Die PiS als neue polnische Linke?

Bild: Lukas Plewnia/CC BY-SA-2.0

Medien haben im Einklang mit der Politik den Wirtschaftsliberalismus zu ihrem Credo erhoben und der nationalkonservativen Kaczynski-Partei den Weg bereitet

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Zehn Monate nach der Machtübernahme durch die nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit", kurz "PiS" und nach dem Einlösen eines ihrer wichtigsten Wahlversprechens, der Einführung des Kindergeldes im Rahmen des "Familienprogrammes 500 plus" schrieb im August 2016 der bekannte Journalist Marek Beylin in der liberalen Gazeta Wyborcza:

Die offensichtliche Armut ruft nur selten Mitleid und den Willen zum Helfen hervor, viel häufiger löst sie eine negative Befremdung aus. Wir kämpfen damit seit 1989, als diese zerstörerische und nie verarbeitete Teilung in "Parasiten" und "Diebe" auftauchte. (…) Die Gewinner haben allzu häufig die Verlierer als ein gefährliches, den Wandel behindertes Relikt des Kommunismus betrachtet. Damals breitete sich der Sozialdarwinismus aus: Polen für die Tüchtigen. Wir arbeiten hart und die Faulen stehlen uns das Geld - sagte man über Hilfe für die Ärmeren und generell über Sozialleistungen.

Marek Beylin

Weiter schreibt er:

Die Armut demütigt und paralysiert. Sie erlaubt es nicht, sich aus dem Zwang des Überlebenskampfes zur befreien. Ein derart unfreier Mensch hat keine Chancen, sich für etwas anderes zu engagieren, außer für die Befriedigung seiner elementarsten Bedürfnisse. Er funktioniert also außerhalb der Zivilgesellschaft und ihrer Ambitionen. Und manchmal wendet er sich gegen sie, wenn er - was häufig vorkommt- von engagierten Eliten hört, dass er ein beschränktes Lebewesen ist, welches keine höheren Bedürfnisse hat." Und der Autor schließt: "500 plus kann das ändern - auch wenn das Programm unvollkommen und verbesserungswürdig ist, um den Armen effizienter dienen zu können. Aber selbst damit würde ein Teil jener, die der Sorge ums Überleben entrinnt, beginnen, sich in der Welt umzusehen. Indem in diesen Menschen die bürgerliche Würde erweckt wird, werden sie diese Welt verändern wollen. (…) Umso mehr müssen wir in den marginalisierten, jetzt unfreiwillig stummen Mitbürgern künftige Verbündete sehen. Und keine "Parasiten". Wir brauchen uns.

Marek Beylin

Binsenwahrheiten könnte man meinen. Dennoch sticht dieses Feuilleton in der renommierten und einer der meist gelesenen Tageszeitungen Polens ins Auge. Hier schreibt jemand über die Armen und Vergessenen in der Gesellschaft, er appelliert an die Leser, in ihnen Menschen mit Bedürfnissen zu erkennen. Menschen, die in den polnischen Mainstreammedien seit 25 Jahren so gut wie ausgeblendet waren. Dieser Text mutet an wie eine späte Reue eines Mediums, das zusammen mit unzähligen Magazinen, den staatlichen und privaten Fernseh- und Radiosendern jenem Teil der Polen, der es im neuen System zu etwas gebracht hat, zu der Geringschätzung, ja Verachtung eines großen Prozentsatzes ihrer Mitbürger geradezu erzog.

Diese Medien haben im Einklang mit der Politik den Wirtschaftsliberalismus zu ihrem Credo erhoben, haben soziale Probleme und Armut unter den Teppich gekehrt und jegliche System-Debatten unterdrückt. Der kritische polnische Sozialjournalismus, wurde durch Tratsch und Starkult ersetzt, durch Berichte über politische Intrigen und schlecht recherchierte Aufreger-Geschichten.

Die Hauptnachrichten des polnischen Fernsehens sind zum puren Infotainment nach schlechtestem US-Vorbild verkommen, die ehemals kritischen Zeitungen, wie Adam Michniks einst links-liberale "Gazeta Wyborcza", wurden immer mehr zur Propagandatube der wirtschaftsliberalen Vorgänger-Regierungen.

Die Armen versaufen das Kindergeld

Als die PiS plante, ihr Sozialprogram "500 plus" ein Kindergeld von 500 Zloty (ca. 120 Euro), das an alle Familien für jedes Kind ab dem zweiten Kind ausgezahlt wird einzuführen, waren die Gegner auf Internetforen und Kommentatoren liberaler Medien außer sich.

Jeremi Mordasewicz vom Arbeitgeberverband "Lewiatan" sagte am 4. Februar 2016 im Radio TOK FM: "Wollen wir, dass Kinder in Familien mit einem starken Arbeitsethos geboren werden, oder wollen wir, dass die Kinder überhaupt geboren werden? Wir wissen, dass der Wohlstand eines Landes vom Arbeitsethos abhängt und davon, in welcher Kultur sie erzogen werden." Und er präzisierte: "Wollen wir, dass die Kinder Eltern mit einem geringen Arbeitsethos haben, passiv, mit niedrigen Ansprüchen ans Leben und an die Bildung?"

Ein Arbeitgebervertreter aus Danzig beklagte sich in der "Gazeta Wyborcza", dass die Frauen nicht mehr für 1500 Zloty arbeiten werden, wenn sie aus dem Regierungsprogramm für drei Kinder genauso viel bekommen würden und dann zu Hause sitzen und nichts tun müssen (sic!)

Bereits im Februar 2016 versuchte der Journalist und Historiker Adam Leszczyński ebenfalls in der "Gazeta Wyborcza", das geplante Kindergeld zu verteidigen. Er führte die Erfolge ähnlicher direkter Sozialtransfers von Brasilien bis zu den Philippinen sowie Untersuchungen zur Armutsbekämpfung von "Poverty Action Lab" und der Weltbank an. Im anschließenden Leserforum erntete er wüste Beschimpfungen. Diese Geldverteilung würde die Empfänger demoralisieren, sie faul und passiv werden lassen, eine Anspruchsmentalität und noch mehr Elend erzeugen. Die Armen würden das Geld ohnehin sofort versaufen und wir, die Steuerzahlen müssen dafür zahlen, so der Tenor der Kommentare.

In den liberalen Mainstreammedien wurden Meldungen verbreitet, wonach in ärmeren Teilen Polens der Verkauf von Unterhaltungselektronik, sogar von Autos, sprunghaft angestiegen wäre und Frauen massenweise ihre Jobs kündigen. Diese Informationen konnten nicht bestätigt werden, lediglich bei schlecht bezahlten Arbeiten, etwa an der Supermarktkasse, wurden Kündigungen, die statistisch kaum signifikant ausfielen, beobachtet.

Selbst im rudimentären linken Lager scheinen sich die Vorurteile und Phobien gegenüber armen Mitbürgern hartnäckig zu halten. In einem Interview für die linke "Krytyka Polityczna", sagte im Februar 2016 die bekannte liberale Feministin Magdalena Środa, sie hätte beobachtet, dass in ihrer Wohngegend keine Armut, sondern nur Alkoholismus existiere. Die Empfänger von "500+" würden das Geld, das sie ohnehin nicht brauchen, versaufen.

Die Kinder würden dem Neid, der ja eine nationale Eigenschaft der Polen sei, zum Opfer fallen. Das würde wiederum der PiS nützen, denn sie ist eine Partei der Ressentiments. Die 500 Zloty würden die Menschen dazu verleiten, Kinder nur fürs Geld zu zeugen. Dieser natürliche Zuwachs würde das Land sprengen. Sie führt fort, dass die Kinder in Familien geboren werden, die keine Betten haben und in Schubladen schlafen. "Aber wenn sie Hilfe bekommen, kaufen sie keine Betten, sondern trinken. Der PiS geht es aus ungeklärten Gründen um solche Familien und solche Kinder."

Das Programm umfasste 2016 ca. 2,7 Mio. Familien und 3,8 Mio. Kinder.

Ein weiteres Wahlversprechen der PiS, die Einführung eines Mindestlohns von 13 Zloty, knapp 3 Euro die Stunde, wurde mit Beginn 2017 erfüllt. Die Umsetzung dieser Maßnahme wird vom Arbeitsinspektorat kontrolliert. Darüber hinaus müssen bei diesen Werkverträgen die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge abgeführt werden.

Die Anhebung des Rentenantrittsalters durch die PO von 65 auf 67 Jahre soll ebenfalls rückgängig gemacht werden. Eine weitere Maßnahme ist die für 2018 geplante Einführung von "Wohnungen plus", einem groß angelegten sozialen Wohnbauprogramm gerichtet an ärmere Familien.