Die Rückkehr der Hobbits

Kleinwüchsige Menschen auf Flores waren kein Einzelfall

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Vor zwei Jahren fand ein indonesisch-australisches Wissenschaftlerteam in einer Höhle auf der indonesischen Insel Flores das 18.000 Jahre alte Skelett eines zwergenhaften Menschen. Es handelte sich um die Knochen einer etwa 30-jährigen Frau, die gerade mal einen Meter maß und zu Lebzeiten etwa 25 Kilogramm wog. Ihre Überreste lagen in einer Schicht zusammen mit Steinwerkzeugen und den Knochen von bei der Jagd erlegten Tieren.

Die Entdecker sahen den kleinen Menschen, der von seinem Körperbau viel Ähnlichkeit mit einem Hominiden aufweist, als eigenständige Menschenart und taufte sie nach dem Entdeckungsort Homo floresiensis. Schnell entbrannte nach der Veröffentlichung der Grabungsergebnisse eine heftige wissenschaftliche Diskussion, ob das berechtigt sei und es sich nicht um individuellen oder krankhaften Kleinwuchs handle. Jetzt haben die Paläontologen weitere Grabungen durchgeführt, mehr Knochen gefunden und damit weitere Beweise gesammelt, dass der Homo floresiensis wirklich eine eigene Art Mensch darstellt.

Links der Schädel eines erwachsenen Homo floresiensis, der von seiner Größe her einer Grapefruit oder dem Kopf eines dreijährigen Kindes entspricht, neben dem Schädel eines erwachsenen Homo sapiens. (Bild: Peter Brown)

In der Welt der Märchen, Mythen und Sagen tummeln sich viele Zwerge, das gilt auch für die abgelegene Insel Flores. Die heutigen Bewohner erzählen sich von ihren Vorfahren überlieferte Geschichten von sehr kleinwüchsigen Menschen, die in Höhlen lebten und denen ihre Vorfahren Essen brachten. Die kleinwüchsigen Ebu Gogo (in Deutsch sinngemäß Alles-Esser), wie sie in den Legenden genannt werden, verspeisten alles, was ihnen an die Höhleneingänge gestellt wurde – inklusive der Kalebassen, in denen die Speisen transportiert wurden (Villagers speak of the small, hairy Ebu Gogo).

Zwergin mit verwirrenden Merkmalen

2003 hatte ein Team um Mike Morwood von der University of New England und R.P. Soejono vom Indonesian Research Centre for Archaeology in der Liang Bua-Höhle auf Flores ein fast komplettes Skelett entdeckt, das sie zunächst für die sterblichen Überreste eines Kindes hielten. Eingehende Untersuchungen zeigten aber, dass es sich um eine winzige, aber ausgewachsene Frau handelte – eine Frau mit Hominiden-Merkmalen. Ihre Oberschenkelknochen zeigen, dass sie aufrecht lief. Sie hatte auffallend lange Armen, stark ausgeprägte Überaugenwülste, eine fliehende Stirn und kein Kinn. Ihr Gehirn war mit einem Volumen von etwa 380 Kubikzentimeter nur so groß wie das eines Schimpansen oder eines menschenartigen Australopithecus.

Inzwischen hat sie in einem Rekonstruktionsversuch auch ein Gesicht erhalten (Animation Flores Find und ZDF-Video: Rekonstruktion eines Hobbit-Schädels). Neben ihr wurden verschiedene Steinwerkzeuge gefunden. Offensichtlich hatte sie auch Feuer entzündet, um das Fleisch der erjagten Tiere zu rösten. Das winzige Wesen hatte nicht nur Fisch, Frösche, Vögel und Schlangen erlegt, sondern auch Riesenratten, Stegodons (kleine Urelefanten) und Rieseneidechsen wie Komodowarane.

Um derartig riesige Tiere zu töten, brauchten die Zwerge nach Überzeugung ihrer Entdecker eine gute soziale Organisation und sprachliche Verständigung. Also ordneten die Forscher ihren Fund bei der Veröffentlichung der Ergebnisse 2004 als neue Menschenart ein, der sie den Namen Homo floresiensis gaben (A new small-bodied hominin from the Late Pleistocene of Flores, Indonesia). In der Öffentlichkeit und den Medien setzte sich schnell der Spitzname Hobbits durch, angelehnt an die Halblinge aus Tolkiens Herrn der Ringe (Majority Report).

Kontroverse um die Hobbits

Sofort nach der Publikation widersprachen verschiedene Paläontologen der Klassifizierung als eigene Menschenart (Die kleine Frau aus Flores). Das ist durchaus üblich, wenn es um die Interpretation von (Schädel-)Funden geht (Artenvielfalt oder Kunstprodukte?). Die Kritiker bemängelten, dass der einzelne Fund nicht genug hergebe, um gleich von einer neuen Art Mensch zu reden und sie wiesen daraufhin, dass das entdeckte Individuum möglicherweise schlicht unter Mikrozephalie gelitten habe könnte, einer krankhaften Verkleinerung des Gehirns und damit einhergehend oft auch des Körpers. Schnell zu entkräften war der Vorwurf, es handle sich um eine Art von Pygmäen. Mit diesem kolonial geprägten Sammelbegriff werden verschiedene kleinwüchsige Gruppen von Jägern und Sammlern auf dem afrikanischen Kontinent bezeichnet. Bei ihnen ist die Größe des Gehirns aber nicht proportional zum Körper verkleinert.

Eine virtuelle Rekonstruktion des Gehirns der Hobbit-Frau ergab, dass sie ein sehr spezieller Mensch war und weder Pygmäe noch mikrozephal (FSU anthropologist leads incredible journey through 'hobbit' brain).

Computermodell des Hirns eines Homo floresiensis, (Bild: Washington University in St. Louis)

Aber die Zweifler waren mit einem Computermodell nicht zu befriedigen. Deswegen kehrten die australischen Ausgräber in die Liang Bua-Höhle auf Flores zurück, um nach weiteren Hobbits zu suchen. Und sie wurden fündig.

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature stellen Mike Morwood und Kollegen von australischen und indonesischen Institutionen ihre neuen Ergebnisse vor. An derselben Stelle, wo sie schon die erste Hobbit-Frau ausgegraben hatten, entdeckten sie nun unter anderem Arm-, Bein-, Kiefer-, Finger-, Zehen- und Oberschenkelknochen, sowie Wirbel und ein Schulterblatt. Insgesamt Fossilien von mindestens neun verschiedenen Individuen. Und die Hobbits bewohnten diese Höhle sehr lange. Das erste, wissenschaftlich mit den Kennziffern LB1 versehene Skelett ist 18.000 Jahre alt, es gab dort aber auch schon Flores-Menschen mit einer maximalen Körpergröße von einem Meter vor 95.000 Jahren. Der jüngste Knochen stammt vom Unterarm eines Kindes und ist nicht älter als 12.000 Jahre.

Neue Beweise

Mike Moorwood und seine Kollegen sind überzeugt, durch diese neuen Funde deutlich belegen zu können, dass Homo floresiensis eine ganz eigene Art von Mensch darstellte. Und das nachweislich über einen Zeitraum von mehr als 80.000 Jahren.

Ungefähr vor 50.000 Jahren besiedelte auch der Homo sapiens sapiens Flores. Die beiden Menschentypen lebten also zehntausende Jahre lang gemeinsam auf der Insel. Wie sie sich begegneten und ob die Legenden über die Ebu Gogo tatsächliche Begebenheiten spiegeln, darüber kann nur spekuliert werden.

Die jüngst ausgegrabenen Fossilien verdeutlichen die Körperproportionen der Hobbits. Und hier revidieren die Paläontologen ihre ursprüngliche Vermutung, dass es sich um einen zwergenhaften Homo erectus handelt. Der Flores-Mensch gehört ihrer Meinung nach von seinen Merkmalen her ganz klar zur Gattung Homo, also echter Mensch. Seine Herkunft bleibt allerdings vorerst im Dunkeln. Von seiner Körperform und Gehirngröße hat er viel Ähnlichkeit mit einem weit entfernten menschlichen Altvorderen, dem Australopithecus, dessen bekannteste Vertreterin sicherlich die 3,5 Millionen Jahre alte Lucy ist.

Künstlerische Vorstellung vom Aussehen eines männlichen Hobbits (Bild: University of Wollongong/Peter Schouten and the National Geographic Society)

Allerdings bleibt die Frage, ob die Hobbits bereits in ihrer kleinwüchsigen Form zugewandert, oder durch die beschränkten Verhältnisse auf der Insel langsam vor Ort geschrumpft sind. Dieses Phänomen nennen die Forscher Island Dwarfing, in Deutsch sinngemäß Insel-Verzwergung. Auf Flores ist dieser Effekt in der Tierwelt nachweisbar. Tiere wie frühe Elefanten schrumpften nach ihrer Zuwanderung zunehmend, weil kleinere Exemplare angesichts des begrenzten Nahrungsangebots die besseren Überlebenschancen hatten.

Nur weitere Funde auf Flores könnten Aufschluss darüber geben, wie die Vorfahren des Homo floresiensis ausgesehen haben. Fossilien älterer und größerer Hobbits würden beweisen, dass sie sich erst langsam vor Ort auf der Insel verkleinerten. Indonesien hat den australischen Forschern allerdings das Tor zur Liang Bua-Höhle vor der Nase zugeschlagen. Seit diesem Jahr dürfen sie dort nicht mehr graben. Mike Morwood äußert in Nature die Vermutung, dass er die Hobbit-Höhle nie wieder betreten werden darf.

Offiziell begründet die Regierung das Verbot mit Formfehlern im Antrag, aber Insider gehen davon aus, dass Teuku Jacob, Chef-Paläontologe von der Gajah Mada University, seine hervorragenden Beziehungen hat spielen lassen, um die Grabungen zu stoppen. Er war in der Vergangenheit bereits mit umstrittenen Aktionen aufgefallen (Indonesian scientist defends his removal of hobbit remains) und er ist ein bekennender Zweifler – für ihn ist der Hobbit von Flores nur ein missgebildetes Geschöpf, auf keinen Fall eine eigene Menschenart.