"Die Schlacht um die Informationen können wir gewinnen"

Internetaktivismus in Palästina

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Der Aufstand in den von Israel besetzten Palästinensergebieten dauert weiter an. Die nächtlichen Schusswechsel zwischen beiden Parteien und die israelischen Bombardierungen haben sich zu einer "Normalität" entwickelt, die sich nur noch in Extremfällen in den internationalen Medien niederschlägt. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zur ersten Intifada von 1987-1993: Die Palästinenser haben heute die notwendigen technischen Mittel, um der massiven israelischen Propaganda etwas entgegenzusetzen.

Die Palästinenser verfügen seit sechs Jahren über Internetzugang. Davor war der Gebrauch von "Faxen, elektronischer Post und allen anderen elektronischen Übermittlungsformen" militärgesetzlich verboten. "In der ersten Intifada war es eine Qual, auch nur eine Zeile nach draußen zu schicken", sagt Muna Tamimi. Die 49-Jährige betreut die Media Watch-Gruppe des Palestine Monitor im palästinensischen Ramallah, nördlich von Jerusalem. "Es war sehr schwierig, Faxe zu senden, weil Israel permanent die Leitungen unterbrochen hat", erklärt sie, "mal davon abgesehen, dass wir sogar das konspirativ organisieren mussten."

Media Watch beobachtet und kommentiert seit Januar diesen Jahres die Medienberichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Tamimi erhält dabei Hilfe von 56 Aktivisten weltweit. "Wir konzentrieren uns bis jetzt hauptsächlich auf die USA. Wir haben aber auch Mitglieder in Deutschland, Frankreich und anderen Teilen Europas. Unsere Aktivitäten werden jedoch bald auf die arabischen Medien ausgedehnt, zusammen mit der Einrichtung einer arabischen Homepage."

Auf der Website des Palestine Monitor finden sich hilfreiche Informationen zum aktuellen Konflikt. "Als Israel verbreitet hat, die Palästinenser würden ihre Kinder an die Front schicken, um mit den Bildern der Erschossenen die israelische Armee in ein schlechtes Licht zu stellen, haben wir Journalisten Argumente gegen diese menschenverachtende Propaganda geliefert", erklärt Tamimi. "Heute können wir selbst Informationen verbreiten, und das ist für sich genommen eine Schlacht, von der wir glauben, sie gewinnen zu können. Sobald die Leute die Realität hier kennen, können sie nicht automatisch die israelische Sicht akzeptieren. Sie müssen nicht mit uns einer Meinung sein. Aber wir können so Zweifel schaffen, weil sie nun mit der anderen Seite des Konfliktes konfrontiert wurden. Das war zuvor nicht möglich."

Adam Hanieh ist einer der drei Macher der "Clashes"-Website auf der Homepage der Gefangenenhilfsorganisation Addameer in Ramallah. Vor allem in den ersten beiden Monaten des seit September andauernden Aufstandes lieferte die Gruppe aktuelle Berichte von der Lage in den besetzten Gebieten. "Die permanenten Aktualisierungen haben wir jedoch zugunsten der Recherche aufgegeben. Wir haben damit begonnen, den Wahrheitsgehalt der eingehenden Informationen zu prüfen und sie einmal pro Tag als Bericht zu veröffentlichen, denn die Vermischung von Nachricht und Propaganda ist ein großes Problem in Palästina", erklärt Hanieh. "Dieser Aufwand hat uns eine große Nachfrage beschert. Journalisten aus aller Welt wollten Interviews haben. Und wenn der Bericht einmal nicht rechtzeitig im Netz war, gab es hektische Anrufe."

Daneben genießen auch andere palästinensische Sites eine hohe Glaubwürdigkeit. Die Homepage des Palästinensischen Roten Halbmondes in Gaza enthält jeweils die aktuellsten Zahlen der Toten und Verletzten. Al-Haq bietet einen Überblick über Menschenrechtsverstöße in den besetzten Gebieten und die rechtlichen Probleme der israelischen Politik. Das Health, Development, Information and Policy Institute des bekannten Arztes Mustafa Barguti hat sich die Erforschung körperlicher und seelischer Auswirkungen der israelischen Besatzung zur Aufgabe gemacht.

Auch die Palästinensische Autonomiebehörde unterhält mittlerweile eine eigene Homepage. Genau wie die Erklärungen der israelischen Regierung sind die der palästinensischen jedoch mit Vorsicht zu genießen. Hilfreich sind jedoch die täglich aktualisierte Liste von Artikeln aus der palästinensischen Presse, die Hintergrundinformationen und die leichte Verfügbarkeit der amtlichen Sichtweise der Palästinenser. Daneben existiert die Website des offiziell unabhängigen Palestine Media Center, das jedoch dem palästinensischen Informationsminister, Jassir Abed Rabbo, unterstellt ist.

Offiziell herrscht in Palästina Meinungsfreiheit. In der Mitte der 90er Jahre hat das Informationsministerium aber großen Druck auf die palästinensischen Medien ausgeübt. Einige Redakteure, die nicht zum Vorteil des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat publizierten, wurden eingesperrt. Zeitungen mussten vorübergehend oder permanent schließen. Die Einschüchterungsmaßnahmen stießen jedoch innerhalb der Bevölkerung auf großen Widerstand und haben seitdem nach Angaben von Muna Tamimi von Media Watch stark abgenommen. "Die Leute werden von den Behörden höchstens noch angerufen und gefragt, warum sie gerade in dieser schwierigen Zeit Kritik üben mussten", erklärt sie. "Die Terrorisierungen haben jedoch aufgehört." Online-Veröffentlichungen werden ihres Wissens von den Palästinensern überhaupt nicht kontrolliert. "Sie haben die Zeit und die Technologie dazu gar nicht."

Von israelischer Seite befürchtet Tamimi in dieser Hinsicht keine Komplikationen mehr. "In der Realität leben wir zwar immer noch unter der Besatzung. Nach unserer Einschätzung wird Israel jedoch nicht soweit gehen, die Telefonleitungen zu unterbrechen und uns Elektrizität und Wasser abzustellen. Das würde international zu großen Komplikationen führen. Das Letzte, was die Israelis wollen, ist, noch mehr Kontroversen zu schaffen. Sie wollen es stillschweigend, in Ruhe und im Schutze der Nacht tun." Die Palästinenser bleiben also vorerst online.

Das Internet beschleunigt den Handel mit den Nachrichten. Neben dem Radio und eigenen Korrespondenten dienen den Agenturen zunehmend die Breaking-News Homepages der Tageszeitungen und Fernsehsender als Nachrichtenquelle. In Israel bietet zum Beispiel die Zeitung Haaretz diesen permanent aktualisierten Service. Auf der Nahost-Homepage von Yahoo kann in Echtzeit verfolgt werden, welche der Medienanstalten das Rennen gewonnen hat.

Im Wettlauf um die Erstproduktion einer Meldung bleibt jedoch oft nicht mehr die Zeit, die Informationen ausreichend zu prüfen. Die Palästinenser haben es bisher nicht geschafft, den Breaking-News Service einzurichten, weshalb ihnen die Israelis noch immer einen Schritt voraus sind. Muna Tamimi und der Palestine Monitor würden sich gerne darum kümmern. "Aber wir haben die Mittel dazu nicht", sagt sie. "Ich arbeite vor und nach meiner eigentlichen Arbeit ehrenamtlich von zu Hause aus." Sie meint jedoch, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die palästinensische Regierung nachzieht. "Schließlich sind Informationen der Schlüssel in diesem Kampf."

Peter Schäfer, Ramallah