Die FDP setzt sich die rosarote Brille auf

Statt Selbstkritik zu üben, versuchen sich die Liberalen in Kritiker- und Medienschelte

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Vom Bundesparteitag der FDP in Rostock sollte ein Signal des Aufbruchs ausgehen. Mit einer breiteren inhaltlichen und einer neuen personellen Aufstellung soll das Umfragetief überwunden werden. Deshalb wurde im Vorfeld eine kontroverse Debatte sowohl um die personelle Neuaufstellung, die eher ein kosmetischer Ämtertausch denn ein wirklicher Aufbruch ist, aber auch um die inhaltliche Aufstellung der Partei erwartet. Doch statt in einer Generalaussprache die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, klopfen sich die Liberalen vor allem selbst auf die Schultern.

Wer die Reden der FDP-Spitzenpolitiker und der Delegierten auf dem Rostocker Parteitag hört, der könnte fast schon meinen, es gäbe keine Probleme, weder in der Bundespolitik noch in ihrer Partei. Die Wirtschaft läuft, die Steuereinnahmen sprudeln und die Arbeitslosigkeit sinkt - dank der Regierungsbeteiligung der FDP, so der immer wieder geäußerte Tenor.

In seiner Abschiedsrede als Parteivorsitzender wirkte Guido Westerwelle kämpferisch wie immer. Echte Selbstreflexion fällt ihm schwer.

Ich werfe mir lediglich vor, dass wir zu wenig von dem, was wir uns vorgenommen haben, nicht schnell genug durchgesetzt haben.

Doch selbst dieses eher schwache Bekenntnis schränkte Westerwelle sofort ein. Die Umstände seien ja auch nicht günstig gewesen, so sein Versuch, sein Scheitern zu rechtfertigen. Trotzdem habe man viel in den Bereichen Sozial-, Energie- und Gesundheitspolitik erreicht, so Westerwelle, ohne konkret zu werden.

"Und am Ende des Parteitags halten wir uns wieder die Hand"

Hätte eine rot-grüne Regierung auch nur ein einziges Mal eine derart gute Bilanz gehabt wie die derzeitige Bundesregierung, so hätten Sozialdemokraten und Grüne in Champagner gebadet und sich rot-grüne Denkmäler, oben mit Zigarre und unten mit Turnschuhen, gebaut. Westerwelle erhält Applaus für derartige Plattheiten. Sein Abschied ist versöhnlich, er scheidet nach zehn Jahren freudig lächelnd aus dem Amt.

Die Bitte, mit der Rainer Brüderle den Parteitag eröffnete, nehmen sich die Delegierten zu Herzen. "Und am Ende des Parteitags halten wir uns wieder die Hand", hatte sich der frischgebackene Fraktionsvorsitzende gewünscht. Tatsächlich scheinen die harten Personaldebatten der letzten Wochen und Monate vergessen, ein Rücktritt Westerwelles als Außenminister ist kein Thema mehr.

Selbst bisher lautstarke Kritiker Westerwelles wie Wolfgang Kubicki halten sich zurück.. Die FDP habe ein Markenproblem, so der FDP-Fraktionschef aus Schleswig-Holstein. Dieses Problem hänge aber nicht mit Westerwelle zusammen, sondern mit der mangelhaften Durchsetzungsfähigkeit der Liberalen. Er wünsche sich, dass die Partei den Außenminister unterstütze, so Kubicki. Wenn von mangelnder Durchsetzungsfähigkeit die Rede ist, dann ist das auch gleichzeitig eine verdeckte Kritik an der Union, die inhaltlich nicht genügend auf die FDP zugehe.

Konflikt in der Koalition suchen

Deutlicher wird der Vorsitzende der FDP-Fraktion in Nordrhein-Westfalen, Gerhard Papke. Angela Merkel müsse klar gemacht werden, dass sie mit den Liberalen nicht so regieren könne wie mit der SPD. Auch mit verbalen Angriffen auf den Koalitionspartner lassen sich eigene Fehler überspielen. Doch auch der mit 95 Prozent der Stimmen gewählte neue Parteivorsitzende Philipp Rösler kündigt an, den Konflikt in der Koalition zu suchen, um Steuersenkungen durchzusetzen.

Zwar sei der Ruf nach Steuersenkungen nach der Bundestagswahl 2009 mitverantwortlich für den Glaubwürdigkeitsverlust der FDP, gab Rösler in seiner heutigen Grundsatzrede zu. Die Liberalen hätten erkannt, dass der richtige Zeitpunkt für Steuersenkungen beachtet werden müsse. Und dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen. Die FDP setzt in der Koalition offenbar auf einen Konfrontationskurs, um sich wieder ins Gespräch zu bringen. Für Brüderle ist dabei sogar grätschen im Notfall erlaubt - womöglich wird die Politik a la Gurkentruppe und Wildsau bald wiederbelebt. Zur Stabilität der Regierung würde das nicht beitragen.

Kritik an der Medienberichterstattung

Ein solches Auftreten passt jedoch zu einer Partei, die sich selbst noch nicht gefunden hat, bei der Fehlersuche aber lieber auf den Überbringer der schlechten Botschaft zeigt. Ein Problem haben die Liberalen denn auch in der Medienberichterstattung gefunden, in der sie sich ungerecht behandelt fühlen.

Schreiben sie nicht, wie eben geschehen, Guido Westerwelle hat Fehler zugegeben, sondern berichten sie über den lang anhaltenden Applaus für seine Arbeit. Ich weiß, Sie müssen ihre Auflage erhöhen - aber nicht so.

Diese Medienschelte des Delegierten Peter Menzel zeigt, dass trotz des Absturzes der FDP ein Nachdenken über die eigenen Fehler bei vielen noch nicht eingesetzt hat. Menzel steht mit seine Einstellung jedoch nicht allein da. Die Liberalen sollten kritisch gegenüber der Medienberichterstattung sein, erklärte der viel kritisierte Westerwelle selbst. Auch die Bundestagsabgeordnete Claudia Bögel hat überhaupt kein Verständnis für jene, die mit der Arbeit der FDP nicht zufrieden sind.

Hören wir endlich auf, unsere gute FDP schlecht zu reden!

Ansonsten könne man das Produkt FDP nicht verkaufen. Die Bürger forderte Bögel auf, künftig nicht mehr zu jammern.

Mangelnde Selbstreflexion scheint ein zentraler Bestandteil des neuen Konzepts der FDP zu werden. Rösler will sie als "optimistische Partei" positionieren. Immerhin gehe es Deutschland gut, "aber es gibt viele Parteien, die reden nur über Probleme", so Rösler. Die Liberalen wollen sich eine rosarote Brille aufsetzen. Da passt es ins Bild, dass bei der ständigen Beschwörung des Wirtschaftsaufschwungs der stetig wachsende Anteil der Menschen, die trotz Arbeit arm sind, keine Erwähnung fand.

Eingehen auf die Alltagsprobleme der Menschen

In seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede lobte der mit überwältigender Mehrheit gewählte Parteivorsitzende den Erfolg von Guido Westerwelle, der die FDP-Fraktion im Bundestag groß gemacht habe. Rösler will künftig deutlicher machen, dass die FDP keine monothematische Partei ist. Auch in der Vergangenheit ist das dem Vorsitzenden zufolge nicht der Fall gewesen, jedoch sei die Partei so wahrgenommen worden. In seiner ersten Rede im neuen Amt sprach er daher eine ganze Reihe von Themen an, mit denen sich die Liberalen künftig beschäftigen wollen.

In der Energiepolitik bekannte sich Rösler dazu, schon immer ein Anhänger der Kernenergie gewesen zu sein. Allerdings habe ihn der Unfall in Japan, der der erste aufgrund technischen Versagens gewesen sei, zu der Einsicht gebracht, dass ein Ausstieg aus der Atomenergie notwendig sei.

Den Überbietungswettbewerb der anderen Parteien wolle er jedoch nicht mitmachen. Beim Ausstieg seien die Freidemokraten die Stimme der Vernunft. Tatsächlich zeigt der Leitantrag des FDP-Bundesvorstands zur Energiepolitik, dass die Liberalen einen langsamen Umbau der Energieversorgung wollen, bei dem zudem auf weitere Kohlekraftwerke gesetzt werden soll (siehe Liberale würden gerne vor Parteitag ein "Licht am Ende des Tunnels" sehen).

Auch auf die Alltagsprobleme der Menschen wolle die FDP eingehen. So soll besonders für Alleinerziehende die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden. Rösler sprach sich für alltagstauglichere Öffnungszeiten für Kindertagesstätten, mehr Tagesmütter und freiwillige Elterninitiativen aus. Eine Herdprämie lehnte er als kontraproduktiv ab. Ob von Verbesserungen im Bereich der Kinderbetreuung auch Geringverdiener profitieren können, ist allerdings zweifelhaft.

In einem Leitantrag zur Bildung erklärt die FDP, dass die "Sicherung der Qualität" Vorrang vor der Beitragsfreistellung des Kindergartenbesuchs haben solle. Zudem forderte Rösler, den Übergang zwischen den einzelnen Schulsystemen der Bundesländer, beispielsweise bei einem Umzug, einfacher zu gestalten. Wie dies mit dem Ziel vereinbar ist, das laut Leitantrag zu hohe Maß an zentraler Bildungsverwaltung zurückzufahren um mehr Freiheiten in den Schulen selbst zu schaffen, ist ebenfalls unklar.

Neuer Politikstil in der FDP ?

In der Europapolitik sprach sich Rösler für klare Sanktionen gegen jene Staaten aus, die gegen die Stabilitätskriterien verstoßen. "Solidarität ist keine Einbahnstraße", so der Parteichef. Mit dem Leitantrag der Parteiführung zur Europapolitik begibt sich die FDP genau auf jenen Kurs, der Länder wie Griechenland aufgrund harter Sparmaßnahmen immer weiter in die Krise hineintreibt. Euroskeptiker wie Frank Schäffler, der als Vertreter der Liberalen Plattform noch weit radikalere Forderungen wie die Möglichkeit zum Austritt aus dem Euro fordert, treiben die FDP immer weiter in diese Richtung.

Zwar dürfte mit Philipp Rösler ein neuer Politikstil in der FDP Einzug halten. Anders als sein Vorgänger neigt er nicht zu marktschreierischen Auftritten, sondern spricht leise und durchaus mit Witz. Selbst bei seiner über 60 Minuten langen Antrittsrede kam er ohne Notizen aus. Inhaltlich aber ist keine Weiterentwicklung zu erkennen, was nach dem fast schon grotesken Versuch, einen personellen Neuanfang mit den alten Gesichtern zu versuchen, auch nicht verwundert. Die Tatsache, dass trotz hitziger parteiinterner Diskussionen im Vorfeld auf dem Parteitag selbst kaum Kritik an dieser eigentlich offensichtlichen Tatsache kam, lässt vermuten, dass die Partei nur oberflächlich beruhigt ist.

Ob es von nun an mit der Partei wieder bergauf gehen wird, wie Rösler es groß angekündigt hat, oder ob die alten Wunden bei der nächsten Belastung sofort wieder aufbrechen, wird sich schon bald zeigen. Bereits in einer Woche wird die Bürgerschaft in Bremen gewählt, im September folgen dann in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin Wahlen auf Landesebene.