"Die Piratenpartei tritt für die Informationsfreiheit ein"

Pawel Rassudow, der Vorsitzende der russischen Piratenpartei über die Ziele und das Programm der Partei, die erstmals bei Wahlen antreten will

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Die russische Piratenpartei will auf ihrem 4. Partei-Kongress am 1. Juli 2012 in Moskau ein Statut und ein Programm beschließen. Damit sollen die Grundlagen für die offizielle Registrierung der Partei geschaffen werden. Es wird das erste Mal sein, dass Mitglieder aus ganz Russland sich an einem Ort versammeln. Bisher gab es Kongresse nur in Form von Video-Schaltungen.

Die Zeit eilt, denn nach einem neuen Gesetz kann man heute in Russland schon mit 500 Mitgliedern eine Partei registrieren. Und auch andere kleine Parteien stehen in den Startlöchern. Die vor drei Jahren gegründete Piratenpartei hat nach eigenen Angaben 5.000 Mitglieder. Es sind vor allem IT-Experten und Web-Designer, so Pawel Rassudow , der Vorsitzende des Parteirates. Die Männer – so Rassudow - sind in der Partei in einer deutlichen Mehrheit. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 30 Jahren.

Rassudow wurde 1983 in Leningrad geboren. Er studierte politische Psychologie, arbeitet als Soziologe und ist seit 2010 Vorsitzender des Partei-Konvents. Wir treffen uns im Ziolkowskij, einem im Moskauer Stadtzentrum gelegenen Szene-Buchladen. In einem Nebenraum des Ladens hat die Partei ihr Büro. Dort schreit gerade ein Baby. Es ist das Kind von Pawel, um das sich gerade seine Frau, Aleksandra, kümmert.

Wie kam es zur Gründung der Partei?

Pawel Rassudow: Im Sommer 2009 richtete Ilja Krawzow ein Internet-Forum ein. Krawzow lebt jetzt in Somaliland. Das ist eine international nicht anerkannte Abspaltung von Somalia. Dort läuft zurzeit ein schrecklicher Bürgerkrieg. Krawzow ist selbst aus St. Petersburg. Er lebtezunächst in Japan und gelangte zur Überzeugung, dass es ihm dort zu gut ging. Er ging dann nach Somalia wie ein richtiger Pirat und gibt Computer-Unterricht für Kinder.

Warum gründete sich ihre Partei?

Pawel Rassudow: Die Piratenpartei gründete sich, weil die Gesetzgebung nicht mit dem technologischen Fortschritt übereinstimmt. Bei der Frage der Urheberrechte wird das am deutlichsten. Die Digitalisierung öffnete neue Möglichkeiten für das Kopieren. Heute kann man ein Buch fast für umsonst, mit einem Click kopieren. Das Herangehen an das Urheberrecht ist aber noch mittelalterlich. Über diesen Zustand regten sich besonders die Leute auf, die seit ihrer Kindheit mit Computern zu tun haben, die es gewohnt sind, dass es Wikipedia und Programme umsonst gibt.

Gibt es Probleme bei der Nutzung von Programmen?

Pawel Rassudow: Studenten, die gegen Geld PC-Support anbieten, werden verurteilt. Aber Niemand kümmert sich um die Hersteller von nachgemachten Computerprogrammen.

Weswegen werden die Studenten genau verurteilt?

Pawel Rassudow: Jedes Jahr gibt es in Russland 10.000 Urteile wegen der Verletzung der Urheberrechte. Die Hälfte dieser Urteile entfällt auf "schwarze Installateure". Das sind Studenten, die per Anzeige ihre Dienste anbieten, etwa zur Beseitigung eines Virus. Man stellt ihnen eine Falle und bittet sie Adobe Photoshop oder irgendein Avtocat zu installieren, also ein Programm, das mehr als 2.500 Euro kostet. Dann zeigen die Polizisten ihre Ausweise vor.

Wie hoch ist die Strafe?

Pawel Rassudow: Wenn sich der Betroffene zu seiner Schuld bekennt, gibt es meist ein beschleunigtes Verfahren und derjenige bekommt ein Jahr auf Bewährung.

Mit solchen Maßnahmen soll die illegale Nutzung von Programmen eingeschränkt werden?

Pawel Rassudow: Die Macht interessiert sich eigentlich nicht für diese Studenten und die Urheber. Die Macht interessiert sich für das Budget und die Öl-Einnahmen. Die Polizei verfolgt diese Studenten einfach für ihre Statistik. Sie will zeigen, dass sie wegen des Urheberrechts ermittelt.

Wir vertreten vor allem die Interessen der Nutzer

Was ist die Kernforderung der Piratenpartei?

Pawel Rassudow: Die Piratenpartei tritt für die Informationsfreiheit ein. Das betrifft nicht nur Bücher, sondern auch Patente. In Russland werden heute jährlich nur fünf Patente mit internationaler Bedeutung registriert. Das Niveau der russischen Patente ist sehr niedrig. Es gibt Patente zum Schaschlik-Braten und zur Kompott-Herstellung. Der kürzlich entlassene Chef der Moskauer Metro hat ein Patent für einen Waggon angemeldet, der auf vier Rädern steht. Zum Vergleich: IBM registriert jährlich 5.000 Patente. In Russland gibt es allerdings 30.000 Patent-Ideen. Doch wir brauchen billigere und stärkere Technik, um diese zu entwickeln.

Und die Unternehmer die neue Produkte patentieren lassen?

Pawel Rassudow: Wir sind schon der Meinung, dass der Geschäftsmann, der ein Medikament gegen Aids entwickelt, seine Investitionskosten über einen bestimmten Zeitraum wieder zurückbekommen muss. Aber wir sind dagegen, dass für Patentideen Geld kassiert wird.

Was ist mit den Rechten von Autoren und Fotografen?

Pawel Rassudow: Wir vertreten vor allem die Interessen der Nutzer. Wir meinen, dass Autoren heute vor allem von freiwilligen Spenden leben müssen. Literatur ist heute prinzipiell nichts mehr, wofür man unbedingt zahlen muss. Es gibt eine Überproduktion von Büchern (zeigt auf die Bücherregale). Wenn Jemand etwas geschrieben hat, muss er erst mal bekannt werden. Die letzten Bücher des russischen Autors Viktor Pelewin erschienen erst im Internet, bevor sie in den Buchladen kamen. Für Musiker sind MP3-Files vor allem Material zur Reklame. Musiker verdienen das meiste Geld heute mit Konzerten.

Was ist mit den Daten, die der Staat über die Bürger sammelt?

Pawel Rassudow: Es werden sehr viele Daten über die Bürger gesammelt, aber sie werden nicht veröffentlicht. Wir haben keine Angaben über die reale Statistik der Verbrechen oder über die medizinische Versorgung. Wenn es die Daten in lesbaren Formaten gäbe, könnte man vergleichen, zum Beispiel, in welchem Krankenhaus man am besten entbindet.

Was versprechen sie sich von dem Kreml-Projekt einer "offene Regierung".

Pawel Rassudow: Wir hoffen, dass daraus etwas wird. Aber bisher fehlt eine Erklärung, dass der Staat keine Repressionsmaschine, sondern ein Instrument im Dienste der Bürger ist.

Zu den Duma-Wahlen wurden im Dezember Webkameras in allen russischen Wahllokalen installiert. War das ein Fortschritt?

Pawel Rassudow: Das Problem ehrlicher Wahlen wird dadurch nicht endgültig gelöst. Die Wahl muss vollständig über elektronische Wahlurnen laufen. Und jeder IT-Experte muss das Computerprogramm für die elektronische Abstimmung überprüfen können.

Konflikte zwischen Libertären und Linken in der Wirtschaftspolitik und der Eigentumsfrage

Sie beraten zurzeit über ein Parteiprogramm. Worüber gibt es Streit?

Pawel Rassudow: In der Partei sind Sozialisten und Libertäre jeweils aus verschiedenen Gründen gegen das bestehende Urheberrecht. Die Sozialisten und Kommunisten sind überwiegend der Meinung, dass es generell kein Eigentum geben soll. Die Liberalen und Libertären sind vor allem gegen jedes Monopol und meinen, intellektuelles Eigentum sei kein privates Eigentum.

In der Debatte um den Wirtschaftsteil unseres Programms erwarte ich eine harte Debatte. Die Libertären werden die Senkung der Steuern, die Linken soziale Garantien fordern. Ich glaube aber, mit der Senkung der Steuern für die IT-Industrie werden sowohl die Libertären als auch die Linken einverstanden sein. Ich glaube, dass wir die existierenden Probleme wie medizinischen Versorgung, Bildung, Wohnungswirtschaft und Informationsfreiheit auf verschiedene Weise lösen können, mal mehr mit linker Politik, mal mehr libertär. Ein absolutes politisches Modell gibt es heute nicht.

Gibt es eine Position der Partei zu den Forderungen der LGTB-Bewegung (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Tran)?

Pawel Rassudow: Wir sind in dieser Frage bisher nicht zu einer Entscheidung gekommen. Die Diskussion löste bei uns Aggressionen aus. Russland ist ein homophobes Land.

Habe Sie Probleme mit Rechtsextremisten?

Pawel Rassudow: Es gibt in unserer Partei Nationalisten und sogar Monarchisten. Aber Probleme gibt es nicht.

Es gibt keine Leute, die die Abtrennung des Kaukasus fordern oder sich abfällig über Ausländer äußern?

Pawel Rassudow: Vielleicht gibt es solche Gedanken, aber bisher hat sich Niemand dazu bekannt. Die Probleme des Nordkaukasus sind nicht zu lösen, indem man ihn einfach abtrennt. Wir haben damit schon in den 1990er Jahren Erfahrungen gemacht, als Tschetschenien ein unabhängiger Staat war. Es gab dort keine Arbeit und die Leute kamen nach Russland. Meine persönliche Meinung ist, dass man die südlichen Gebiete Russlands – nicht nur den Nord-Kaukasus - besser entwickeln muss. Dort gibt es ein sehr gutes Klima. Dort könnte man ein Innovationszentrum aufbauen. IT-Experten würden dort gerne arbeiten und mehr Geld verdienen als in Indien.

Was ist das größte Problem der russischen Piraten?

Pawel Rassudow: Die Partei hat nicht genug Geld.

Es gibt keine russischen Unternehmen, welche die Partei unterstützen?

Pawel Rassudow: Die warten noch, bis wir registriert sind. Die russische Internet-Industrie ist an einem freien Austausch von Files interessiert.

Werden sich die Piraten bald an Wahlen beteiligen?

Pawel Rassudow: Für den Herbst planen wir die Teilnahme an den Regionalwahlen. Mehr möchte ich aber dazu noch nicht sagen.