Die Form des Elektrons

Hat das Elektron Dellen in seiner Gestalt? Die Antwort könnte die Struktur des Universums bestimmen

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Es hätte so schön einfach sein können: Das Elektron ist auf den ersten Blick eins der letzten echten Elementarteilchen, wie es von den Physikern im vergangenen Jahrtausend gesucht wurde. Es zerfällt nicht, besitzt keine innere Struktur und ist gar so klein, dass es mit Fug und Recht als Punkt behandelt werden kann. Doch wie so oft, steckt der Teufel im Detail. Denn welcher Punkt kann schon eine Ausrichtung für sich beanspruchen, mit der er in eine beliebige Raum-Richtung zeigen kann?

So lässt sich jedenfalls der Spin (1/2) des Elektrons interpretieren. Aus den Wechselwirkungen des Teilchens mit anderer Materie ergibt sich zudem, dass das Elektron durchaus eine Gestalt haben muss, die von asphärischer Natur ist: rotationssymmetrisch, wobei die Form nicht Ausschnitt einer Kugeloberfläche ist.

Diese Gestalt, so die Theorie, hat eventuell ein paar Dellen. Und zwar genau dann, wenn das Elektron ein elektrisches Dipolmoment besitzt. Die Existenz seines magnetischen Dipolmoments ist unbestritten: Mit Hilfe eines Magnetfelds kann man Elektronen deshalb in Bewegung setzen. Aber kann auch ein elektrisches Feld ein Elektron in Rotation versetzen? Die Frage scheint irrelevant, wo doch der Elementarladungsträger so winzig ist. Die Antwort entscheidet aber so ganz nebenbei, welche Struktur das Universum hat.

Die Astrophysiker wären vermutlich froh, wenn sich tatsächlich ein elektrisches Dipolmoment fände. Denn es würde zum Beispiel erklären, warum das Universum so aufgebaut ist, wie wir es tagtäglich beobachten: Aus jeder Menge Materie und verschwindend wenig Antimaterie. Diese Asymmetrie passt nicht ins System, es gibt nichts, was gewöhnliche Materie vor Antimaterie auszeichnet.

Wären allerdings all die Teilchen, die wir kennen, nur ein Teil einer viel größeren Gesamtheit, könnten sich neue Erklärungen für das Ungleichgewicht ergeben. Diese Teilchen, so vermutet man, warten im unendlichen Pool des Kosmos auf ihre Existenz. Sie tauchen auf und verschwinden wieder, ohne dass wir genug Zeit haben, sie zu beobachten. Da diese virtuellen Teichen, so die Idee, sehr massereich sind, genügen unsere Teilchenbeschleuniger bei weitem nicht, um in ihre Bereiche vorzustoßen.

Die Physiker können aufatmen

Hier kommen die Elektronen ins Spiel. Die virtuellen Teilchen können wir zwar nicht direkt beobachten, wohl aber ihre Wechselwirkungen. Bei den Elektronen müssten sich diese Wechselwirkungen in der Existenz des elektrischen Dipolmoments äußern. Die virtuellen (und hypothetischen) Teilchen verleihen den Elektronen ihr Dipolmoment. Könnte man zeigen, dass es Realität ist, hätte man einen Beweis auch für den Rest der Theorie. Den großen Rest der Physikergemeinde würde eine solche Entdeckung aber in Probleme stürzen. Denn mit dem gegenwärtigen Standardmodell der Physik ist sie nicht kompatibel, wir bräuchten eine neue Physik.

Wie es aussieht, können die Physiker aber erst einmal aufatmen. Ein britisches Forscherteam berichtet in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature, dass das elektrische Dipolmoment zumindest kleiner sein muss, als man erhofft hatte.

Das für die Messung benutzte Lasersystem (Bild: Joe Smallman)

Dieser Nachweis war gar nicht so trivial. Denn um eine sehr schwache Wirkung eines elektrischen Felds auf ein Elektron zu testen, müsste man das Teilchen einem möglichst starken Feld aussetzen. Die Wirkung eines elektrischen Felds auf ein Elektron ist allerdings bekannt: Die Teilchen flitzen, wie der US-Physiker Aaron Leanhardt in einem begleitenden Kommentar in Nature schreibt, wie von Sinnen auf die nächstbeste Wand zu.

Ein Effekt, der sich sehr schön zur Erzeugung von Röntgenstrahlung nutzen lässt, aber beim Experimentieren sehr hinderlich ist. Um ihre Testobjekte festzuhalten, nutzen die britischen Forscher deshalb die Tatsache, dass sie in Atomen und besonders Molekülen relativ stabile Orbitale einnehmen. Äußere elektrische Felder polarisieren Atome oder Moleküle zunächst.

Im konkreten Fall kam Ytterbium-Fluorid zum Einsatz (YbF). Im Vergleich zu früheren Experimenten gelang es den Forschern damit, die Nachweisgrenze für das elektrische Dipolmoment um den Faktor 1,5 zu verringern. Es ergibt sich ein Maximalwert von 10,5 x 10(-28)*e Zentimetern (e = Elementarladung) - das sind 16 Größenordnungen weniger als beim magnetischen Dipolmoment. Die Forscher rechnen allerdings damit, dass mit diesem Experiment-Design noch eine Verbesserung um einen Faktor von bis zu 100 möglich ist. Insofern ist die Entwarnung für die heutige Physik womöglich nur temporär.