Die Rattenfänger von Motuhoropapa

Wie eine abenteuerlustige Ratte ein neuseeländisches Forscherteam mehr als vier Monate auf Trab hielt

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Die Wanderratte (Rattus norwegicus), das sagt schon der Name, bewegt sich gern. Klettern gilt nicht als ihre Stärke, dafür ist sie eine exzellente Schwimmerin. In welchem Ausmaß diese Merkmale tatsächlich zutreffen, haben Biologen der Universität Auckland/Neuseeland nun erfahren. Um herauszufinden, wie sich eine einzelne Ratte in einer neuen Umgebung verhält und mit welcher Methode sie am effizientesten zu bekämpfen ist, setzten sie ein Wanderratten-Männchen auf einer kleinen neuseeländischen Insel aus. Beim Versuch sie wieder einzufangen allerdings, erlebten die Forscher ihr blaues Wunder, denn der umtriebige Nager wollte partout nicht in die Falle gehen.

Schädlinge im Paradies

Ratten gelten als Ungeziefer, das zu bekämpfen ist, allerhöchstens als Versuchstiere haben sie eine Existenzberechtigung. Ein großes Problem stellt ihre Anwesenheit auf Inselbiotopen dar, auf die sie vom Menschen eingeschleppt werden und auf denen sie das Ökosystem empfindlich stören. Die Anstrengungen, sie wieder loszuwerden, scheitern häufig. Auch wenn sie als bekämpft abgehakt werden, kehren sie meist wieder.

Ratten sind ausgezeichnete Schwimmer

Ein Beispiel dafür sind die Inseln vor Neuseeland. Auf ihnen machen sich seit 1980 immer wieder Wanderratten breit. Die unbewohnten und bewaldeten Noises Islands (Motuhoropapa und Otata) beispielsweise wurden zwischen 1981 und 2002 mindestens sechsmal von Wanderratten in Besitz genommen. Gerade in den ersten Stadien ihrer Invasion gelten die Nager als schwer auszurotten. Warum das so ist, wollten Biologen der School of Biological Sciences der Universität von Auckland unter Leitung von James C. Russell ergründen. Im aktuellen Nature berichten sie von einem Experiment, das länger dauerte als ihnen lieb war.

Vergebliche Fangversuche

Für ihren Versuch fingen Russell und Kollegen mit einem Schokoladenköder ein erwachsenes Wanderratten-Männchen auf Pakihi Island, nahmen von ihm eine DNS-Probe, versahen es mit einem Radiosender und setzten es auf Motuhoropapa (30 Kilometer südlich von Pakihi Island) aus. Die Insel war im Jahr 2004 zwei Jahre lang rattenfrei gewesen. Auf dem 9,5 Hektar großen Eiland wollten die Forscher nun beobachten, wie sich ihr Robinson bei der Eingewöhnung an die neue Umgebung verhalten und wie er auf Standard-Aufspür- und -vernichtungsmethoden reagieren würde.

Zunächst entwickelte sich alles ganz harmlos: Vier Wochen trabte der einsame Proband die kleine Insel ab, bis er sich in einem Revier von einem Hektar Größe niederließ. Für die Wissenschaftler das Signal für Phase 2: die Jagd. Einen Monat lang spulten sie ihr Repertoire an Fallen und Ködern ab: Doch ob Schnappfalle, Röhrenfalle oder Lebendfalle – die gewitzte Wanderrate ließ sich nicht fangen. Obwohl das Gelände doppelt so dicht mit Fallen bestückt war, wie bei früheren Bekämpfungsaktionen.

Pinguinfleisch war ihr Schicksal

Nach zehn Wochen verlor sich plötzlich das Sendersignal. Dafür tauchten frische Kotspuren an Köderfallen auf der Insel Otata auf, die 400 Meter von Motuhoropapa entfernt liegt. Noch größer war das Erstaunen dann, als eine genetische Untersuchung zweifelsfrei ergab, dass die Häuflein nur von der gesuchten Ratte stammen konnten. Jetzt folgte der Jagd zweiter Teil: Weitere vier Wochen fuhren die Forscher alles auf, das gewitzte Biest einzufangen. Doch auch Erdnussbutterköder und Giftfallen halfen zunächst nicht. Die Ratte tummelte sich an den Fallen, hinein tappte sie nicht. Erst nach 18 Wochen kam der Erfolg: frischem Pinguinfleisch konnte sie offenbar nicht widerstehen.

Der Verlauf des Experiments hat die Forscher ziemlich überrascht. Es ist bekannt, dass Wanderratten bis zu 600 Meter schwimmen können, dass sich R. norwegicus jedoch aufs offene Meer wagen würde, damit hatten sie nicht gerechnet. Warum sie sich aufs Meer aufmachte, bleibt unklar. Futtermangel kommt nicht in Frage: Motuhoropapa bietet genügend Nahrung, zuvor hatten 4,2 Ratten pro Hektar auf der Insel gewohnt. Vermutlich trieb sie die Einsamkeit, meint Biologe Russell, und sie begab sich auf die Suche nach Artgenossen.

Das Rattenexperiment zeigt zumindest eines eindeutig. Die klassischen Bekämpfungsmethoden fruchten nicht bei kleinen Nagerpopulationen. Nicht nur, weil eine Ratte in der Abwesenheit von Artgenossen ihr Verhalten ändert, sondern auch weil Köderfallen weniger wirksam sind, wo der Konkurrenzkampf um Nahrung gering ist. Um Inselbiotope von ungebetenen Siedlern frei zu halten, müssen neue Schutzstrategien entwickelt werden.