Die Provinz herrscht über das globale Dorf

Auch in der Telefonkommunikation spiegeln sich die bekannten Nord-Süd-Grenzen. Bild: PLoS

Nach einer Analyse von Telefondaten zeigen sich geografische Teilungen auf nationaler Ebene und regionale Inseln

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nicht nur die Geheimdienste, sondern auch Konzerne und Wissenschaftler nutzen die Möglichkeit der "Aufklärung", die sich aus dem Sammeln von riesigen digitalen Datenmengen über die Kommunikation, die geografische Bewegung und die Interaktionen von Menschenmassen eröffnen. So lassen sich auch geografisch Trends, Ausbreitung von Krankheiten und Informationen, Mobilitätsmuster oder Netzwerke erkennen. Wissenschaftler vom MIT und des Orange Lab haben nun Festnetz-Telefondaten in Großbritannien und Italien sowie Mobilfunkdaten in Belgien, Portugal, Saudi-Arabien und der Elfenbeinküste analysiert.

Aus vorhergehenden Studien hat sich ergeben, dass auch im Zeitalter der digitalen Medien die Welt kein "globales Dorf" geworden ist, sondern dass die Menschen sich auch kommunikativ regional und nach sozioökonomischen Schichten einigeln. Die Wissenschaftler wollten, wie sie in ihrer in dem Open-Access-Magazin PLoS One schreiben, mit der Analyse der nationalen Kommunikationsdaten eines Anbieters überprüfen, ob sich auch hier "geografisch kohärente Regionen" innerhalb von Ländern zeigen, die Grenzen zwischen Bevölkerungsschichten markieren. Um dies zu untersuchen, bauten sie "Interaktionsnetzwerke" zwischen verschiedenen Regionen und innerhalb einer Region nach der Länge der geführten Gespräche von einer Region in die andere auf. Interessant sind vor allem Großbritannien, Italien und Belgien, in denen eine politische und wirtschaftliche, aber auch kulturelle (In Belgien zudem sprachliche) Nord-Süd-Teilung herrscht. Nach der Analyse der Telekommunikationsdaten lassen sich die Grenzen deutlich erkennen, über die hinweg nur wenig telefoniert wird, also der Verkehr gering ist. So ist beispielsweise eine Grenze etwa 150 km nördlichen von London auszumachen, die auch Wales teilt. Über sie geht nur 9,5 Prozent der Kommunikation. In Italien verläuft die Grenze nördlich von Emilio-Romagna, seltsamerweise gehören kommunikativ Sardinien und Sizilien zum Norden. Möglicherweise, so spekulieren die Autoren, könnte sich diese Anbindung den Auswanderungswellen nach Norden verdanken, so dass es hier noch Familienbeziehungen gibt. In Belgien gehen sogar nur 3,5 Prozent des Telefonverkehrs zwischen Flandern und Wallonien, Brüssel gehört stärker zu Flandern, zudem scheint die Hauptstadt als Verbindungsglied zu fungieren, da der Großteil der Kommunikation zwischen den beiden Teilen über Brüssel läuft. Auch Portugal ist zwischen Norden und Süden geteilt, allerdings, wie die Wissenschaftler meinen, kommt hier die bis zum 12. Jahrhundert vorhandene historische Grenze noch zur Geltung, über die nur knapp mehr als 12 Prozent der Kommunikation. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um die Einflusszonen der Großstädte Lissabon im Süden und Coimbra im Norden handelt.

In Frankreich lässt sich hingegen eine kommunikative Ost-West-Teilung feststellen, ansonsten gibt es Kommunikationsregionen, die sich in der Regel mit den früheren Verwaltungseinheiten decken. Ost-West-Teilungen finden sich auch in der Elfenbeinküste und in Saudi-Arabien, aber die innerregionalen Unterschiede sind hier nicht so ausgeprägt, was auch an der geringeren Dichte der Handynetze liegen kann und an dem stärkeren Zusammenhang der Ethnien und Stämme, deren geografische Verbreitung nicht mit den Verwaltungseinheiten übereinstimmt.

Regionen dominieren die größeren Zusammenhänge. Bild: PLoS

Auffällig ist, dass sich zusammenhängende Kommunikationsnetzwerke meist entlang der Verwaltungseinheiten organisieren und kaum über diese Grenzen überlappen. Insgesamt lässt sich schön sehen, dass in den europäischen Ländern die Menschen meist immer in den überkommenen Verwaltungseinheiten enger als mit dem Rest zusammenhängen. Das ist natürlich auch logisch, weil sich diese auch überwiegend intern durch Städte zentrieren und das wirtschaftliche, kulturelle, politische und Alltagsleben in diesen lokalen Einflusszonen organisieren.

Die Kommunikationsgrenzen, die sich auch in anderen Interaktionen abbilden dürften, gliedern räumlich das Leben in der einzelnen Staaten und könnten, so die Autoren, für Behörden und Politiker interessant sein, vor allem wenn Verwaltungseinheiten verändert werden sollen. Damit ließe sich sehen, in welchen Gebieten die Kohärenz am größten ist und wie sich Gemeinschaften möglicherweise verändern. Allerdings könnte es sein, dass sich die Kommunikationsmuster über das Internet von denen im Telefonnetz unterscheiden. Aber auch hier bleibt man gerne unter sich, wenn auch vielleicht nicht mehr so geografisch abgezirkelt.