Die Rückkehr des Schreckens

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Immer neue Mörder - und der Zuschauer als perverser Voyeur: Wes Cravens "Scream 4"

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Von Anfang an ging es in den bisher drei "Scream"-Filmen um zwei Dinge: Regisseur Wes Craven und sein Drehbuchautor Kevin Williamson erzählen eine Entwicklungsgeschichte der Heldin in Form eines psychischen Prozesses. Diese muss der Zuschauer stellvertretend durchleben. Zugleich erzählt der Film dem Zuschauer auch seine eigene Geschichte als lustvoller Betrachter, als Voyeur des Geschehens. Das Kino ist seit jeher der Ort einer romantischen Paradoxie: Die Erfahrung der Steigerung des Sehens, Erlebens, Genießens durch Distanz. Genau dies weiß Craven und darum muss "Scream" immer weitergehen.

Zuhause auf dem Sofa wollen zwei Frauen einen Horrorfilm gucken. "Ich hasse Torture-Porn", erklärt eine der beiden. Dann klingelt das Telefon, und eine den Kinozuschauern wohlbekannte Stimme meldet sich...

Für die Erkenntnis, dass der Horror der eigenen Vorstellungswelt der schlimmste ist, hätte es Wes Cravens Scream nicht bedurft. Der Reiz seiner, mit Scream 3 vollendeten, mit Scream 4 einen neuen Zyklus beginnenden Reihe besteht denn auch weniger im klassischen Muster vom Jäger und Gejagten, vom Serienkiller, der, einem nur ihm selbst erschlossenen Muster folgend, sein Spiel mit den Opfern treibt und von der verfolgten, zunehmend traumatisierten Unschuld - mit Sidney Prescott (Neve Campbell) einmal mehr jung, weiblich, ledig...

Trotz aller, besonders mit raffinierten Toneffekten gesteigerten Thrillerspannung ist das wichtigere und spezifische Element von Scream die immer weiter gedrehte Spirale der Selbstreferenz. "Was ist Dein Lieblingshorrorfilm?" - so begann der auch im Folgenden permanent Fragen stellende, mindestens zum Schein nach Aufklärung und Erkenntnis heischende, Killer zum Auftakt des ersten Teils sein blutiges Werk.

Die größte Sünde lautet Nichtwissen, Unkenntnis. Wer "wrong answer" zu hören bekam, war des Todes. Schon in den Anfangs-Minuten zeigte sich, was Scream von all den anderen, selbst den intelligenteren Slasher-Movies unterscheiden sollte: Das permanente Selbstthematisieren, Kommentieren und Infrage-Stellen der Leinwandereignisse. Wie im Film-Seminar eines US-College geht es mit bekennender Künstlichkeit immer wieder um den Nutzen und Nachteil von Fortsetzungen und Plot-Ideen, um die inneren Gesetze des Genres - "Du kannst nicht der Mörder sein. Du bist viel zu verdächtig".

Die Wiseguys aus dem fiktiven Örtchen Woodsboro sind durch die Horrorgewitter aus der Videothek derart gestählt und gegen alle Empfindung gewappnet, dass ihren kühlen Klügelleien allein durch das Messer des mit der Maske getarnten Killers ein Ende zu machen ist. Den Zuschauern blieb nichts anderes übrig, als zu akzeptieren. Gefangen im Irrgarten Sehens sind sie die eigentlich passiven Opfer dieser Filme.

"Hollywood is about death"

In Scream 2, der tatsächlich vor allem im College spielte, schien sich das Muster bereits totzulaufen. Zwar nahmen auch hier - "Sequels zerstörten das Horrorgenre" - die Kommentare der jungen Filmkenner alle potentielle Kritik vorweg. Doch schon in der Figur der zynischen Fernsehjournalistin Gale Weathers (Courtney Cox Arquette) und ihrer vor nichts Halt machenden medialen Verwertung der Woodsboro-Morde bespiegelte man nur noch selbst.

Die Rückkehr des Schreckens (13 Bilder)

Noch mehr geschah das durch "Stab", den Film im Film, der dort die erste Mordserie fürs Kino adaptiert und dadurch dieses umgekehrt zum Schauplatz und Motivator einer zweiten Folge von Bluttaten macht. Den Horror selbst brachte all das zum Verschwinden - was blieb, war viel rote Flüssigkeit und eine verächtliche Kritik, die den unmotivierten Metzelleien plumpe Effekte und Zynismus vorwarf.

"Hollywood is about death" - auch im dritten Teil standen wieder Film im Film und die ehernen Regeln von Medium und Business im Zentrum: "Stab 3" wurde gedreht, ein Mörder trieb am Set sein Unwesen, doch in Wahrheit suchte er die eine, die dem Maskierten von Anfang an als einzige Contra gegeben hatte: Sidney Prescott, die sich in der Einsamkeit des Landlebens von ihren Erlebnissen zu erholen suchte.

Auch über das - sozusagen philosophische - Fundament des dritten Teils war man schnell informiert: "Im Spiel mit den Genregesetzen gelten keine Genregesetze mehr" - nicht postpostmoderne Beliebigkeit ist das, sondern die Verwandlung des Regisseurs in den guten alten Laplaceschen Dämon, der von einem Punkt ganz außerhalb der Welt und ihrer Naturgesetze diese mal eben aus den Angeln heben darf.

Nun ist Sidney Prescott (Neve Campbell) zurück, einmal mehr jung, weiblich, ledig und einmal mehr Opfer und Jägerin eines schlimmen Serienkillers, der mit Edvard-Munch-"Ghostface"-Maske High-School-Schüler jagt. Sie ist nach Woodsboro zurückgekehrt, um ihr Buch über ihre Erlebnisse zu präsentieren - doch während der Zuschauer sich noch voller Nostalgie darüber freut, wieder der Ex-Boulevardreporterin Gail (Courtney Cox), deren Mann, Sheriff Dewey (David Arquette) und anderen Figuren der früheren "Scream"-Filme wiederzubegegnen, findet der Regisseur schon eine neue Drehung...

Medien und Remake-Wahn

Zwischen 1996 und 2000 veränderte Wes Cravens Scream-Trilogie das Genre des Horrorfilms. Craven, geboren 1939, einst einer der Helden des Post-Hollywood-Mitternachtfilms, und ohne Frage einer der einflussreichsten Horrorfilmer der letzten Jahrzehnte - "Wes Craven wurde von Film zu Film subtiler", so Georg Seeßlen in der aktuellen "Zeit" -, fügte damit seinem Werk noch einmal etwas Neues hinzu.

Auf den Horror, der sich selbst ernst nahm und den politisch-kulturellen Horror der amerikanischen Gesellschaft der Vietnam- und Watergate-Ära spiegelte, folgte der Horror der 1990er Jahre, einer allzu-klugen, allzu-reflexiven Gesellschaft, die schon alles gesehen, gedacht und geglaubt hatte und deswegen meinte, nichts mehr glauben und fürchten zu können - ein Horror, der deswegen kein richtiger war, sondern ein souveränes Spiel mit Zitaten: Sehr ironisch, witzig und toll gemacht, aber auch etwas kalt, von sich selbst gelangweilt. Mit 9/11 war es damit im Nu aus - Horror als Spiel wollte man nach dem Einbruch des Schreckens in die Welt des Hedonismus nicht mehr sehen.

Jetzt zehn Jahre später, scheint die Zeit reif, nach dem Stand der (Horror-)Dinge zu fragen, und zu Scream zurückzukehren. Zwischenzeitlich boomte ein Horrorfilm, der sich wieder, wie im Stil der 1970er, sehr ernst nahm, aber mehr auf Ekel setzte, statt auf Schrecken: "Saw", "Hostel" und ihre Fortsetzungen.

Auch "Scream 4" nutzt die modernen Kommunikationsmedien überaus klug: Denn viele Horrorszenarien funktionieren heute einfach deshalb nicht, weil sie durch die heute selbstverständliche, permanente Erreichbarkeit ad absurdum geführt werden. Neu ist auch die satirische Thematisierung von "Torture-Porn"-Filmen und grassierendem Remake-Wahn. Ansonsten gelingt Craven und seinem Drehbuchautor Kevin Williamson eine ausgewogene Mischung aus 1990er-Jahre-Ironie und echtem Horror. Denn "Scream 4" ist alles in allem sehr wohl ein Horrorfilm, der den Schrecken ernst nimmt, ohne sich aber dümmer zu stellen, als er ist.

"Du bist ein Opfer, dein Leben lang! Nutze das!"

Der wahre Serienkiller ist das Unterbewusstsein. Das hat Craven verstanden: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner unendlichen Produzierbarkeit. Immer neue Bilder und Filme werden geschaffen. Sidney Prescott ist zur Buchautorin geworden. Ihre Agentin sagt ihr: "Du bist ein Opfer, dein Leben lang! Nutze das!" Genau dies gilt für uns Zuschauer. Wir sind ein Opfer, ein Leben lang. Kino als Eigentherapie: Wiederholen, durcharbeiten, überwinden, neu leiden.

Der psychoanalytisch geschulte Betrachter habe, so schreibt die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen in einem bahnbrechenden Aufsatz zur Scream-Trilogie "sofort verstanden, dass es dem Regisseur und seinem Drehbuchautor Kevin Williamson bei der Entwicklungsgeschichte seiner Heldin auch um einen psychischen Prozess ging".

Die interessanteste Figur, diejenige, mit der sich der Zuschauer in dieser nun vierteiligen - und es soll weitere Teile geben - Passage durchs Unheimliche identifiziert, ist auch die traurigste: Sidney Prescott, die knabenhafte Frau, die das Trauma des Todes ihrer Mutter noch nicht überwunden hat. Und für die der reale Horror fast wie eine Bewältigung dieses verdrängten Wissens und der eigenen Lust an der Destruktion erscheint.

Was jetzt noch offen ist, ist die Frage, ob man in diesem Film in zehn Jahren genauso unsere Zeiten wiedererkennen kann wie in den alten? Mit anderen Worten: "Scream 4" ist ein im besten Sinne zweischneidiger Film.