Die Erfolgsstory verwandelt sich in einen Albtraum

Die US-Regierung zeigt Panik im Irak und heizt den neuen West-Ost-Konflikt damit weiter auf

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Allmählich wächst sich die Besatzung des Irak für die US-Regierung zu einem immer schwierigeren Dilemma aus. Von Anfang ohne Pläne für das "nation building" und mit einem naiven Optimismus in den Krieg gezogen. Scheint nun alles durcheinander zu geraten, während der Widerstand wächst und der Image-Verlust der US-Regierung nicht nur in den arabischen Länder immer größer wird. Die Berichte über die Misshandlung von irakischen Gefangenen und die Unentschlossenheit im Hinblick auf die Machtübergabe und den Konflikt in Falludscha legen Zeugnis davon ab, dass Bush mehr oder weniger handlungsunfähig geworden ist. Von "Mission Accomplished" kann nicht mehr die Rede sein. Die wirkliche Mission steht erst noch an, ist aber von dieser Falken-Regierung wohl nicht zu lösen.

Das größte Fiasko ist wohl der Folter-Skandal, der sowohl die amerikanischen, als auch die britischen Besatzungstruppen ereilt hat (Sadistische KZ-Spiele). Schon lange gab es Vermutungen, die auch von Menschenrechtsorganisationen öffentlich geäußert wurden, dass Misshandlungen von Gefangenen durch Koalitionstruppen im Irak gang und gäbe sind. Ähnliches wird den US-Truppen in Afghanistan vorgeworfen. Dass dies nur "isolierte" Vorfälle sind, wird niemand den britischen und amerikanischen Militärs abnehmen. Die Gefangenen sollen zur Befragung "weich" gemacht werden, vermutlich wird den untersten Rängen, die für die Bewachung zuständig sind, dabei freie Hand gelassen, wenn die Gefangenen nach der Tortur dann gefügig sind, irgendetwas zu erzählen. Wahrheit darf man nach Folter nicht erwarten, aber auch die Befrager stehen unter Effizienzzwang, ebenso wie letztlich die jeweilige Regierung, die ihr Vorgehen rechtfertigen muss.

Die jetzt bekannt gewordenen Misshandlungen sind sicherlich nur die oberste Spitze des Eisbergs, auch wenn sie verbreiteter sein könnten, als man denken möchte. Seymour Hersh hat kürzlich auf einen Bericht hingewiesen, der dem Pentagon seit Februar vorliegt und zahlreiche Misshandlungen aufführt. Das Pentagon aber scheint nur einzuschreiten, wenn es nicht mehr anders möglich ist. Das Unrecht aber liegt im System. Die Aufmerksamkeit auf die sadistischen Misshandlungen bergen die Gefahr, dass die Routine der willkürlichen Verhaftungen und der Folter in den Hintergrund rücken könnte. Die völlig rechtlose Situation von vielen Irakern, die von den Besatzungstruppen aufgegriffen und oft monatelang unter dem Vorwand eingesperrt werden, dass es sich um Aufständische handelt, ist der noch größere Skandal, weil die Besatzungsmacht sich mit diesem systematischen, sicher von oben verordneten Vorgehen als Unrechtregime erweist. Verantwortlich sind nicht nur die Soldaten ganz unten, sondern die Pentagon-Führung, die das seit dem Afghanistan-Krieg praktiziert. Ganz von oben gedeckt ist eben auch das außerhalb jeden Rechts stehende Befragungszentrum in Guantanamo, Vorbild und Inbegriff für das willkürliche Vorgehen gegen mutmaßliche Feinde, die jeden Rechts und damit auch jeder Würde beraubt sind.

Vor kurzem haben britische Soldaten kritisiert, dass die Iraker vom US-Militär als Menschen zweiter Klasse, als "Untermenschen" behandelt würden. Die Anwendung von Gewalt sei unverhältnismäßig:

The US troops view things in very simplistic terms. It seems hard for them to reconcile subtleties between who supports what and who doesn't in Iraq. It's easier for their soldiers to group all Iraqis as the bad guys. As far as they are concerned Iraq is bandit country and everybody is out to kill them.

Mit den durch die Bilder anschaulich gemachten Foltervorwürfen ist das Ansehen der US-Regierung mitsamt ihrem britischen Vasallen noch stärker geschädigt worden als mit der Nachkriegsevidenz, dass der Kriegsgrund, also die Existenz von Massenvernichtungswaffen und der Verbindung des Hussein-Regimes mit al-Qaida, sich als Lügen erwiesen haben, wenn sich die Bush-Regierung nicht tatsächlich auf solch unzuverlässige Informanten verlassen haben sollte wie die des vom Pentagon protegierten Tschalabi (Iraq now). Nachdem schon vor dem Krieg die Bush-Regierung sicherheitshalber immer stärker auf die Befreiung des Irak umgesattelt hat, wurden die Untaten des Diktators herausgestellt, der Regimegegner auf schreckliche Weise foltern und töten ließ. Der humanistische und selbstlose Krieg der USA sollte damit gerechtfertigt werden. Doch wenn nun - und noch dazu an denselben Orten wie dem Abu Ghuraib-Gefängnis - die Befreier die angeblich Befreiten foltern und misshandeln, haben sie vermutlich jede Anerkennung verloren (Der letzte Tropfen).

Fast schon zynisch mag es anmuten, wenn im wöchentlichen Leistungsbericht der US-Zivilverwaltung vom 2. April - danach gab es bislang keinen mehr - von der Stärkung der Menschenrechte gesprochen wird. Die Besatzer dürften wohl erst einmal von der irakischen Regierung aber nichts zu befürchten haben:

V. Promote Respect for Human Rights
Educate on Human Rights Issues; Preserve documentation of past atrocities, raise awareness, and promote reconciliation; Strengthen local capacity to investigate and address past atrocities; Iraqi Special Tribunal (IST) for past atrocities and Iraq Property Claims Commission for property disputes; Human Rights Incorporated into Laws; Develop Role of Independent Human Rights NGOs and Media; Establish a Human Rights Ministry

· The Iraqi delegation to the United Nations Human Rights Commission in Geneva announced Iraq's intention to sign up to the 1984 UN Convention against Torture, which will prohibit the use of torture in Iraq and make it incumbent upon the Iraqi government to pass domestic legislation to this effect.

Symptomatisch für die Konzeptionslosigkeit mag diese letzte Seite in einem regelmäßig erscheinenden Pentagon-Bericht "Draft Working Papers" vom 4. April über den "Iraq Status" sein

Zudem ist bislang der Wiederaufbau nur schleppend vorangekommen, wie sich auch aus diesem Pentagon-Bericht erkennen lässt, haben sich über den von der US-Regierung eingesetzten Regierungsgrat Korruption und Willkür eingeschlichen, haben zu viele willkürliche, brachiale und ungeahndete Übergriffe auf die Bevölkerung stattgefunden, um den Widerstand zu brechen, als dass die Koalitionstruppen noch als Befreier anerkannt werden. Der Versuch schließlich, weiter hart vorzugehen, als der Widerstand mit al-Sadr auch auf die Schiiten übergriff, hat zusammen mit der Weigerung, der Übergangsregierung nach dem 30. Juni wirklich weitgehende Souveränität zu geben, und mit manchen Bestätigungen der Unsensibilität wie der Verordnung der neuen Staatsflagge, die Ablehnung im Irak als auch in der Region auch bei den Gutwilligen gesteigert.

Mit der Belagerung von Nadschaf und Faludscha und der Ankündigung, in die Städte einzumarschieren, wäre sicher die Lage vollends umgekippt. Wie sich die US-Truppen gegenüber al-Sadr, der sich in in der heiligen Stadt Nadschaf gewissermaßen eingebunkert hat, verhalten sollen, steht bestenfalls in den Sternen. Zunächst sollte er tot oder lebendig gefasst werden, aber damit könnte dann auch die schiitische Bevölkerungsmehrheit gegen die USA aufgestachelt werden. Folglich bewegt man sich einfach nicht und überlässt die nächsten Schritte dem Gegner.

Scheinbar aber haben die US im Fall von Falludscha ihre Position verändert. Die Nachricht leuchtete ein, dass nicht US-Truppen, sondern irakische Verbände in die Stadt einmarschieren und dort Ruhe herstellen sollten. Dann wären die US-Truppen entlastet, Kämpfe fänden zwischen irakischen Soldaten und Widerständischen statt. Zudem schien man nun auch wieder die Einstellung von ehemaligen Angehörigen der Hussein-Armee in Betracht zu ziehen, zumal deutlich war, dass der Widerstand auch aus den Reihen der entlassenen und damit arbeitslosen Angehörige der Armee genährt wurde. Ausgewählt worden war für die Führung der irakischen Soldaten ausgerechnet General Salih, ein ehemaliger Offizier der Republikanischen Garde Husseins. Als er mit irakischen Soldaten in Falludscha einmarschierte, wurde er auch von den Menschen begrüßt, die dies zudem als Zeichen einer amerikanischen Niederlage verstanden, was auch zutrifft.

Allerdings ist die Frage, ob Saleh wirklich daran interessiert ist, die Widerstandskämpfer zu entwaffnen und die Ausländer auszuliefern. Saleh sagte schon einmal, dass es in Falludscha keine fremden Kämpfer gäbe. US-General Richard Myers meinte betonen zu müssen, dass die US-Truppen sich nicht zurückgezogen hätten. Überdies habe Saleh nicht den Auftrag, die irakischen Soldaten in Falludscha zu befehligen, da man niemandem, der mit dem alten Regime verbunden war, eine solche Aufgabe anvertrauen könne. Ein nächster Konflikt ist also schon vorprogrammiert.

Myers meinte, die Berichterstattung sei ganz falsch gewesen. Wie aber Saleh dann überhaupt an der Spitze von einigen Hundert Soldaten nach Falludscha einrücken konnte, sagte er nicht und bewies damit die Konfusion, die weit entfernt is von der "klaren Strategie", die US-Präsident Bush in seiner letzten Radio-Ansprache beschworen hat. Tatsächlich lastet die von der US-Regierung verkündete Aufgabe nun schwer und schier unlösbar auf ihren Schultern. Mittlerweile hat sie sich in eine Position manövriert, die Schlimmes nicht nur für den Irak, sondern auch für die gesamte Region befürchten lässt, auch wenn dieses Problem selbstgeschaffen ist.

We will finish our work in Iraq, because the stakes for our country and the world are high. The failure of Iraqi democracy would embolden terrorists around the globe, increase dangers to the American people, and extinguish the hopes of millions in the Middle East. The success of Iraqi democracy would send forth the news, from Damascus to Tehran, that freedom can be the future of every nation. And democracy will succeed in Iraq, because our coalition is strong, because our resolve is firm, and because the people of Iraq desire and deserve to live in freedom.

Wenn aber die Besatzungstruppen jeden irakischen Widerstand brechen, die Interessen von Exil-Irakern und US-Firmen betreiben und eine Demokratie verhindern, während sie Folter und die Verletzung von Menschenrechten begehen, werden nicht nur die USA Schiffbruch in den muslimischen Ländern erreichen, sondern auch womöglich die von der Bush-Regierung strapazierte Demokratie und Freiheit. Das ist ein gefährliches Spiel, aber das wussten eigentlich schon alle vor dem Irak-Krieg, zu dem die Bush-Regierung gegen alle Widerstände entschlossen war.