Die Euphorie ist verflogen

Die Energie- und Klimawochenschau: Am 20. Juni beginnt in Rio de Janeiro die UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung

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Nächste Woche tagt im brasilianischen Rio de Janeiro eine Sonderkonferenz der Vereinten Nationen. Ziemlich genau vor 20 Jahren war am gleichen Ort die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung zusammen gekommen, auf der verschiedene wegweisende Konventionen und andere Dokumente unterzeichnet wurden. Dazu gehören unter anderem die Klimaschutzrahmenkonvention und die Agenda 21 (deutsch). Mit der Rio+20-Konferenz, der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung, so die offizielle Bezeichnung, soll daran erinnert und zugleich der seinerzeit angestoßene Prozess wieder belebt werden.

Doch wie weit dies geschehen wird, ist ungewiss. Über 100 Staats- und Regierungschefs haben sich angekündigt, doch die deutsche Bundeskanzlerin ist nicht darunter. Angela Merkel meint offensichtlich, Wichtigeres zu tun zu haben, und drückt damit eigentlich recht gut aus, welchen Stellenwert im politischen Alltag für sie und ihre Regierung Umwelt-, Klima- und Entwicklungspolitik spielen. Ihr zuständiger Minister macht eher mit seinen Teppichgeschäften von sich reden, als mit wegweisenden Vorschlägen zu den Themen des Rio-Gipfels; und ansonsten ist das Bundeskabinett eifrig damit beschäftigt, den Ausbau der Solarenergienutzung auszubremsen und eine neue EU-Richtlinie zu verhindern, die klare Vorgaben für eine sukzessive Steigerung der Energieeffizienz formulieren soll. Die dänische EU-Ratspräsidentschaft ist angesichts der deutschen Obstruktion not amused.

Wohlfeile deutsche Klimapolitik

Der Vorgang ist für christdemokratische Regierungspolitik durchaus symptomatisch. Schon Angela Merkels politischer Ziehvater und Amtsvorvorgänger Helmut Kohl war ein Meister darin, in Sonntagsreden den großen Umweltschützer herauszukehren und im Alltagsgeschäft dann den reibungslosen Gang der Dinge für die deutschen Konzerne zu garantieren. In Rio gab er seinerzeit den großen Regenwaldfreund und Klimaschützer. Ersteres war besonders wohlfeil, schließlich trägt Deutschland keine direkte Verantwortung für die grünen Lungen des Planten, aber auch letzteres war für Kohl billig zu haben.

Im Juni 1990 verkündete das Bundeskabinett, damals noch in Bonn residierend und für die zehn westdeutschen Bundesländer sprechend, man werde bis 2005 die Emissionen des wichtigsten Treibhausgases, des Kohlendioxids, um 25 Prozent reduzieren. Das brachte Kohl und Deutschland seinerzeit großes internationales Ansehen ein, aber natürlich hatte man nicht ernsthaft vor, diesen Versprechen auch Taten folgen zu lassen.

Das wurde schnell aus den amtlichen Zahlen der folgenden Jahre ersichtlich. Bis in die Mitte der 1990er-Jahre wurden getrennte Emissionsstatistiken für West- und Ostdeutschland geführt, aus denen klar hervorging, dass es im Westen keinerlei Minderung gab. Alles was an Reduktion der Emissionen bis dahin zu verzeichnen war, war eine Folge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands und der dortigen Modernisierungsmaßnahmen. Von den rund 16 Prozent CO2-Reduktion, die 2005 schließlich zu verzeichnen waren, wurden mindestens zehn Prozentpunkte in Ostdeutschland erreicht.

Mit derlei Taschenspielertricks haben sich die verschiedenen Bundesregierungen bis heute ein beachtliches internationales Renommee sichern können. Aber das war auch nicht weiter schwer, denn unter Blinden ist der Einäugige bekanntlich ein König. Die anderen Staaten trieben es noch ärger: In der Klimarahmenkonvention hatten die Industrieländer seinerzeit zugestimmt, dass sie ihre Emissionen bis zum Jahre 2000 wieder auf das Niveau von 1990 zurückfahren wollten. Doch daraus wurde in den meisten Fällen nichts. Nur die osteuropäischen Staaten und eben Deutschland schafften die Vorgabe wegen des dramatischen ökonomischen Niedergangs des Ostblocks spielend.

Die anderen fanden kreative Wege, mit ihrem Versagen umzugehen: Als es 1996 in Genf auf der zweiten Vertragsstaatenkonferenz der Klimakonvention daran gehen sollte, über die Überprüfung und etwaige Strafen bei Nichteinhaltung zu verhandeln, zauberte die US-Delegation - Präsident war seinerzeit Bill Clinton, sein Vize hieß Al Gore - eine neue juristische Interpretation der Konvention aus dem Hut. Demnach seien die eingegangenen Verpflichtungen völkerrechtlich nicht bindend. Die anderen Industriestaaten schlossen sich dem nur allzu gerne an.

Das Nachsehen hatten bei all dem die Entwicklungsländer und besonders die Allianz des Kleinen Inselstaaten (AOSIS), die besonders früh und drastisch vom Klimawandel betroffen sein werden. Von Beginn an hatte die AOSIS daher zu den eifrigsten Mahnern gehört. Die Allianz hatte zum Beispiel 1995 zur ersten Vertragsstaatenkonferenz der Klimakonvention einen Protokollentwurf vorgelegt, eine Aufgabe die eigentlich dem seinerzeitigen Gastgeber Deutschland zugefallen wäre.

Doch in Bonn hatte sich der damalige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) nicht mit seinem Entwurf gegen die Wirtschafts- und Verkehrsminister in seinem Kabinett durchsetzen können. Einige Monate vor der Konferenz war er deshalb lieber auf einen anderen Ministersessel gewechselt und hatte den Platz für Angela Merkel freigemacht. Die sah in der Folge ihre Aufgabe auf dem 1995er Klimagipfel in Berlin nur noch darin, das Sekretariat der Konvention nach Bonn zu holen. Ansonsten beschränkten sich ihre inhaltlichen Ambitionen darauf, die Atomenergienutzung in den Konferenzdokumenten als Klimaschutztechnologie unterzubringen. Einige Monate später - aber das nur am Rande - nutzte sie eine Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über den Schutz der biologischen Vielfalt in Indonesiens Hauptstadt Jakarta, um beim seinerzeit noch amtierenden Diktator Mohamed Suharto Werbung für deutsche AKW zu machen, die Siemens gerne auf den Vulkaninseln des Archipels gebaut hätte.

Die Vorgänge in Berlin, Jakarta und Genf waren beispielhaft für das, was folgen sollte, für die fehlende Ernsthaftigkeit, mit der die Industriestaaten verhandelten. Lange konnten sie sich zudem darauf verlassen, dass die Entwicklungsländer durch divergierende Interessen geschwächt waren. Die heute starken und in den Verhandlungen sehr engagierten Schwellenländer Brasilien, China und Indien hielten sich zurück und beschränkten sich lediglich darauf, Forderungen abzuwehren. Außerdem sorgte ein Teil der Erdöl exportierenden Länder, der bis heute aus naheliegenden Gründen keinerlei Interesse an einem wirksamen Klimaschutz zeigt, dafür, dass keine einheitliche Front der Gruppe der 77, und China der maßgeblichen Allianz der Entwicklungsländer also, zustande kam.

Streit um das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung

Das hat sich in den letzten Jahren insofern geändert, als die großen Schwellenländer viel selbstbewusster auftreten. Zuletzt war das im Vorbereitungsprozess des Rio-Gipfels zu erleben. Vor 20 Jahren hatte man sich seinerzeit für die Bewältigung der Gefahren des Klimawandels auf die Formel der "gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung" geeinigt. Für die Entwicklungsländer ist das eine zentrale Position, denn damit ist gemeint, dass die reichen Länder angesichts ihrer stärkeren ökonomischen Potenz und angesichts der Tatsache, dass der bis etwa zur Jahrtausendwende erreichte Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre allein auf ihr Konto geht, die ersten Schritte machen müssen.

Doch davon kann bisher kaum die Rede sein. Die USA, bis vor wenigen Jahren über viele Jahrzehnte der mit Abstand größte Emittent, haben sich dem Kyoto-Protokoll, das sozusagen die Ausführungsbestimmungen der Klimakonvention beinhaltet, vollständig verweigert. Bis etwa 2007 sind ihre Emissionen zudem noch weiter gestiegen. Aber selbst Deutschland, das sich gerne als Klimamusterknabe sieht, emittiert noch immer zehn bis elf Tonnen CO2-Äquivalente pro Einwohner und Jahr. Damit gehört es nach wie vor zu den weltweit schlimmsten Klimasündern, denn für das Klimasystem verträglich sind maximal zwei Tonnen pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: In China liegen die spezifischen Emissionen nach den höchsten Schätzungen bei sieben Tonnen pro Kopf und Jahr. Offizielle Angaben über die Treibhausgasemissionen gibt es aus der Volksrepublik bisher übrigens nicht.

Kein Wunder dass es in der Vorbereitung des Gipfels mal wieder reichlich gekracht hat, wie unter anderem die indische Zeitung Hindustan Times berichtet. Der Streit geht unter anderem darum, dass die EU auch für die Schwellenländer Ziele durchdrücken will, gleichzeitig aber nicht bereit ist, ihre Reduktionsziele anzuheben. Insbesondere wehren sich aber offenbar alle Industriestaaten vehement dagegen, dass das Prinzip der "gemeinsamen, aber verschiedenen Verantwortung" in den Abschlussdokumenten des diesjährigen Gipfels zitiert wird. Das berichtet zumindest die Schweizer entwicklungspolitische Alliance Sud.

Was bleibt?

Angesichts des beklagenswerten Zustandes, in dem sich nicht nur der Prozess der Klimaverhandlungen, sondern auch der über die meisten anderen globalen Probleme wie Artenvielfalt, Armutsbekämpfung oder Wüstenbildung befinden, mag man fragen, was Rio seinerzeit letztlich gebracht hat. Die Treibhausgasemissionen steigen munter weiter und befinden sich auf Rekordniveau (Klima: Emissionen auf Rekordniveau), und auch sonst ist die globale Umwelt in einem besorgniserregenden Zustand, wie jüngst ein Bericht (große Datei, ca. 77 MB) des UN-Umweltprogramms (UNEP) dokumentierte.

Andererseits besteht mit den Konventionen immerhin ein Rahmen, in dem es zu globalen Lösungen kommen kann. Der Fortschritt ist eine Schnecke, aber immerhin eine der besonderen Art: Sie kann zum Sprint ansetzen, sofern der politische Druck in den einzelnen Staaten oder auch einer sich allmählich formierenden Weltgesellschaft zunimmt.

Einen gewissen Beitrag könnten dazu auch die neuen Möglichkeiten für nichtstaatliche Akteure bieten, die rund um die Gespräche geschaffen wurden, die seinerzeit zum Erdgipfel in Rio führten. Zum ersten Mal wurden im großen Maßstab Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zur Beobachtung der Verhandlungen und zu Stellungnahmen eingeladen. Barbara Unmüßig, die seinerzeit an der Konferenz in Rio als Vertreterin deutscher Umwelt- und Entwicklungsorganisationen teilnahm und heute die Heinrich-Böll-Stiftung leitet, beschrieb Anfang Mai die Stimmung in der Luxemburger Wochenzeitung "Woxx": "Viele NGOs - vor allem aus dem Umwelt- und Entwicklungsbereich - haben sich zum ersten Mal miteinander auseinandergesetzt. Es kam zu strategischen Debatten. Es gab eine große Zuversicht, dass wir gemeinsam auch Einfluss nehmen könnten. Ich glaube aber nach 20 Jahren feststellen zu können, dass sich diese Begeisterung weitgehend verflüchtigt hat." Letzteres zeige sich auch daran, dass viele soziale Bewegungen Brasiliens sich aus dem offiziellen Vorbereitungsprozess der Regierung zurückgezogen haben. Die Stimmung sei heute viel konfrontativer. Viele soziale Bewegungen beschränken sich ganz darauf, einen internationalen Gegengipfel zu organisieren, der bereits am Freitag beginnt.