Die Rockstars und ihr Western

Headline, Held und Hersteller - mehr als nur drei Botschaften.

Red Dead Redemption

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Ob Spiel des Jahres oder nicht: Mit Red Dead Redemption erschafft Open World-Spezialist Rockstar eine Abenteuerwelt, die den Western spürbar macht. Kurz: ein GTA mit Revolvern und Pferden.

Vor 100 Jahren war der Wilde Westen Vergangenheit: Bürger- und Indianerkriege waren beendet, Teile Mexikos annektiert, die Sklaverei abgeschafft, die Kolonisation abgeebbt und die Südweststaaten in die Union aufgenommen. In dieser spannenden Lage - am Rande der Industrialisierung des Südens, als Dampfloks Gang und Gäbe, Telefone auf dem Vormarsch, selbst Flugzeuge geplant waren - stießen zwei Welten aufeinander: Ein krasser Generationenwechsel brachte die alte Tradition mit der Zivilisation neuer Werte und Sittlichkeit durcheinander - ein Verwischen der Lebensordnungen, in dem einerseits der Staat durchgriff und andererseits Überbleibsel gesetzloser Banden ihr Unwesen trieben. Dort hinein pflanzt das Entwicklerstudio Rockstar San Diego im Auftrag seines britischen Mutterunternehmens eine Geschichte um Rache, Verrat und Revolution.

John Marston, der düstere Held von "Red Dead Redemption".

John Marston heißt der Held des Shooters bzw. Action-Adventures, ein auf den ersten Blick typischer Outlaw: narbig, bärtig, hart im Nehmen - eine Figur wie aus dem Spaghetti Western der 60er Jahre. Der geheimnisvolle Fremde war einst Mitglied einer Gang um Dutch van der Linde und wird nun von Regierungsbeamten erpresst, die seine Frau und seinen Sohn entführt haben. Johns Aufgabe ist es, den noch verbliebenen Bandenführer Bill Williamson zu finden und dingfest zu machen. Dafür wird er in New Austin ausgesetzt und begibt sich nach Fort Mercer, wo sich der Gesuchte mit seiner Gang verschanzt. Doch für Worte hat Bill nicht viel übrig: Ein Schuss in die Brust schaltet John aus. Nur durch Zufall entdeckt ihn Farmerstochter Bonnie McFarlane und rettet ihn vorm Verbluten. Ihr Hof im texanischen Dörfchen Armadillo ist Ausgangspunkt von Marstons Odyssee; dort steigt der Spieler ein, übernimmt Johns Steuerung und lernt erste Grundlagen. Bei Aushilfsjobs reitet er und schießt Kaninchen.

Nicht nur Gauner müssen vor John Marston in Deckung gehen. Die mannigfaltige Fauna befindet sich im Visier des Revolverhelden.

Ballern bestimmt das Geschehen in "Red Dead Redemption" und ist eine abgeleitete Version des inoffiziellen Vorgängers Red Dead Revolver - der lineare Cowboy-Shooter von Rockstar San Diego, mit dem die Entwickler bereits 2004 auf sich aufmerksam machten. Ein kleiner weißer Punkt stellt das Fadenkreuz dar, das beim Schwenken der Waffe an Feinden kurz haftet, wie ein schwacher Magnet. Allerdings hält diese Anziehungskraft nur kurz und muss danach ausbalanciert werden. Zusätzlich hilft eine Spezialfähigkeit gegen überzählige Gegner: Aktiviert John sein Dead-eye, färbt sich das Bild gelb und die Sequenz verlangsamt sich vorübergehend zur Zeitlupe, in der er Feinde ungestörter anvisieren kann. Treffer tanken sein Dead-eye neu auf, das auch bei vollem Galopp aus dem Sattel einsatzfähig ist.

Diese zwei Straßengauner haben sich eindeutig mit dem Falschen angelegt. Mithilfe des Dead-eye hat John schneller gezogen und abgedrückt, als die Burschen zwinkern können.

Das Pferd ist Johns Transportmittel und treuer Begleiter. Gleich zu Beginn steht es ihm zu Diensten und entfernt sich nur aus seinem Gesichtsfeld, wenn er längere Zeit zu Fuß läuft. Bis es von ihm zurückgepfiffen wird. Im Anfangsgebiet befindet sich vorerst auch die Basis: Die Farm der McFarlanes steht in einem kleinen Dorf aus Holzhäusern, Scheunen und Läden sowie Johns Zimmer, in dem der Spieler dessen Outfits wechseln oder manuell speichern kann. Da er keiner linearen Story folgen muss, kann dies nützlich sein, da das Spiel meist nur nach Beendigung einer Mission automatisch Speicherstände anlegt.

Eine große Karte der gesamten Region und ein kleiner Kartenausschnitt des Umkreises deuten ihm den Weg. Initialen von Nebenfiguren markieren Story-Missionen. So landet John bald nach Beginn im Büro des Marshalls, der ihn um Hilfe beim Ausräuchern eines Bandennestes bittet. Epische Missionsfolgen gipfeln in spannenden und spektakulär inszenierten Szenen, die den Helden bis tief hinab in Minenschächte führen.

John rutscht in Deckung, um dort in aller Ruhe den Scharfschützen aufs Korn zu nehmen. Doch nicht immer verlaufen Missionen derart übersichtlich; oft schießen Feinde aus mehreren Richtungen.

Inhaltliche wie spielerische Ereignisketten sind in sich geschlossene Handlungsstränge und fügen der Gesamtgeschichte einzelne Bausteine hinzu, bringen John näher ans Ziel und lassen ihn eine Entwicklung durchmachen: Nach und nach lernt er besser zu schießen, verdient Kopfgelder und erhält stärkere Waffen - vom Revolver zur Pistole, übers Gewehr bis zur Schrotflinte. Die mächtigsten Waffen in "Red Dead Redemption" sind ein automatischer Gatling Gun und eine Kanone, doch selbst die Wirkungen kleinere Schießeisen unterscheiden sich in Stärke und Zielgenauigkeit merklich voneinander. Wer kleine Tiere mit Schrotflinten jagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn statt eines wertvollen Pelzes nur Flecken übrig sind.

Die Pferde in "Red Dead Redemption" sehen nicht nur toll aus und bewegen sich lebensecht, sie unterscheiden sich auch in Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit.

Den Rahmen der Welt des John Marston hat Rockstar San Diego von Rockstar Norths Grand Theft Auto IV übernommen und es geschafft alles aus GTA‘s aufgepeppter Rage Engine rauszuholen. Ob lange Ausflüge in die Prärie oder missionsorientierte Fast Food-Action: "Red Dead Redemption" lässt sich auf unterschiedliche Weise spielen. Während Schnellzocker per Kutschentaxi von A nach B reisen, erleben Genießer die sengende Hitze des Nachmittags, reiten in den Sonnenuntergang und schießen im Vollmond Nachttiere. Den vollen Charme des Spiels machen jenes Sandkastenkonzept und seine unterschiedlichen Beschäftigungsmöglichkeiten aus. Mitten in der Wildnis auf fremde Käuze und Irre zu treffen, belebt den virtuellen Western ebenso wie die Möglichkeiten ein Wildpferd zu zähmen, Poker, Black Jack oder Würfeln zu zocken, Duelle zu bestreiten, Kuhherden auf Weiden zu treiben oder Schätze zu suchen.

Je nach Lust und Laune kann John auch mit illegalen Mitteln Geld verdienen: Überfällt er Kutschen und Züge, landet er allerdings auf der "Wanted"-Liste und wird von Kopfgeldjägern gesucht.

Welche Karriere John Marston einschlägt, hängt vom Spieler ab. Er kann Überfälle oder Hinrichtungen verhindern und Ehre ernten oder er geht den Weg des Verbrechers: verübt Einbrüche, raubt Züge aus. Abwechslung findet sich auf der ca. 80 Quadratkilometer großen Fläche allemal und unter den etlichen Charakteren, denen John auf seiner Suche nach dem Antagonisten begegnet, finden sich ein paar der skurrilsten Persönlichkeiten, deren Beziehungen zum Helden die Immersion nochmal verstärken.

Der Western hat auch schöne Seiten: Sonnenuntergänge und ähnliche atmosphärische Lichtspiele sind in "Red Dead Redemption" an der Tagesordnung.

Wie Johns Weg letztlich endet, ist niemals leicht abzusehen und wer nach zig Stunden Einzelspielerkampagne mit all ihren Nebenmissionen immer noch nicht genug hat, kann in typischen Onlinemodi die Rangliste erklimmen. Wo Western-Games an sich schon Mangelware sind, stellt "Red Dead Redemption" gleich in mehrerlei Hinsicht etwas Seltenes dar. Es setzt neue Maßstäbe als Open World-Game, unterhält mit einer spannenden wie gleichsam humorvollen Story und muss sein Szenario nicht vor den besten Filmen des Western-Genres verstecken.

Die Rockstars und ihr Western (9 Bilder)

John Marston, der düstere Held von "Red Dead Redemption".