Die Krise des Wolfgang Amadeus M.

"Superbad"-Regisseur Greg Mottola gelingt mit seinem "Adventureland" eine versöhnliche und zeitlose Version des "American Psycho"

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Es gibt immer diese zwei Gruppen: Die Einen, die "cool guys" spielen im Highschool-Football-Team oder unterstützen selbiges als Cheerleader. Die Anderen sind die Nerds, interessieren sich für Computer oder Literatur oder Kunst, und haben für mühsame Fassaden so überhaupt kein Verständnis. Greg Mottolas "Adventureland" setzt dieses Zwei-Klassen-Klischee für die Zeit nach der Highschool fort, und offenbart ganz nebenbei, dass sich diese Kluft später in einen ewigen Konflikt verwachsen wird. Und wenn die (zukünftigen) Intellektuellen auf die (zukünftige) Finanzelite trifft, dann zeichnet sich die Wirtschaftskrise sogar schon 1987 ab.

Alle Bilder: Walt Disney

Es gibt da einmal ein klassisches Missverständnis: Joel, ein hochgewachsener, schlaksiger Typ mit dicker Brille und einem Faible für sowjetische Literatur, verirrt sich in eine Disco - Trockeneis-Nebel und flackernde bunte Lichter illustrieren die etwas peinlich bemühten Choreografien der 80er-Jahre-In-Girls mit Turmfrisuren und Leggings. Mit einer, vielleicht der betrunkensten, von ihnen wird Joel nach Hause gehen, und der (geheuchteltes oder gar echtes) Interesse zeigenden Sue dabei mit leuchtenden Augen von einem russischen Schriftsteller vorschwärmen.

Am nächsten Tag reicht er ihr - irgendwo im titelgebenden Vergnügungspark "Adventureland", in dem beide arbeiten - ein Buch dieses Autors, und blitzt natürlich schmerzhaft ab. Sie sei extrem katholisch erzogen, so das Rothaarige Party-Girl Sue, und eine konfessionsübergreifende Beziehung komme für sie nicht in Frage.

Es sind die Fassaden, die in Greg Mottolas Film überall abblättern. Wenn Sue eine religiöse Ideologie vorschiebt, um sich Joel zu entledigen, dann ist das nur ein Beispiel für einen tatsächlichen Verlust von Überzeugungen, die nur noch behauptet werden. Auch Lisa P., Madonna-Klon und ikonenhaft im Stil der Dekade ausstaffiert, ist sich ihrer vorgeführten Identität keineswegs sicher; sogar New York - als Modell einer idealen Großstadt, die erfolgreiche Erwachsene bewohnen - zum Ende des Films ist grau, verlassen und regnerisch, bis Protagonist James und Love-Interest Em (ein Kürzel, das gleichermaßen für Emily und Emotion zu stehen scheint) in ihrem gemütlich-schlichten Appartement ankommen.

Ems Stiefmutter schließlich ist das Paradebeispiel des spießbürgerlichen Yuppies: Ein Nervenzusammenbruch ließ sie ihre Haare verlieren, und die Perücke, die sie in Folge trägt, um ihre innere Desolation zu verbergen, ist natürlich Tabuthema in der Familie und vor den wohl ähnlich maskierten Gästen.

Völlig ins Bild rücken diese abbröckelnden Oberflächen schließlich, betrachtet man den Vergnügungspark, als dessen Angestellter James notgedrungen seinen Sommer verbringt: Mottola zeichnet "Adventureland" als eine Welt trister Fröhlichkeit, deren gute Laune zwar nicht erzwungen, wohl aber längst nicht mehr überzeugend ist. Die T-Shirts, die James, Em und alle anderen tragen müssen, sind ausgeblichen, die bonbonbunten Farben der Stände und Fahrgeschäfte längst verblasst, und der Geschäftsführer und verzweifelte Sanguiniker Bobby (großartig: "Superbad"-Polizist Bill Hader) hält stoisch an seinem fröhlichen Dauergrinsen fest, während er die Besucher streng ermahnt, ihren Abfall doch bitte in die Mülltonnen zu werfen. Und auch die 80er-Jahre-Disco ist nicht angenehmer.

Die grellen Farben verschwimmen im Dunst der Nebelmaschine, scharfe Konturen gibt es in dieser Weichzeichner-Welt keine mehr. Diesen etwas trostlosen Bildern stellt Mottola eine intensive Porträtfotografie gegenüber: immer wieder schwimmt ein Gesicht - das von James oder Em - scharf beleuchtet und konturiert vor der Unschärfe und den Lens Flares des Hintergrunds. Identität in "Adventureland", das stellt schon die Bildsprache klar, kann nur durch Abgrenzung geschehen.

"I've seen the old world, now I want the new world”

"Adventureland" erzählt also auch eine Geschichte von zwei Klassen, die immer wieder aufeinander prallen und sich dabei zur Definition ihrer gegenseitigen Identität nicht entbehren können. Auf der einen Seite stehen die Intellektuellen, diejenigen, die sich für Literatur, Kunst und Kultur interessieren und Selbstverwirklichung inmitten ihrer teen angst nicht in finanziellem Erfolg suchen. Dagegen gibt es die oberflächlichen Nachwuchs-Yuppies, deren zur Schau gestellte Sicherheit und Souveränität Mottola als Maske entlarvt.

Wie leicht der Übertritt von der einen in die andere Klasse fällt, zeigt das Beispiel von James' bestem Freund: Ähnlich interessiert an Kunst und Kultur wie der mittellose James, verbringt Eric seinen Sommer auf Europareise. Nach seiner Rückkehr ist der Plan, gemeinsam an der New Yorker Columbia Literatur zu studieren, dahin: "I've seen the old world, now I want the new world. I'm going to Harvard Business!" Der Konflikt zwischen Business und Kultur kennt aber auch Außenstehende, die in keine der beiden Kategorien so richtig passen wollen.

Da gibt es zum Einen den bereits erwähnten "Adventureland"-Chef Bobby, der mit seinem Vergnügungspark den Brückenschlag zwischen Geschäftstüchtigkeit und Menschlichkeit versucht, aber überhaupt nur dank kleiner Schummeleien wenigstens eine Illusion davon aufrecht erhalten kann. Und dann ist da noch der Hausmeister Mike: Unglücklich verheiratet und notorischer Verführer der gerade so volljährigen "Adventureland"-Mitarbeiterinnen erzählt der Hobby-Gitarrist gerne davon, dass er einmal mit Lou Reed aufgetreten sei - eine dringend nötige Fabel von einer erfolgreichen Verbindung der zwei Welten, deren Unglaubwürdigkeit in dieser zweigeteilten Gesellschaft niemanden mehr stört.

Das "Adventureland" illustriert diese Zweiteilung sogar noch, indem es seine Angestellten in die beiden Gruppen der "Games" und der "Rides" einteilt, der Schießbuden-Betreuer und der Fahrgeschäft-Animateure. Die cool guys, ganz klar, tragen das rosafarbene "Rides"-T-Shirt, während James, Em und Joel im blassblauen "Games"-Outfit an Jahrmarkt-Spielen stehen und lustlos die wenigen Besucher austricksen, damit der Laden wenigstens ein bißchen profitabel läuft.

Der Vergnügungspark und die Final Frontier

Natürlich ist "Adventureland" einer dieser Coming-of-Age-Filme, wie sie zum Beispiel Richard Linklater ("Dazed and Confused") so meisterhaft beherrscht. Sie setzen ihren Protagonisten dem Druck aus, sich hier und jetzt für den Weg seines weiteren Lebens entscheiden zu müssen, und lösen dieses Problem meistens - wie auch Ethan Hawke in "Before Sunrise" und "Before Sunset" - schlicht mit einem Aufschub.

Der Sommer im Vergnügungspark ist in Mottolas Film der Übergang von der Jugend zum Erwachsen-Sein: Hinein geht ein träumerischer Idealist, heraus kommt ein spontaner Realist, der sich seine Ideale nicht von seiner materiellen Perspektivlosigkeit hat nehmen lassen. Das "Adventureland" verkörpert auch den American Dream, obwohl es keine Franklin'schen Geschichten vom self-made success erzählt, sondern nur Reflexion und die Möglichkeit zur Beharrlichkeit bietet. Der Vergnügungspark ist die Karikatur einer letzten "American Frontier", einer Grenze, deren Überschreiten es zu bewältigen gilt. Nur ist Mottolas Frontier nicht mehr geografischer oder auch nur kultureller Natur, sondern eine rein soziale: Die Emanzipation von einer konformistischen Gesellschaft, die ihre Mitglieder in allzu vorhersehbare Schubladen einteilt, gelingt letztlich nur James und Em.

Zuletzt verkörpert das "Adventureland" aber auch ein globalisiertes Finanzsystem, dessen Zusammenbruch bereits 1987 am Horizont steht: Der liebevoll unpersönlich geführte Vergnügungspark reduziert seine Mitarbeiter längst auf ihre utilitaristische Funktionalität. Eine Loyalität zum Familienunternehmen kann die neue Generation nicht mehr entwickeln, und entsprechend lustlos ist auch ihr Einsatz. Stattdessen steht die egotistische Suche nach dem eigenen Erfolg, der unabhängig von Loyalitäten und Sozialstrukturen funktionieren muss.

Wenn Mottola in vielen kleinen Randepisoden die innere Zerstörtheit und mühsam aufrecht erhaltene Fassade der erfolgsverwöhnten Börsenmakler-in-spe aufdeckt, dann ist das bereits eine dünne Stelle des Luftballons, die 20 Jahre später zerplatzen wird. Aus den Lautsprechern im Vergnügungspark tönt unaufhörlich Falcos "Rock me, Amadeus": "Es war um 1780 / und es war in Wien / no plastic money anymore / die Banken gegen ihn". Der Bankrott der Kreativen, den "Adventureland" zu Beginn voraussetzt, kann aber schließlich überwunden werden. Das "Abenteuerland" ist kein regressiv-eskapistischer Hort jugendlicher Fantasie. Und wenn der aktuelle Diskurs der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Hintergrund getreten ist, dann bleibt ein Film, der dank wunderbarer Ästhetik und vieldeutiger Unbestimmtheit zeitlos ist.