Die Entscheidung der BPjS über Counter-Strike sollte respektiert werden

Ein Gespräch mit Herman Achilles vom Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland über Computerspiele, Runde Tische und Jugendschutz

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Die Bundesregierung will nach den Erfurter Vorfällen auf Biegen und Brechen ein neues Jugendschutzgesetz auf den Weg bringen und die Verbreitung von gewaltverherrlichenden Computerspielen verhindern. Selbst von einem Verbot der Herstellung derartiger Medien war die Sprache. Obwohl es im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle eine Alterseinstufung durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle gibt, will die Regierung den Jugendschutz verschärfen. So soll es in Zukunft verbindliche Alterskennzeichnungen geben und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften soll sogar ohne Antrag selbst tätig werden und Spiele indizieren. Außerdem soll die Liste der indizierten Spiele nicht mehr veröffentlicht werden. Die Bundesfamilienministerin Christine Bergmann will die Entscheidung der BPjS zum Computerspiel "Counter-Strike" nochmals prüfen lassen. Die Internet-Provider haben erklärt, verschärfte Maßnahmen gegen die Darstellung von Gewalt im Internet ergreifen zu wollen, der Deutsche Multimediaverband setzt auf Zugangsbeschränkungen.

Für die Unternehmen, die bislang alle Computerspiele durch die USK-Gutachter einstufen ließen, muss dieses Gesetzesvorhaben wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Doch auch wenn es für Computerspiele neue Jugendschutzregeln zu beachten gilt, gibt der Entwurf den Herstellern keine Rechtssicherheit. Ein Computerspiel kann auch in Zukunft noch Monate nach Veröffentlichung ins Visier der Jugendschützer bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS geraten.

Gerald Jörns fragte Herman Achilles, einer von zwei Geschäftsführern beim Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland e.V. (VUD, nach den Ansichten der Computer- und Videospielbranche zu einer neuen Jugendschutzregelung.

Nach Erfurt ist die Diskussion um ein neues Jugendschutzgesetz neu entbrannt. Besonders die gewaltverherrlichenden Computerspiele und Videofilme stehen im Kreuzfeuer der politischen Kritik. Ist der Jugendschutz wirklich so reformbedürftig?

Herman Achilles: Da die Frage sehr komplex gestellt ist, darf die Antwort sicherlich auch etwas komplexer sein. Was bedeutet eigentlich Jugendschutz? Was erreicht man durch gesetzlichen Jugendschutz? Es gibt eine Vielzahl von Ereignissen im Leben, auf die wir unsere Kinder durch Erziehung vorbereiten. Ich denke da z.B. an das Lehren von Gefahren im Haushalt oder Straßenverkehr bis hin zur Sexualaufklärung oder den Drogenmissbrauch. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, welche die neue Generation auf zum Teil lebensbedrohende bestehende Gefahren vorbereitet und ihnen Lösungen anbietet. Genau das stelle ich mir auch für den Umgang mit Medieninhalten vor

Ja, ich weiß, es gibt die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die alle Spiele unter jugendschutzrelevanten Aspekten begutachtet und Alterseinstufungen vornimmt. Doch weiß man längst, dass die Hersteller und Vertreiber diese Kennzeichnung nicht immer auf die Verpackung drucken. Das angestrebte Jugendschutzgesetz will jetzt verbindliche Alterskennzeichen vorschreiben. Wie verbindlich wurden die bisherigen USK-Alterseinstufungen von ihren Mitgliedsverbänden angesehen?

Herman Achilles: Die USK-Alterseinstufungen waren und sind für die VUD-Mitglieder absolut verbindlich. Die genannten Nichtachtungen der USK-Einstufungen sind absolute Ausnahmefälle und wurden allesamt abgestellt. Inhaltlich wurden die USK-Kennzeichnungen insgesamt nicht beanstandet. Die "Indizierungsstatistik" ist dafür ein eindeutiger Beleg. (Anmerkung der Redaktion, bislang wurden erst zwei Spiele indiziert, die nicht die Kennzeichnung "Nicht geeignet unter 18 Jahren" hatten.) Der Ruf nach einer "Verbindlichkeit" der Altersangaben kommt u.a. auch aus der Industrie, ist also durchaus in unserem Interesse. Gleichwohl stellt sich dabei die Frage, ob die "traditionellen" Einstufungen (0, 6, 12, 16 u. 18 Jahre) heute noch zeitgemäß sind.

Welche Rolle wird Ihrer Meinung nach die USK in Zukunft bei den Alterseinstufungen spielen? Bislang scheint die Rolle der Selbstkontrolle vom Gesetzentwurf total ausgeklammert zu sein. Glaubt man den vielen Politikeräußerungen, gab es nie eine Alterseinstufung. Ist der Politik die Rolle der USK nie klar gewesen oder hat die Alterseinstufung der USK versagt?

Herman Achilles: Trotz wiederholter Versuche sind USK, aber auch VUD bei ihrem Bestreben, sich in der Politik mit der guten Arbeit der USK Gehör zu verschaffen, nur wenig erfolgreich gewesen. Obwohl die USK als Einrichtung in vollem Umfang dem Interesse der Politik nachkommt, nämlich freiwillig effektiven Jugendschutz praktiziert, ist es uns leider bisher nicht gelungen, hierfür aus der Politik Fürsprecher zu gewinnen. Die Diskussion nach Erfurt hat aber dazu beigetragen, dass man jetzt der USK eine höhere Aufmerksamkeit widmet. Die qualitative Arbeit der USK bei den Altersempfehlungen hat zudem nie öfter zur Diskussion gestanden, als dies auch z.B. bei den Entscheidungen der BPjS der Fall ist. Entscheidungen zu Inhalten können sicherlich polarisieren.

Glauben Sie, dass Kontrollen durch das Verkaufspersonal grundsätzlich mehr Jugendschutz ermöglichen? Kommen Kinder und Jugendliche nicht sowieso über das Internet an alle Spiele?

Herman Achilles: Die Kontrollen des Verkaufspersonals schützen in erster Linie das Verkaufspersonal davor, sich nicht strafbar hinsichtlich der Abgaberegelungen zu machen. Die "Beschaffung" wird dann auf andere Weise realisiert oder, Sie haben auf das Internet verwiesen, auf einfache und zudem legale Art umgangen. Dazu wird die Beschaffung über Raubkopien mit Sicherheit forciert.

Greifen wir noch einmal den Fall "Counter-Strike" auf. Kann man in der Öffentlichkeit wirklich die Meinung vertreten, dass Spieler in der Rolle von Soldaten zu Killern getrimmt werden? Jugendliche ab 16 Jahren dürfen nun - auch mit dem öffentlichen Segen des Jugendschutzes vertreten durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) - durch die virtuelle Gegend laufen und Treffer durch gezielte Kopfschüsse trainieren. Können Sie sich vorstellen, warum viele Menschen solche Spiele als menschenverachtend ansehen?

Herman Achilles: Wirklich glaubhaft ist ein solcher Standpunkt nicht. Wäre dieses so, wären wir von potenziellen Killern nur noch so umgeben. Die Ergebnisse der Auswertungen des Tatherganges und der Gründe, die zur Tat führten, belegen, dass hier eine Vielzahl von Einflüssen zusammengetroffen sind, die letztendlich in Verbindung mit dem (legalen) Zugriff zur Waffe zum Auslöser wurden. Die Entscheidung der BPjS ist aufgrund der Zusammensetzung des Gremiums immer eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung unseres Staates und sollte auch als solche respektiert werden. Bei "Counter-Strike" ist die Begründung der BPjS sehr eindeutig. Bei Menschen die, für mich nicht nachvollziehbar, nur schwer zwischen virtueller (Spiel-)Welt und realer Welt differenzieren können, kann es zu solchen Urteilen kommen. Ganz besonders dann, wenn sie die Spiele bzw. die Darstellungen am Bildschirm nur aus der Betrachterperspektive erleben.

Krieg oder Antiterroreinheiten als spielerische Handlung sind in den USA ganz selbstverständlich. So hat die US-Army auf der diesjährigen Messe E3 in Los Angeles sogar ein Trainingsspiel verteilt, um auf diese Weise Werbung für die Armee zu machen. Warum reagiert man in Deutschland Ihrer Ansicht nach auf Gewalt so äußerst sensibel?

Herman Achilles: Das ist sicherlich in der Historie unseres Landes zu sehen. Die amerikanische Gesellschaft akzeptiert in bestimmten Bereichen Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten mehr als unsere Gesellschaft. Während beispielsweise die US-Soldaten in Afghanistan nationale Helden sind, ist der Einsatz unserer Soldaten dort eine mehr oder weniger geduldete, weil vertraglich vereinbarte Notwendigkeit. Dabei steht dieser Einsatz für die gleichen Ziele.

Wie immer, wenn es ein brenzliges Thema gibt, ergreift Bundeskanzler Gerhard Schröder die Initiative und lädt die beteiligen Gruppen zu einem Runden Tisch ein. Auch Ihr Verband war Teilnehmer einer solchen Gesprächsrunde. Verraten Sie uns ein Staatsgeheimnis, wenn Sie die Frage beantworten, ob Sie wissen, dass Gerhard Schröder derartige Spiele schon einmal gespielt hat? Kennt dieser Staatsmann überhaupt Computerspiele und erweist sich deshalb als kompetenter Gesprächspartner?

Herman Achilles: Ob der Bundeskanzler Computerspiele spielt, kann ich nicht sagen. Als Fußballfan hätte er ja jetzt schon mit den aktuellen WM-Spielen die Möglichkeit auszuprobieren, wie Deutschland in Japan/Korea den Titel gewinnt. Spaß beiseite. Der Bundeskanzler hat ein Gespür dafür, was in der Gesellschaft passiert und welche Wirkung es auslöst. Die Einladung an den Runden Tisch zeigt, dass der Bundeskanzler die Bedeutung der interaktiven Medien insgesamt kennt.

Man kann sich förmlich vorstellen, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die Ärmel hochkrempelt und von allen Anwesenden eine Mitwirkung an der Verschärfung des Jugendschutzgesetzes fordert. Was können Sie uns von diesem Gespräch berichten?

Herman Achilles: Der Bundeskanzler weiß genau, dass Gesetze allein nicht ausreichen. Er fordert über die alten und neuen Gesetze hinaus eine aktive Zusammenarbeit aller an der Erziehung beteiligten Gruppen ein und verweist gleichwohl auf die besondere Bedeutung der Familie.

Unabhängig vom Runden Tisch scheinen sich doch in den letzten Wochen die Wogen geglättet zu haben. Vieles aus dem bisherigen Entwurf des Jugendschutzgesetzes ist noch einmal in die Beratung verwiesen worden. Was glauben Sie, wird im neuem Gesetz stehen?

Herman Achilles: Glaube und Wunsch sind in diesem Fall (noch) nicht identisch. Ich wünsche mir, dass ein Jugendmedienschutzgesetz den Anforderungen und Bedingungen der digitalen, interaktiven Medien entsprechend gestaltet wird. Es muss die Komponenten Internet (online) und digitaler Datenträger (offline) als Gesamtheit berücksichtigen. Der Versuch, bestehende Regelungen für die traditionellen Medien auf die neuen Medien zu adaptieren, wird nicht erfolgreich sein können.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Spielen Sie als Geschäftsführer dieser Branche überhaupt selbst Computerspiele? Welches Spiel haben Sie zuletzt gespielt?

Herman Achilles: Tony Hawk's Pro Skater 3 gemeinsam mit meinen Töchtern.