Die Rache der Unterlegenen

Verhalten wirkt sich auf den Reproduktionseffekt aus - aber anscheinend nur kurzfristig. Dominanz ist in der Evolution nicht dominant

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Die These ist an und für sich leicht nachvollziehbar: Dominante Männer, die sich einer gehobenen sozialen Stellung erfreuen, erhalten schneller und öfter die Gelegenheit, Nachwuchs zu zeugen. Der eine oder andere Politiker, Schauspieler oder Sportler mag als Beispiel dafür herhalten. Und zahlreiche Studien zeigen, dass die menschliche Gesellschaft tatsächlich auf diese Weise funktioniert.

Aber garantiert ein bestimmtes Verhalten tatsächlich auch auf längere Sicht eine Durchsetzung der eigenen genetischen Ausstattung? „Auf längere Sicht“ definieren Biologen derart, dass sich evolutionäre Konsequenzen ergeben - um monetäre Konsequenzen (dass auch die Kinder und Kindeskinder der Oberschicht sich oft ein freudiges Fortpflanzungsverhalten leisten können) geht es hier nicht. US-Forscher haben diese Frage anhand der Genmuster indonesischer Männer untersucht. Tatsächlich gibt es zu dieser Problemstellung zwei Modelle: das eine geht davon aus, dass Dominanz sich auch genetisch dominant verhält - das andere negiert diesen Einfluss.

Technisch untersuchten die Forscher bestimmte DNS-Abschnitte von 1269 Männern aus 41 indonesischen Dörfern. Diese Abschnitte sind ohne beschreibende Funktion, sie kennzeichnen den Verwandtschaftsgrad aber sehr gut. Während genetische Untersuchungen sonst oft DNS von unabhängigen Individuen betrachten, suchten die Forscher zum Studium sozialer Faktoren explizit in den letzten drei Generationen nicht verwandte Männer aus eher abgelegenen und isolierten Ortschaften auf Borneo, Zentral-Java, von der Insel Flores, Sumba, Nias und aus Bali. In Communities, bei denen sich Dominanz als Eigenschaft durchsetzt, müssten sich mit der Zeit manche Gensequenzen häufen, weil überdurchschnittlich viele Nachkommen dominanter Männer vorhanden sein müssten.

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler dies aber nur für fünf der insgesamt 41 Orte zeigen. Bei genauerer Betrachtung relativierte sich auch dieser Wert: dass bestimmte Genkennzeichen öfter vorkommen als andere, muss ja nicht zwingend einer hohen sozialen Stellung ihrer Träger entsprechen. Zudem diskutieren die Forscher in ihrer in der aktuellen Ausgabe der Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) erschienenen Arbeit die Auswirkungen demografischer Mechanismen wie der Migration oder eines Bevölkerungsrückgangs. Im Fall eines Bevölkerungsrückgangs reduziert sich die genetische Varianz - seltenere Linien sterben dann mit höherer Wahrscheinlichkeit aus. Ein solches Ereignis würde die Chance, dass sich Dominanz auch durchsetzt, also erhöhen.

Migration hingegen betrachten die Forscher in ihrem Modell relativ einfach als der Erhöhung der Mutationsrate entsprechend. Dies dürfte sich auf die Durchsetzbarkeit der Dominanz nicht auswirken. Insgesamt, das betonen die Wissenschaftler in der Diskussion, sagen ihre Ergebnisse nicht nur etwas über die Verhältnisse in indonesischen Dörfern aus. Zum einen zeige ihre Arbeit, dass es zur evolutionären Betrachtung des Einflusses bestimmter Eigenschaften nicht genügt, nur die individuelle Fitness zu begutachten. Was einem einzelnen Menschen zu mehr Nachkommen verhilft, muss nicht als Selektionsfaktor wirken. Zum anderen lege die Untersuchung auch offen, dass nicht jede genetische Differenz gleich im evolutionären Sinne selektierend wirkt, wie man das früher durchaus annahm.