Die Digitalkameras sind immer dabei

Das Pentagon hat die Verwendung von Digitalkameras nicht verboten, aber trotz der Veröffentlichung einiger Bilder aus Abu Ghraib ist der "fog of war" nicht sehr viel transparenter geworden

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Vor kurzem ging die Meldung um, das Pentagon habe eine besondere Art der Bekämpfung der Folter gefunden: das Verbot von digitalen Kameras für US-Soldaten im Irak. Wenn man zusieht, wie das Pentagon und die Bush-Regierung die Aufklärung über die offensichtlich doch systematisch ausgeübten Demütigungen zur Erzwingung von Geständnissen oder einfach zur Brechung des Willens von Gefangenen betreibt, dann würde diese Art der Folterbekämpfung auch glaubhaft erscheinen können. Die Meldung beruhte aber auf einen Irrtum, allerdings gibt es eine neue Anordnung für Handys und andere Geräte, mit denen sich funken lässt.

Selbst die in Abu Ghraib tätige 205th US Military Intelligence Brigade, die "Folterbrigade", hat Aufnahmen auf ihre Website gestellt, die allerdings nur vom Einmarsch in den Irak bis Juli 2003 reichen. Hier ist man noch als Befreier auf dem Weg nach Bagdad.

Zwei hohe amerikanische Offiziere liegen gerade im Streit, wer für die Folter und sadistischen Misshandlungen der Gefangenen mit verantwortlich ist. Der Brigadekommandeur Thomas M. Pappas, Befehlshaber der 205th US Military Intelligence Brigade, die für die Verhöre in Abu Ghraib zuständig war (Die Folterbrigade), erklärte, dass Generalmajor Geoffrey Miller, der nach dem Folterskandal Abu Ghraib leitet und zuvor für das Lager Guantanamo zuständig war, im letzten Herbst empfohlen habe, Militärhunde einzusetzen, um die Gefangenen bei Verhören zu ängstigen. Umgesetzt worden sei die Empfehlung durch Befehl von General Ricardo Sanchez, der gerade als Oberbefehlshaber der Armee abgelöst wurde.

Persönlich habe Pappas dies mit Miller während dessen Aufenthalt im Irak Anfang September 2003 diskutiert. Die Misshandlungen, zumindest diejenigen, von denen nun die Bilder aufgetaucht sind, erfolgten nach dem Besuch Millers. Pappas, der unter Druck geraten ist, nachdem die Bilder auftauchten, auf denen US-Soldaten Hunde auf Gefangene hetzten, berichtete Generalmajor Antonio Taguba in einer vereidigten Aussage:

Er sagte, dass sie in Gitmo militärisch dressierte Hunde verwendet haben und dass sie wirksam für die Schaffung einer Atmosphäre waren, in der man Informationen bekam.

Miller leugnet vorerst einmal ab, mit Pappas über eine derartige Gestaltung einer verhörfreundlichen "Atmosphäre" gesprochen zu haben. Seltsam ist freilich auch, dass der Senatsauschuss bislang nur Teile des Taguba-Berichts erhalten hat. Von 6.000 Seiten fehlen 2.000 Seiten, darunter offenbar auch ein "draft update for the Secretary of Defense" über die Vorschriften für Verhöre. Das könnte für Rumsfeld unangenehm sein, falls er über die harten Verhörmethoden informiert wurde. Es fehlen überdies, so das Wall Street Journal, drei Dokumente über den Besuch von Miller in Abu Ghraib.

Die digitalen Fotografien aus Abu Ghraib (Sadistische KZ-Spiele), die nicht unter dem Zweifel stehen, gefälscht worden zu sein, haben mittlerweile der Weltöffentlichkeit einen schrecklichen Blick in die Welt der Gefängnisse und dem dort praktizierten Krieg gegen den Terrorismus werfen lassen. Aber auch ihren sonstigen Alltag im besetzten Land halten die Soldaten in zahlreichen Bildern fest, die sie mit Handy-Kameras oder Digitalkameras machen, auf Laptops und CD-ROMs speichern, sich gegenseitig oder der Familien bzw. Freunden in der Heimat zuschicken. Soldaten haben schon immer Bilder gemacht, seit es Fotoapparate gibt, aber die digitalen Kameras erlauben es, nicht nur unendlich viele Bilder zu machen, sondern sie auch blitzschnell zu versenden. Und viele Soldaten haben sie überall mit dabei, um Schnappschüsse vom Krieg zu machen. Auch auf den Websites der Einheiten werden gerne von den Soldaten gemachte Fotos veröffentlicht. Das bietet Möglichkeiten der Identifizierung, aber auch der Selbstdarstellung.

Die Soldaten und die Bilder

US-Soldaten beim Einkauf im Februar 2004

War der erste Krieg gegen den Irak noch dominiert von der Live-Berichterstattung durch den Fernsehsender CNN, so war der letzte Krieg bereits teilweise ein Ereignis, das mit den zahlreichen "eingebetteten" Reportern in Echtzeit oder kurz zeitversetzt aus vielen Orten dem Publikum in der ganzen Welt zugeführt wurde. Der Zuschauer saß in der ersten Reihe und war fast mit dabei. Aber das waren kontrollierte Bilder, auch wenn der gewünschte Bilderstrom gestört wurde durch Bilder von anderen Journalisten, die unabhängig vom amerikanischen Militär und vom Hussein-Regime genehmigt aus dem Kriegsgebiet sendeten.

Problematisch war zwar stets, dass Reporter oder Soldaten über Bilder, die sie versenden, Hinweise auf den Ort der Truppen und deren Pläne auch dem Feind verraten konnten. Die Soldaten wurden denn auch davor gewarnt, Bilder weiter zu geben, die das Militär gefährden können. Die Marines etwa erhielten vor ihrem Einsatz im Irak strenge Regeln für den Umgang mit Fotografien, wie die Los Angeles Times berichtete.

Keine Bilder von toten oder verletzten Irakern, keine Bilder von amerikanischen Opfern, keine Bilder von Gefangenen und keine Bilder, die Schutzeinrichtungen wie Sperren oder Stellungen von Scharfschützen zeigen.

Orte, an denen fotografieren streng verboten ist, sind mit Schildern gekennzeichnet. Das sei auch der Fall in Gefängnissen und Gefangenenlagern gewesen. Eigentlich sei nur eine Aufnahme der Häftlinge erlaubt, wenn sie eingeliefert werden. Selbst wenn die der Öffentlichkeit mittlerweile bekannten Bilder aus Abu Ghraib als perverse Souvenirs des Wachpersonals gedient haben mögen, scheint das Fotografieren der Gefangenen in demütigenden Situationen ein normaler Vorgang gewesen zu sein (möglicherweise, um etwas gegen die Häftlinge in der Hand zu haben, wenn sie wieder frei gekommen sind, oder vielleicht auch, weil es noch demütigender ist, wenn die Erniedrigungen, die das Ego brechen sollen, dokumentiert werden). Sollte dies so sein, so dürften im Bilder-Giftschrank des Pentagon noch viele Fotos zu finden sein.

Gruppenausflug

Ein allgemeines Verbot von Kameras und Handys wollte man bislang aber nicht einführen, schließlich ist im Pentagon bekannt, dass viele ihren Kampf zur Befreiung des Irak und ihren Aufenthalt im befreiten Land dokumentieren wollen - wie dies das Pentagon auch unter Umgehung der Bilder macht, die die dunkle Seite des sauberen Kriegs und der glücklichen Befreiung zeigen. Oft sind es junge Soldaten, für die dieser Krieg ein großes Abenteuer ist, von dem sie noch lange zehren und ihren Freunden und Bekannten zeigen wollen, wie es dort war, wo alles ganz anders ist. Zwar wird in aller Regel in den Lagern die Möglichkeit verhindert, dass Soldaten Emails versenden oder telefonieren, wenn ein Soldat getötet wurde, um zuerst offiziell die Angehörigen zu benachrichtigen. Das Versenden von Bildern sei aber davon nicht betroffen gewesen, heißt es. Kontrolliert oder gefiltert worden seien Bilder bislang nicht, wohl aber Emails und Telefonanrufe. Ein Drittel der Marines, die um Falludschah stationiert sind, soll im Besitz einer kleinen digitalen Kamera sein.

Man kann den Geist nicht wieder in die Flasche zurückstecken. Soldaten haben ihre Kameras mit auf dem Schlachtfeld. Sie haben Telefone auf dem Schlachtfeld. Sie haben auf den Stützpunkten Zugang zu Internetcafes. Ab einem gewissen Punkt muss man ihnen einfach vertrauen, das Richtige zu tun - und sie bestrafen, wenn sie dies nicht machen.

US-Brigadegeneral und Militärsprecher für den Irak Mark Kimmitt

Die Anordnung 8100.2

Die von der Business Times aufgebrachte Meldung, dass das Pentagon digitale Kameras verboten habe, stimmt nach Auskunft von Ken McClellan, einem Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, nicht. Die Befehlshaber der Truppen wurden aber aufgefordert, die Verwendung von diesen schärfer zu überwachen. Tatsächlich trat im letzten Monat - und damit unabhängig vom Folterskandal - die neue Anordnung 8100.2 in Kraft, die seit Jahren in Vorbereitung war: "Use of Commercial Wireless Devices, Services, and Technologies in the Department of Defense (DoD) Global Information Grid (GIG)."

Alle Geräte, die mit Netzwerken des Verteidigungsministeriums verbunden sind, müssen danach bestimmte Sicherheitsauflagen wie Identitäts- und Authentifizierungsnachweis oder Verschlüsselung einhalten. Auf militärischem Gelände verwendete Geräte müssen ebenfalls verschlüsselt Daten übertragen, um Hackern einen Zugriff zu verwehren. Mobilfunkgeräte dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung zum Speichern, Verarbeiten oder Übermitteln geheimer Informationen verwendet werden. Auch dort, wo geheime Informationen "diskutiert oder verarbeitet" werden, dürfen sie nur mit Genehmigung und nach Prüfung durch Cognizant Security Authority (CSA) Certified TEMPEST Technical Authority (CTTA) mitgenommen werden. In allen Einrichtungen des Pentagon soll "aktiv" nach Mobilfunkgeräten gesucht werden, um unerlaubten Gebrauch zu verhindern. Die Anordnung betrifft im Allgemeinen die Einrichtung von Maßnahmen zum Schutz, zur Verfügbarkeit und zur Interoperabilität von Mobilfunkgeräten und Verbindungen.

Ken McClellan erklärt, dass mittlerweile jeder Soldat "ein Handy, BlackBerry oder ein anderes Mobilfunkgerät benutzt, dass Stimme, Bilder oder Texte sendet". Das müsse aus der Sicht den Pentagon entweder stark verschlüsselt oder nur dann geschehen, wenn dies unabhängig von allen Netzwerken des Pentagon ist: "Wir wollen nicht in die Situation kommen, wo jeder mit einem Scanner herauskriegen kann, was wir vorhaben." Vermutlich könnte die Anordnung aber doch ein erster Schritt dazu sein, die Informationen, die aus Krisengebieten gesendet werden können, in den Griff zu bekommen.

Verteidigungsminister Rumsfeld hatte sich beispielsweise nach der ersten Veröffentlichung der Abu Ghraib-Fotos, obgleich die Vorwürfe schon lange bekannt waren und zudem das Pentagon den Sender CBS gedrängt hatte, zumindest die Ausstrahlung zu verschieben, während der Anhörung vor einem Senatsausschuss weniger entsetzt über die Misshandlung gezeigt) (und damit demonstriert, dass dies in Konflikten nicht zu vermeiden oder gar notwendig ist), als über die nicht mehr vom Pentagon kontrollierbare Verbreitung der Bilder im Zeitalter der digitalen Medien. Das lief allerdings nicht ohne ein gewisses Stottern ab:

Wir funktionieren ... im Informationszeitalter, in dem die Menschen mit Digitalkameras herumlaufen und diese unglaublichen Fotografien machen und diese dann gegen das Gesetz an die Medien zu unserer Überraschung weiter reichen, wenn sie noch nicht einmal im Pentagon angekommen sind.

Die Identität der Verhörenden sollte verborgen werden

Zynisch mag sein, dass die durch die Anwendung von Folter und Demütigung "weich" gemachten Gefangenen offenbar kaum brauchbare Informationen geliefert haben, wie die New York Times berichtet. Die Gefangenen hätten meist nichts mit dem Widerstand zu tun gehabt. Selbst wenn die Gefangenen nicht misshandelt wurden, so ist das willkürliche Festnehmen und monatelange Wegschließen von Menschen, die nichts verbrochen haben, ebenfalls eine Verletzung von Menschenrechten, wie dies auch Praxis in Diktaturen ist, nicht aber in einem Rechtsstaat. So sollen Soldaten des öfteren bei Razzien, wenn sie die gesuchten Personen nicht gefunden haben, auch Familienangehörige oder am Ort Anwesende mitgenommen haben, um sie zu verhören oder als Geisel zu verwenden. Auch das ist eine schwere Verletzung der Genfer Konventionen.

Interessant ist auch eine Anweisung für das Personal in dem Teil des Abu Ghraib-Gefängnisses, in dem die zu verhörenden Gefangenen eingesperrt waren, das sich so kleiden sollte, dass die Gefangenen nicht wissen, wen sie wirklich vor sich haben.

Additionally it is recommended that all military personnel in the segregation area reduce knowledge of their true identities to those specialized detainees. The use of sterilized uniforms is highly suggested and personnel should NOT address each other by true name and rank in the segregation area.

sich haben:

"thermal vision monitor in the drivers hole of a Stryker"

Die jetzt als Sündenböcke herausgegriffenen Soldaten haben mit ihren Bildern solche Empfehlungen nicht beachtet und sich "unprofessionell" selbst abgebildet. Sie wurden kenntlich. Wer nicht auf den Bildern, die die Öffentlichkeit kennt, zu finden sein wird, dürfte wahrscheinlich wesentlich glimpflicher davon kommen, vor allem je höher die Verantwortung in der Befehlskette reicht (Die intellektuellen Wegbereiter von Folter und Willkürjustiz). Die Bilder wurden zudem auch nicht von den Soldaten verschickt, sondern waren offensichtlich auf CD-ROMs gespeichert. Wie sie in die Hände zunächst von CBS und die weiteren in die der Washington Post geraten sind, ist unbekannt.

Eine neue Transparenz?

This is as far as I know the first instance where digitally generated images made by an amateur photographer have erupted onto the scene of current events and had an impact. But it won't be the last.

A. D. Coleman, Fotografiekritiker

Von einer neuen Transparenz, die mit Mobilfunkgeräten, Internet und digitalen Kameras in das Militär eingezogen ist, kann man mithin noch nicht wirklich sprechen. Die meisten Bilder, die in der Öffentlichkeit zirkulieren, sind relativ harmlose Erinnerungsfotos vom Einsatz und vom Alltag im Irak. Die hatte es auch schon früher gegeben, auch wenn sie nun schneller an eine breitere Öffentlichkeit gelangen können, die allerdings mit dem Internet sehr viel größer ist.

Möglicherweise wären die Praktiken im amerikanischen Gulag auch ohne Bilder bekannt geworden, aber die Fotos, die erst ein halbes Jahr nach den abgebildeten Misshandlungen in die Öffentlichkeit gelangten, haben sicherlich die Menschen stärker aufgewühlt und den Druck auf das Pentagon und die US-Regierung verstärkt. Ob sie allerdings auch zu einer besseren Aufklärung und Verfolgung wirklich beitragen, muss erst noch abgewartet werden.

Wohl als erstes hatte die Website The Daily Farce sich einen Witz erlaubt und das angebliche Verbot von digitalen Kameras Anfang Mai gemeldet. Nachdem nun ein Video aufgetaucht ist, das vermuten lässt, dass in dem von den US-Truppen zerstörten Dorf doch eine Hochzeitsfeier stattgefunden hat, berichteten die Macher der Satire-Website, dass Rumsfeld auch noch verboten habe, Feiern wie Hochzeiten oder Taufen mit Camcorders aufzunehmen.