"Die Bundeswehr soll nur Amtshilfe leisten"

SPD lenkt im Streit um Armeeeinsätze im Inneren ein - und fühlt sich trotzdem als Sieger. Ein Gespräch mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagfraktion

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Seit Jahren wird in Berlin über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren debattiert. Vor allem die Union drängte in der Debatte auf eine Änderung des Grundgesetztes. Am vergangenen Sonntag wurde schließlich eine Link auf /tp/blogs/8/116973 im Kabinett erzielt: Die SPD erklärte sich damit einverstanden, dass der Artikel 35 des Grundgesetzen so geändert wird, dass die Armee der Polizei im Bedarfsfall zur Hilfe kommen kann. Sie würde in diesem Fall "Amtshilfe" leisten, heißt es in Berlin beschwichtigend. Bislang war das bei Umweltkatastrophen der Fall. Künftig wird die Gefahr einer terroristischen Bedrohung aufgenommen.

Telepolis sprach mit Rainer Arnold über die Einigung im Kabinett. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion.

Herr Arnold, Ihre Partei, die SPD, hat sich unlängst mit den Christdemokraten auf die Möglichkeit geeinigt, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen. Bislang ist das durch das Grundgesetz untersagt. Haben sich die Sozialdemokraten damit dem Druck der Unionsparteien gebeugt?

Rainer Arnold: Nein, überhaupt nicht. Wir waren schon immer der Auffassung, dass wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Luftverkehrssicherheit nur den Artikel 35 des Grundgesetzes verändern können.

Das Verfassungsgericht hatte mit diesem Urteil Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für verfassungswidrig erklärt, zivile Passagiermaschinen im Gefährdungsfall abzuschießen.

Rainer Arnold: Wegen dieses Urteils beschränken wir uns auf eine Änderung des Paragraphen 35, der schon jetzt den Einsatz der Bundeswehr im Inneren in Friedenszeiten regelt. Er betrifft die Amtshilfe durch die Bundeswehr. Amtshilfe bedeutet, dass die Bundeswehr im Katastrophenfall - und auch ein terroristischer Anschlag ist ein Katastrophenfall - die Polizei unterstützen kann. An dieser Stelle wollen wir das Grundgesetz reformieren. In keinem Fall teilen wir die Ziele von Herrn Schäuble. Er wollte den Artikel 87 des Grundgesetzes ändern. In diesem Fall würden wir uns bei einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren quasi im Kriegszustand befinden.

Sie haben sich ebenso wie Ihr Parteigenosse und Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, Sebastian Edathy, mehrfach gegen den Einsatz der Bundeswehr als "Hilfspolizei" gewandt. Wäre das nicht aber nach der beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes gerade der Fall?

Rainer Arnold: Nein. Die Bundeswehr wäre zur Hilfspolizei geworden, wenn die Pläne von Herrn Schäuble realisiert worden wären. Er wollte die Truppe zum Beispiel auch beim Objektschutz einsetzen. Wir sagen: Die Bundeswehr kann nur dann im Inneren mobilisiert werden, wenn die polizeilichen Mittel nicht ausreichen. Das hat das Verfassungsgericht auch so bestätigt. Wir müssen deswegen gewährleisten, dass in diesem Sonderfall auch militärische Mittel eingesetzt werden können. Dies betrifft vorwiegend den Schutz des Luftraums, weil die Polizei keine Abfangflugzeuge hat, und dies kann auch innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone auf See gelten.

In bisherigen Stellungnahmen heißt es, der Einsatz der Bundeswehr werde auf den Katastrophen-, den Spannungs- oder den Verteidigungsfall beschränkt. Wie sind diese Szenarien aber definiert?

Rainer Arnold: Das Bundesverfassungsgericht dazu festgehalten, dass als Katastrophe auch ein terroristischer Anschlag zählt, oder aber ein geplanter Anschlag, der unmittelbar bevorsteht. Und wenn dort polizeiliche Mittel nicht ausreichen, wollen wir, dass die Bundeswehr mit Mitteln Hilfe leistet, über die die Polizei nicht verfügt.

Könnte denn auch eine Zuspitzung sozialer oder politischer Protestbewegungen zum Spannungsfall im Sinne eines geänderten Paragraphen 35 GG führen?

Rainer Arnold: Das sehe ich nicht so. Sollte eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestehen, dann können wir auf die Notstandsgesetzgebung zurückgreifen. Diese Gesetzgebung gibt es nunmehr schon seit 30 Jahren.

Nun befürworten Sie und Ihre Partei den Einsatz der Bundeswehr, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichen. Nun kann das jeder behaupten. Wer definiert diesen Bedarf an Mitteln denn?

Rainer Arnold: Das fällt in die Zuständigkeit der entsprechenden Behörden. Derzeit sind das die Innenminister der Länder. Bei Gefahr im Verzug wären der Bundesinnenminister oder der Minister der Verteidigung gefordert, vor allem wenn die Zeit drängt.

Was wäre ein solcher Fall?

Rainer Arnold: Stellen Sie sich vor, ein Schiff wird von Terroristen gekapert und steuert, mit Sprengstoff beladen, über die Elbe auf den Hamburger Hafen zu. Dieses Schiff könnte von der Polizei mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln derzeit nicht gestoppt werden.

Sie haben nun mehrfach auf Ihre Differenzen mit Innenminister Schäuble hingewiesen. Sie haben aber kein Problem damit, dass er alleine entscheidet, ob eine Gefahrenlage besteht und ob die Armee eingesetzt wird?

Rainer Arnold: Bei Gefahr im Verzug wäre der Bundesinnenminister gefordert. Abgesehen davon gibt es ja aber auch Krisenstäbe, die sich untereinander abstimmen. Ich bin allerdings schon der Meinung, dass die Frage der Zuständigkeit nach der Entscheidung im Kabinett noch offen ist. Unklare Zuständigkeiten schaffen nicht mehr Sicherheit.

Herr Arnold, auf Ihrer Internetseite haben Sie einen Artikel veröffentlicht, in dem es zur der Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren heißt: "Diese Vorstellungen der Union hätten einen nicht hinnehmbaren Interpretationsspielraum hinsichtlich der Befugnisse von Kräften der Inneren und Äußeren Sicherheit zur Folge." Sie haben dabei explizit auf die Änderung des Artikels 35 Grundgesetz Bezug genommen. Was hat sich seither geändert?

Rainer Arnold: Die Veränderung ist einfach: Inzwischen ist eindeutig definiert, dass die Bundeswehr nur im Zuge der Amtshilfe eingesetzt wird. Sie unterstützt die Polizei also und handelt nicht eigenmächtig.