Die Deutsche Kinderhilfe fordert zu Straftaten auf

Mit dem Aufruf machte sich die umstrittene Organisation eventuell selbst strafbar

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Nachdem die Pläne der Bundesfamilienministerin zur "Sperrung" kinderpornographischer Seiten einen Proteststurm hervorgerufen haben, springt ihr jetzt die Deutsche Kinderhilfe zur Seite.

Die Internetgemeinde hat in den letzten Wochen einen Erfolg verbucht: die massive Reaktion auf die angekündigten Netzsperren, die angeblich dem Schutz von Kindern vor Missbrauch und sexueller Gewalt dienen sollen, haben es ins Fernsehen geschafft. Sehr wohlwollend wurde über die Proteste berichtet, vor allem über die Internetpetition und über die Initiative von Missbrauchopfern gegen Internetsperren.

Das Fernsehen half dem Anliegen der Internetuser auf die Sprünge, und diese positive Rückkoppelung, dieses fragile Bündnis zwischen dem alten und dem neuen Leitmedium hat nicht allen gefallen. Wirtschaftsminister zu Guttenberg wollte schnell die Unterstützer der Petition als Leute brandmarken, die der Gerechtigkeit in den Arm zu fallen gedenken, und seit einiger Zeit trommelt die Deutsche Kinderhilfe für die Sperren à la von der Leyen.

Mit Umfragen, Pressemitteilungen, Unterschriftenlisten soll dem Publikum beigebogen werden, dass die Familienministerin genau das Richtige zu tun gedenkt. Die Deutsche Kinderhilfe hat nun allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem, und das nicht erst seit gestern. Dabei geht es nicht nur um eine gut belegte Nähe zu der kommerziellen Firma 3 W GmbH und allgemeinen Undurchsichtigkeiten bei den Finanzen des Vereins.

Auch die allzu passgenaue Abstimmung von Verlautbarungen der Kinderhilfe mit den Vorhaben oder bloßen Äußerungen von Politikern lässt Zweifel an der behaupteten Neutralität des Vereins aufkommen.

Man kann die Unterstützungsaktionen der Kinderhilfe für die Internetsperren à la von der Leyen auch in einer gewissen Tradition sehen, der Tradition der Parteinahme für die CDU. Und was die allgemeine Staatsferne und Neutralität angeht, so sollte schon die Tatsache, dass die Kinderhilfe ihre Hauptgeschäftsstelle im Haus der Bundespressekonferenz am Berliner Schiffbauerdamm hat, für ein Stirnrunzeln gut sein. Die Art, in der die Kinderhilfe ihre Sicht der Dinge von Infratest durchtesten ließ, lässt auch schnell an Manipulation denken.

Neuerdings offenbart die Kinderhilfe ein eigenwilliges Rechtsverständnis. Nachdem ihre Website von unbekannter Seite technisch übernommen worden war, ließ man verkünden, dass Leute, die dazu im Stande seien, ihr Können doch eher bei Kinderpornoseiten anbringen sollten.

Man könnte diese Idee jetzt für einen rhetorischen Kollateralschaden halten, bei dem jemand im Eifer des Gefechts etwas sagt, was er später bereut. Ernst genommen fordert hier aber die Kinderhilfe zur Selbstjustiz auf. Erstens einmal zum in Deutschland strafbaren Besuch von kinderpornographischen Seiten, was unter Umständen automatisch eine Straftat darstellt. Zweitens zur Übernahme von fremden Computern, und dafür könnten gleich mehrere Paragraphen des Strafgesetzbuches relevant sein, so z.B. die Paragraphen 303a, 303b, 202a und der berühmte "Hackerparagraph" 202c.

Sollten sich also tatsächlich irgendwelche Script-Kiddies oder gar ernsthafte Programmierer zu dieser Art von Bürgerwehr von den Aussagen der Kinderhilfe zur Schaffung dieser Art von Cyber-Bürgerwehr inspiriert fühlen, dann würden sie mit ziemlicher Sicherheit vor Gericht landen. Ob dieses Gericht ihnen wegen der guten Absicht mildernde Umstände zubilligen würde, wäre noch sehr die Frage. Und zu guter Letzt ist der Aufruf zu Straftaten natürlich selber eine (§ 111 StGB) - allerdings wurde gegen die Kinderhilfe trotz des in Deutschland geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes bisher noch kein entsprechendes Verfahren eingeleitet.

Jenseits der rechtlichen Aspekte ist es doch sehr erstaunlich, dass die Kinderhilfe sich für die voraussehbar nutzlose Sperrungsstrategie von der Leyens verwendet, aber kundigen Computernutzern empfiehlt, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Möglicherweise passt diese hemdsärmelige Idee ja zu dem Vorhaben von der Leyens, das BKA mit der Erstellung von Sperrlisten zu betrauen, die geheim bleiben, also keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen, und von denen immerhin auch die Bundesjustizjustizministerin Brigitte Zypries vermutete, sie könnten sich blitzschnell nicht nur auf Kinderpornographie beziehen.

Spannt die Ministerin nun die Kinderhilfe vor ihren Karren, oder dient sich die Kinderhilfe der Ministerin als Hilfstrupp an? Schwer zu sagen, und im Grunde genommen auch nicht wichtig. Die Argumente der Ministerin werden durch den fragwürdigen Geleitschutz aus dem Haus der Bundespressekonferenz jedenfalls nicht besser. Freilich, unproblematisch ist die Argumentation ihrer Gegner auch nicht. Denn die Forderung, statt der Sperrung der Seiten die Server dichtzumachen, auf denen sie liegen ist zwar vollkommen richtig, sollte aber auch von dem Eingeständnis begleitet werden, dass sie einem Offenbarungseid gleichkommt: Das Web kann sich eben nicht selbst regulieren, es gibt offensichtlich Inhalte im Netz, die der Zensur bedürfen. Zusätzlich scheint es nicht immer ganz einfach zu sein, an wirklich alle Server, um die es geht, schnell heranzukommen.

Die Argumentation von Christian Bahls, dem ehemaligen Missbrauchsbetroffenen, der sich gegen von der Leyen positioniert hat, ist unscharf. Wenn er sagt, dass die Pläne von der Leyens strukturell dem Vertuschungsverhalten in Missbrauchsfamilien gleichzustellen sind, dann ist das nicht richtig. Die Ministerin will ja gerade von Kinderpornographie sprechen, nutzt aber das Thema auf nicht nur unangenehme, sondern auch gefährliche Weise zur Eigenprofilierung. Von einer Instrumentalisierung der Missbrauchsopfer kann man da natürlich schon sprechen, und Bahls tut es zu Recht.

Wie dem auch sei, die Probleme mit der Argumentation der Netzsperrengegner sind Petitessen im Vergleich zu den Peinlichkeiten, die sich der Staat hier leistet. Bei der jüngsten Bundestagsanhörung zu dem Gesetzesvorhaben gab der Netzaktivist Alvar Freude an, innerhalb von zwölf Stunden 60 Kinderpornoseiten aus dem Netz entfernt zu haben, und zwar nicht durch neue Gesetze, Polizeirazzien oder Hacking, sondern durch simple E-Mails an die Provider.

Vor diesem Hintergrund kann man dem BKA eigentlich nur empfehlen, mehr E-Mails zu schreiben, statt geheime Listen mit zu sperrenden Websites und dem dazugehörigen Überwachungsklimbim vorzubereiten. Mit ihrem neuen Kinderschutzgesetz ist Frau von der Leyen gerade baden gegangen.

Die Deutsche Kinderhilfe ist, wie nicht anders zu erwarten, schwer empört. Was den Gesetzesentwurf zu den Internetsperren angeht, so ist jetzt von Überarbeitung die Rede. Besser wäre noch, er landete sofort in der Ablage rund/endgültig.