen Beispiel einer ontogenetischen Gerade-so-Geschichte verzögern genetische Veränderungen im Entwicklungsprogramm der frühen Primaten die Vergrößerungen des menschlichen Schädels und Kiefers und verleihen uns unseren flachgesichtigen Auftritt auf der Welt. Eine geschickte Argumentation über die menschliche Kreativität würde deren Ursprünge auf eine neotonale Verzögerung zurückführen, die das Spielen und den Wunsch nach Neuheit, Erkundung und Experimentieren, was bei vielen Arten in der Kindheit vorherrscht, bis zum erwachsenen Alter erhält. Aber hierzu muß man zweifelsohne mehr sagen.

Abbildung 11. Die künftige Evolution des kreativen Geistes beruht teilweise auf COG und seinen Nachkommen. In dieser Aufnahme aus dem Film "Ghost in the Shell", baut sich die Polizistin Motoko Kusanagi selbst in einer Welt zusammen, in der die Verschmelzung von Mensch und Maschine zu einer käuflichen Kunstform geworden ist. Mit Dank von Manga Entertainment Inc..

Evolutionsbiologen beginnen überdies den Psychologen (Gardner, 1992; Sternberg, 1985) in der Anerkennung verschiedener, auf bestimmte Gebiete wie Sprache, visuellen Ausdruck oder soziale Interaktionen spezialisierten Intelligenzformen (Cheney & Seyfarth, 1990) zu folgen. "Kreativität" wird noch immer zu oft als monolithische Vorliebe für Variation und Selektion betrachtet. Wurde Kreativität ausgelöst, weil die Hominiden eine Anpassungsmöglichkeit für einen Bereich wie den der Sprache fanden? Wurde diese Diversitätsmaschine dann durch die natürliche Selektion übernommen, um die Kreativität woanders zu ermöglichen, oder hat sich die menschliche Kreativität mehr als einmal in spezialierten Formen evolutionär entwickelt, um mit den unterschiedlichen Kontexten der Sprache, der Kunst und der Gesellschaft zurechtzukommen?

Eine sinnvolle Frage ist, was das künftige Nachdenken über derartige Puzzles davor bewahren kann, nur zu einer überquellenden Bibliothek von Anpassungsgeschichten unter dem Titel "Wie wir erfinderisch wurden" zu geraten. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als von der Evolutionstheorie das zu fordern, was wir von jeder Wissenschaft geschichtlich oder auf andere Weise erwarten, nämlich Vermutungen zu machen, die im harten Lichten neuer Fakten überprüft werden können. Es gibt gegenwärtig keinen Grund zu unterstellen, daß solche Überprüfungen die natürliche Selektion von ihrer Rolle als wesentliche Gestaltungskraft der biologischen Vielfalt und der organischen Form ablösen. Aber bessere Methoden werden uns ein genaueres Verständnis ermöglichen, wann und wo genau Anpassung wichtig gewesen ist und wie sie zusammen mit anderen Prozessen der Evolution den kreativen Geist und seine selbsterzeugte Nische, die Kultur, gestaltet hat.

Literatur

Weitere Kapitel erscheinen im Zweimonatsrhythmus.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer