"Die Geschichte wird mir Recht geben"

George W. Bushs Memoiren und der Irak

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George W. Bush war noch nie ein Mann, der die Ambivalenz von Wirklichkeit betonte. Die obenliegende Seite der Medaille genügte ihm stets, um sich im besten Licht zu präsentieren. Daran hat sich auch für den Buchautor Bush nichts geändert. Nutzen manche Politiker den Abstand vom Amt, um ihre Politik aus anderen Blickwinkeln zu sehen, so schreibt sich Bush nur eine modische Frisur für seine Präsidentenrolle zurecht, dass er dabei ein bisschen übertönt, war noch nie ein Problem: „Meine Stimme wich ab vom Konsens um mich herum; ich wollte keinen Krieg“, verlautbart Bush anläßlich der Werbetour für seine Memoiren Decision Points. Dass der Zögernde („I gave diplomacy every chance to work.“) sich dennoch in zwei anhaltenden Fällen für den Krieg entschieden hat, wird auch jetzt mit den gleichen Glaubenssätzen begründet wie zuvor: „Die Welt ist ohne Saddam besser dran und auch die 25 Millionen Iraker.“

Die Geschichte werde ihm einmal Recht geben, heißt es im dazugehörigen Bericht von TPMuckracker, das auf sein erstes Buchveröffentlichungsinterview verlinkt. Bei al-Jazeera findet sich eine Präzisierung seiner Aussage über die verbesserten Verhältnisse im Irak seit dem von ihm befohlenen Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte:

The Iraqi people are better off with a government that answers to them instead of torturing and murdering them.

Und man muss nicht einmal auf die Wikileaks-Site (siehe Die Hölle nach Saddam) wechseln, um der jüngeren Geschichte Iraks zu folgen, die Bush doch ziemlich deutlich widerspricht, obschon sie ihm in nicht allzuferner Zeit einmal Recht geben soll. 63 Tote und 285 Verletzte zählt der Bericht von al-Jazeera über eine Serie von Bombenanschlägen, die gestern Ziele in Bagdad trafen, die offensichtlich danach ausgesucht worden waren, wie sehr sie zur Zeit der Explosion frequentiert werden (z.B. Märkte und Banken). Dass die Auto-und Straßenbomben und andere Sprengmittel vor allem schiitische Iraker traf, taucht als üblicher Hinweis auf nach wie vor spannungsgeladenen Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen religiösen Gruppierungen auf, konkrete Namen von Verdächtigen werden nicht genannt.

Dagegen gilt es als sicher, dass die Bewaffneten, die am Sonntag 52 irakische Christen töteten – und damit für den "blutigsten Anschlag seit 2003" auf diese religiöse Gruppierung verantwortlich ist, der Organisation Al-Qaida im Irak nahestehen. Ihr Vorgehen gegenüber den als Geiseln gehaltenen Kirchensuchern wird als äußerst brutal geschildert:

Several gunmen, about ten, some wearing vest bombs stormed into the church and took more than one hundred worshippers as hostages. ..Those killers killed a mother and her six months old baby because the baby was crying. Anger and sorrow for the children who were killed with cold blood, pregnant women, old women...

Inside Iraq

Im selben Irak-Blog von McClatchy kann man anhand anderer Postings erfahren, dass die Versorgung der irakischen Bevölkerung mit Strom und Essen noch immer mangelhaft ist. Dass es auch außerhalb der Bombenanschläge, über die in den Medien berichtet wird, zu täglichen Gewalttätigkeiten mit tödlichen Folgen kommt, kann man in Iraq Today verfolgen.

Analysanten rätseln über die Hintergründe der spektakulären Anschläge der letzten Tage. Einig sind sich die meisten darüber, dass sie der Öffentlichkeit vorführen, wie wenig Maliki dagegen machen kann, dass sein Sicherheitsapparat dagegen hilflos ist. Und einig sind sich Kenner der politischen Szene auch darüber, dass wohl erst im nächsten Jahr Schluss sein werde mit dem „Machtvakkuum“. Eine neue Regierung wird sich wohl erst 2011 bilden können, so Reidar Visser, der innenpolitische Irak-Experte. Spekulationen über die Hintergründe der zur Zeit wieder aufflammenden Konflikte werden durch den Stellvertretermachtkampf, den sich Iran und die USA im Irak liefern noch weiter verkompliziert.

Ob in Bushs Memoiren davon die Rede ist, dass Iran sich im Irak seit dem amerikanischen Einmarsch über ständig größeren Einfluss freuen kann, der kürzlich auf politischer Ebene dazu führte, dass man dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Maliki den US-Feind Muqtada as-Sadr zur Seite stellen konnte? Sicher ist jedenfalls, dass Bush diesen Sieger der Geschichte nicht auf den Plan hatte.