Die People's Communication Charter

Eine weitere politische Erklärung für den Cyberspace

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Oh, nein, noch eine pompöse Erklärung über den Cyberspace und die Kommunikation. Dieses Mal handelt es sich um die People's Communication Charter, eine Version der neoliberalen Kommunikationsideologie. Sie wurde nicht von Tony Blair geschrieben, der die "Prinzessin des Volkes" erfunden hatte, aber er würde sie mögen, denn sie repräsentiert die Vorstellungen der neuen Eliten, zu denen die NGOs und die internationalen NoGOs der "Dritte-Welt-Bewegungen" gehören. Die PCC-Kampagne wird in Europa vom elitären Medienzentrum "Society for Old and New Media" in Amsterdam koordiniert. Die 18 Artikel der Charta stehen in der Tradition des europäischen Liberalismus, der US-amerikanischen Cyberideologie und der gleichermaßen europäischen Tradition des Ethno-Nationalismus.

In ihren Herzen sind die Autoren dieses Dokuments reine Liberale der Aufklärung. Sie sind davon überzeugt, daß der Sinn eines Menschen in der Kommunikation, Argumentation und Diskussion besteht: "Die Kommunikation ist für das Leben aller Individuen grundlegend ... ."

Schnelle Entwicklungen im Bereich der IuK-Technologien (Digitalisierung, die Entstehung neuer Medien und der Vernetzung) haben einen großen Einfluß auf die Gesellschaft. Die Kommerzialisierung des Wissens schafft immer mehr Situationen, in denen bei der Bereitstellung von Informationen ein Preisschild angebracht ist. Als Folge wächst eine soziale Kluft zwischen jenen, die sich den Zugang zur Information leisten können, und den davon Ausgeschlossenen. Überdies schaffen viele Firmenzusammenschlüsse und Joint Ventures mächtige Medienkonglomerate, die der öffentlichen Kontrolle entgehen.

Society for Old and New Media

Der Hauptfehler der Charta ist der Versuch, der Welt eine liberale Ideologie maximaler Interaktion aufzuzwingen. Die Autoren behaupten, das "Volk" zu sein, und sie sprechen von Offenheit, während sie in Wirklichkeit eine abgeschlossene Elite in unzugänglichen Organisationen mit einer starren Ideologie sind. Wie John Perry Barlow und andere Autoren von pompösen Erklärungen können sie sich nicht vorstellen, daß manche Menschen nicht Tag und Nacht mit Meinungen Handel treiben wollen. Doch ihre Obsession läßt ihre Charta auch in sich widerspruchsvoll werden, da sie sich der ethno-kulturellen Ideologie der Vielfalt anpassen muß.

Um diese Entwicklungen kritisch zu beobachten, ist es dringend erforderlich, eine globale Bürgerbewegung zu bilden. In solchen Bereichen wie den Menschenrechten, dem Umweltschutz und den Verbraucherinteressen gibt es bereits viele Bürgerbewegungen. Das ist aber bislang im Bereich der Information und Kommunikation nicht der Fall.

Society for Old and New Media

Artikel 12 ist der Kern der Charta und erklärt, daß jeder das Recht auf einen Zugang zu einem offenen Cyberspace besitzt. Damit wird implizit die moralische Neutralität des Cyberspace und monopolitisch ein einziger (globaler) Cyberspace behauptet. Manche der anderen Artikel leiten sich von diesem liberalen Ideal der offenen Kommunikation ab und spiegeln traditionelle westliche "Medienrechte": den Zugang zu den Medien (Artikel 3), die Ausbildung unabhängiger Journalisten (Artikel 4), den Schutz der Journalisten (Artikel 6) und das Recht auf Widerspruch (Artikel 7). Die meisten Rechte haben außerhalb des westlichen Modells der Medien keine Bedeutung. (Ich will nicht das Recht auf Widerspruch in den Medien von Murdoch und Berlusconi haben, sondern sie sollen konfisziert werden.) Manche der Artikel wie der Artikel 13 über Privatheit begrenzen sogar die gleichen Medienrechte. Der Widerspruch: Der Mißbrauch von Medien ist das Produkt der offenen Medien. Man stelle sich vor, was einem Fotografen geschehen wäre, der Stalins Auto auf einem Motorrad gefolgt wäre. Wer eine offene Gesellschaft will, darf sich nicht über Paparazzi beklagen.

Ein Großteil dieser "radikalen" Charta reproduziert im Wesentlichen die bestehende Medienwelt. Das trifft ganz gewiß beim Artikel 8 zu, dem zweitwichtigsten Fundament der People's Communication Charta. Er erklärt das Recht, die kulturelle Identität zu schützen. Anti-Nationalisten aber besitzen keine kulturelle Identität: sie ist ein nationalistischer Kitsch. Ich will keine Tulpen, Windmühlen oder Holzschuhe (oder die Reichskriegsflagge) mehr sehen. Ich will nicht, daß sie geschützt werden, und ich will nicht, daß andere sie achten, wie dies die Charta verlangt. Die Charta unterstellt eine Welt kultureller Identitäten, zu der jeder gehört und die normalerweise vererbt werden. Auf ähnliche Weise schützt Artikel 9 (Vielfalt der Sprachen) meine "eigene Sprache". Aber das ist direkt dem vielsprachigen Ideal entgegengesetzt, für das ich in Europa bin. Je vielsprachiger die Welt wird, desto weniger wird die "eigene Sprache" gesprochen. Logischerweise setzen daher Artikel 8 und 9 eine Welt isolierter Kulturen voraus, die ihre eigenen Medien besitzen. Aber das steht im Widerspruch zum liberalen Ideal einer freien globalen Kommunikation im restlichen Teil der Charta. Man kann leicht erraten, was das Ergebnis sein wird: ein nationalistischer Kitsch in einem englischsprachigen Cyberspace.

Mit der Unterzeichnung der People's Communication Charta unterstützen Sie die Bildung einer globalen Bürgerbewegung für das Recht auf Kommunikation. Die PCC braucht weltweite Unterstützung, um dieses Recht auf das politische Programm zu setzen.

Society for Old and New Media

Diese Mischung aus Liberalismus und ethno-kultureller Identität ist typisch für die multi-ethnischen Länder mit englischen politischen Traditionen: die USA, Kanada und Australien. Die PCC kommt aus der akademischen Welt der USA. Die International Association for Mass Communication Research (IAMCR) und das Cultural Environment Movement waren an der ersten Fassung beteiligt. Später beteiligten sich weitere NGOs. Sie bilden einen Teil der entstehenden globalen Elite von NGOs und von deren akademischer Lobby. IAMCR ist eine mit der UNESCO verbundene NGO. Oft verbinden diese Organisationen eine "linke" Rhetorik mit hartem Geschäft: sie haben sich aus sozialen Bewegungen zu Unternehmen entwickelt. Die Links auf der PCC-Site geben einen Eindruck von diesem Hintergrund der Charta, beispielsweise wenn man sich die WebGrrls Biz Line ansieht. Das ist übrigens auch typisch für die Projekte der Society for Old and New Media.

Die seit der ersten Fassung ergänzte Charta ist zu einem Klassiker des "Vielheits-Liberalismus" geworden. Sie macht aus den "Kulturen" die Bausteine einer wesentlich liberalen Weltordnung. Damit reproduziert sie den Kompromiß zwischen Liberalismus und Nationalismus: die Weltordnung der marktwirtschaftlichen Nationalstaaten.

Infolgedessen widersprechen sich manche der Artikel. Das Recht, seine kulturelle Identität zum Ausdruck zu bringen (Artikel 12) wird von "anderen Bestimmungen" eingeschränkt. Und nach dem Artikel 14 sollten die Medien aktiv Aufrufe zu ethnischen Konflikten bekämpfen und Stereotypen vermeiden. Aber was sollten die Medien in Alabien machen, wo die albanischen Nationalisten Stereotypen von albanischen Nationalisten sind und die serbische Polizei sich wie das Stereotyp der serbischen Polizei verhält? Die kulturelle Identität zum Ausdruck zu bringen, bedeutet manchmal Krieg, jedenfalls in Europa. Die amerikanischen Autoren der PCC leben in einer Welt, in der "italienisch" eine bestimmte Art von Restaurant und "afrikanisch" ein Lebensstil ist. Ihre "Vielheit der Kulturen" ist selbst ein kulturelles Modell für eine bestimmte Einwanderungsgesellschaft. In Europa ist das ein gefährlicher Mythos. Und im allgemeinen ist die ideale Welt der PCC nicht nur mangelhaft, sondern im wesentlichen eine Bestätigung der bestehenden Welt. Als solche ist sie wahrscheinlich nicht besser, sondern eher schlimmer.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer