Die Juweliere des Sensenmanns

Nun auch endlich in Deutschland - LifeGem verhüttet auf Wunsch die Überreste verblichener Angehöriger zu kleinkarätigen Andenken

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Die Kette morbider Nachrichten reißt nicht ab. Zuerst Reuters Begräbnis-Charts mit Robbie Williams "Angels" an erster Stelle, gefolgt von Mozarts "Requiem", und nun auch noch das: die LifeGem Europe hat mit einer Niederlassung in Aachen ihre Pforten in Deutschland geöffnet.

Mama oder Papa oder andere Tote sind immer dabei

Im Jahre 2002 sorgte das erste Auftauchen von LifeGem in den Medien entweder für ungläubige Heiterkeit oder ließ Zweifel an der Pietät der Amerikaner aufkommen. In den Nachrichten aus der Chemie 51, 2003, dem Monatsblatt der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh, wurden gar Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit publizierter Verfahrensdetails laut. Eine Einstufung als Aprilscherz erschien angebracht.

Doch nach Niederlassungen in den USA, Japan, Südafrika, Australien, England, Ungarn und den Benelux-Staaten war es an der Zeit, nun auch einem begeisterungsfähigen deutschen Publikum enger auf die vergängliche Pelle zu rücken. In Deutschland wurden bereits erste LifeGems ausgeliefert - trotz erschwerter Bedingungen wie dem Friedhofszwang. LifeGem empfiehlt, die Asche des Toten zunächst in die Niederlande zu bringen. Damit sei dem Friedhofszwang Genüge geleistet und man könne dann angeblich problemlos den in den Niederlanden rechtmäßig hergestellten Diamanten nach Deutschland importieren.

LifeGem bietet den Hinterbliebenen nach eigenen Aussagen "die einzigartige Möglichkeit, ihre Erinnerung an ihren geliebten Verstorbenen mit einem echten Diamanten zu umschließen". Oder gleich mit mehreren, denn die LifeGem-Gründung in den USA versprach, mindestens bis zu 50 Diamanten von je einem Karat aus einem Leichnam herausholen zu können, also genug für ein Collier (mittlerweile ist man bei solchen Mengenangaben vorsichtiger; da der Kohlenstoffgehalt "konventioneller" Krematoriumsasche gering ist und zusätzlicher Kohlenstoff hinzu gegeben werden muss).

Und bevor man sich fragen kann, was um Himmels Willen man denn mit den Leichenklunkern anfangen soll, hat LifeGem schon die Antwort:

f you desire an everlasting connection and closeness to the one you have lost, the LifeGem is right for you. Each LifeGem, as a celebration of life, tells a unique story and represents a new beginning.This closeness and mobility, offered only by a LifeGem, will help you keep your loved one with you and in your life at all times.

Nicht genug damit, seine Liebsten zu Diamanten verarbeiten zu lassen - man sollte endlich auch mal an sich selbst denken und sich etwas gönnen, Gründe gibt es reichlich:

Selecting the LifeGem as the way to memorialize your own life is an excellent choice. Whether your wish is motivated by ecological reasons, a desire to leave a beautiful heirloom for your family, or simply personal reasons of comfort, the LifeGem ensures you will be as brilliant and unique in passing as you are in living, and we sincerely thank you for choosing LifeGem as your memorial.

Zeitiges Planen erspart den Hinterbliebenen unnötiges Durcheinander im Trauerfall. Tritt dieser unvorbereitet ein, ist das kein Grund zur Panik- denn es gibt vorsorglich den "When You're Ready"-Plan, der greift, während man sich über seine tatsächlichen Bedürfnisse klarer werden kann:

After losing a loved one, we know that decisions can be hard to make. With this plan, your loved one's carbon will be stored in our state-of-the-art, secure, and climate controlled environment until you are ready. The price for this phase is $1800.

Neben der Erledigung des Papierkrams verlangt LifeGem ca. 200 Gramm der eingeäscherten Überreste, die in einem Plastikbehälter eingesandt werden müssen. Ist es dem Kunden unangenehm, in der Asche herumzustochern - wovon nicht auszugehen ist, will er sich doch anschließend damit schmücken - kann er zertifizierte LifeGem-Partner kontaktieren, die das übernehmen.

Das Phasendiagramm von Kohlenstoff zeigt derzeitig gängige Synthesewege zu künstlichen Diamanten. (CVD- Chemical Vapour Deposition zur Erzeugung dünner Schichten aus polykristallinem Diamant; HPHT - High Pressure High Temperature. Bild: Paul May

Das Prinzip ist aus der Festkörperchemie bekannt: Der bei der Einäscherung des Toten abgezweigte Kohlenstoff wird in Graphit umgewandelt und zu Diamant gepresst. Dabei muss während der Einäscherung die Sauerstoff-Konzentration im Krematoriums-Ofen (am vorteilhaftesten in einem Partner-Krematorium) überwacht werden, da sonst der wertvolle Kohlenstoff als Kohlendioxid entweicht und unter Umständen nicht genug Kohlenstoff anfällt.

Die erste erfolgreiche Hochdrucksynthese von Diamanten gelang in den 1950er Jahren. Bei Temperaturen zwischen 1400 und 1600 Grad Celsius und bei einem Druck von 5 Gigapascal lässt sich Graphit an einem Kristallisationskeim - meist ein winziger natürlicher oder künstlicher Diamant - im Beisein von Katalysatoren (Eisen, Nickel, Metall-Legierungen und -Carbide) in die begehrte Kohlenstoff-Modifikation umwandeln; andere Wege sind bekannt. Für brauchbare Schmucksteine dauert der Prozess allerdings ein paar Wochen (LifeGem-Angaben: 0,25 Karat - 16 bis 18 Wochen).

Walter Sobchak und "His Dudeness" pfeifen auf Geschmeide aus Kumpel-Asche

Dem Kunden wird dabei die Zeit nicht lang, denn er kann das Voranschreiten des Prozesses verfolgen. Per Benutzername und Kennwort erfährt er über das Internet, in welcher Phase des Werdens sich sein persönlicher LifeGem gerade befindet.

Der erhaltene Rohdiamant wird geschliffen und erhält so Feuer und Brillanz; außerdem bekommt er eine LifeGem-Identifikationsnummer - auf Wunsch auch einen kurzen, persönlichen Text. Es werden Diamanten von 0,25 bis 1 Karat angeboten - mit Mengenrabatt; die Preise bewegen sich zwischen 2.799 und 16.899 Euro pro Stück. LifeGem offeriert farbige Diamanten ("fancy diamonds" - gelbe und blaue, je nach vorhandenen Verunreinigungen) - im Testlauf wurden aus einem Schwein angeblich rote, gelbe und blaue Diamanten hergestellt. So beschränkt sich die Diamantenproduktion nicht auf geliebte verstorbene Erdenbürger - Haustiere sind bei LifeGem als Kohlenstoffquelle ebenfalls gern gesehen.