Die Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts

In den USA und in Deutschland wird mit einem weiteren Boom der Biotech-Firmen gerechnet, entscheidend für den Erfolg sind Patente, Venture Capital und Standortvorteile

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Karten des Human-Genoms, die Nature und Science veröffentlichten, interessieren nicht nur Wissenschaftler sondern auch Venture Capital, dass nach der Börsen-Achterbahnfahrt der Internet-Firmen neue Branchen sucht, um zu investieren. Biomedizin, Biotechnologie und Bioinformatik rücken dabei zunehmend ins Zentrum des Interesses. Wichtigste Geschäftsfelder sind Medizin, Chemie und Landwirtschaft.

Schon im vergangenen Jahr, nach der Ankündigung der Veröffentlichung durch das Human-Genom-Projekt (HGP) und Celera floss das Geld der Investoren in neue Firmen der Biotechnologie-Branche. Nach Erwartungen von PricewaterhouseCoopers und VentureOne sollen die Jahr 2000 insgesamt investierten $1.75 Milliarden dieses Jahr noch deutlich überschritten werden. 90 Prozent der Silicon Valley-Investoren, die sich für Start-ups interessieren, planen künftig verstärkt Gelder in Biotech anzulegen.

Grosse Gewinne versprechen sich die Anleger, wenn die Ergebnisse der Genom-Forschung kommerziell umgesetzt werden. Ein Bereich, der dabei auch ins Blickfeld rückt, ist die Bioinformatik, die interdisziplinäre Verschmelzung von Biotechnologie und Informatik, die einen entscheidenden Anteil an der Entzifferung des HumanGenoms geleistet hat. Caltech als Teil der Cal State University z.B. entwickelte die Technologie, die für die Kartierung der menschlichen Gene nötig war. Bioinformatik beinhaltet u.a. die Analyse biologischer Daten, die Organisation biologischer Information und die möglichen Voraussagen bzw. Konsequenzen aus diesen Daten. Einsatzgebiete sind Datenbankanwendungen und Datenintegration, Analysenprogramme, Bildverarbeitung und Visualisierung, Modellierung und Simulation, Einsatz neuronaler Netze.

Viel Geld wird auch durch die Vermarktung der Information über Gene und biotechnologische Anwendungen fließen. Das Business-Modell biotechnisches Informationsunternehmen wie z.B. Celera ist in den USA in einer Vielzahl auf dem Markt, es zeichnet sich schon jetzt ein extrem harter Wettbewerb ab.

Pharmaunternehmen und Biotech-Firmen können mit dem Ankauf der Daten die Entwicklung eigener Produkte entscheidend beschleunigen. Modelle sind Umsatzbeteilungen an aus dem Material entwickelten Produkten, zeitlich befristete Nutzungegebühren oder Festpreise für einen genau definierten Umgang von Daten. Der Markt für Gensequenzen weltweit beträgt derzeit rund 350 Millionen Dollar.

Das südliche Kalifornien, San Diego, Silicon Valley und die Gegend um Los Angeles haben entscheidende Standortvorteile durch die Vielzahl der Universitäten, die wichtige Forschungsarbeit für die Biotechnologie leisten und mit Firmen vor Ort kooperieren, die teilweise kommerzielle Ableger der Institute sind. Wichtige Unis sind neben der Cal State auch die USC und die UCLA. In San Diego arbeiten 8'357 Angestellte in der Biotechnologie, in der Bay Area 2'3515, Tendenz steigend. Dabei gilt letztlich die Regel, dass hochspezialisierte Biotechnologen dem Kapital folgen, das heißt, wer am meisten zahlt, bekommt auch die besten Leute. Das gilt sowohl für Spezialisten wie für den Standort kleiner Firmen, die bereits bestehen und von Geldgebern in ihre Nähe gezogen werden. Im großen Markt der Biotechnologie wollen auch asiatische Pharma-Konzerne, speziell die Japaner, mitspielen. Aber auch die Kanadier sind in Kalifornien unterwegs, sie schicken ihre Headhunter aus, um die am höchsten qualifizierten Köpfe anzuwerben und zahlen Spitzenpreise für die besten Ideen.

Deutschland ist nach Ansicht der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) auf dem Sprung an die Weltspitze. Biotechnische Methoden kommen vor allem bei der Entwicklung von Arzneimitteln und Diagnostika umfassend zum Einsatz, noch ist Anwendung in der Ladwirtschaft gering, was mit der heftigen öffentlichen Diskussion und der Ablehnung gen-manipulierter Agrarprodukte in weiten Kreisen der Bevölkerung zusammenhängt. Kürzlich legte die DIB die Jahresstatistik für 1999 vor, die Tendenzen erkennen lässt: Deutschen Biotech-Firmen (279, im Vorjahr: 222) beschäftigten rund 8124 Mitarbeiter (Vorjahr: 5650), zehn Firmen schafften den Sprung an die Börse (1998: zwei), insgesamt nahmen sie rund 500 Millionen Mark (256 Mio. Euro) Risikokapital ein, das sind ein Drittel des in Deutschland in diesem Jahr insgesamt angelegten Risikokapitals.

Speziell gefördert werden in diesem Jahr die deutschen Bioinformatik-Zentren in Bielefeld, München, Leipzig, Saarbrücken und Tübingen. In Bielefeld wurde am Centrum für Biotechnologie ein Institut für Genomforschung und ein Institut für Bioinformatik errichtet. In München gründeten LMU und TU, das Max-Planck-Institut für Biochemie sowie das GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit ein Netzwerk der Bioinformatik. Die Leipziger Wissenschaftler konzentrieren sich auf zwei scharf umgrenzte, hochaktuelle Themen: "Genetische Evolution" sowie "Zelluläre Signaltransduktion und Selbstorganisation von Geweben". In Saarbrücken wird ein virtuelles Biolabor aufgebaut, mit dem die Zahl der Laborexperimente auf ein Minimum reduziert werden kann. Der in Tübingen bereits etablierte Studiengang Bioinformatik wird gerade weiter ausgebaut, indem ein Zentrum für Bioinformatik Tübingen (ZBIT) in einem neu erworbenen Gebäude eingerichtet wird.

Biotechnologie gilt auch in Deutschland als die Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts und auch hier gibt es Konzentrationen der Standorte rund um Forschungszentren. Das ist vor allem das Rhein-Neckar-Gebiet, rund um Köln sowie in Hamburg, Berlin und südlich von München. Life Science-Zentren (Karte und Liste hier) gibt es an vielen Orten, aber die beste Vernetzung macht den Standort-Vorteil aus.

Die deutschen Biotech-Firmen konzentrieren sich zunehmend auf Entwicklung konkreter (Pharma-)Produkte. Für den medizinischen Bereich sind das insbesondere Medikamente gegen Krebs, und Arzneimittel im Zusammenhang mit Transplantationen, zur Behandlung von Infektionen sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Wichtig sind neben dem Standort auch die Zahl und Qualität der Patente. Die Absicherung der Ideen durch die Patentierung ist in der Biotechnologie ausschlaggebend, da die Entwicklung der Produkte meist einige Jahre dauert. Die Zeitspanne von der Idee bis zur Markteinführung beträgt in der Regel acht bis über zehn Jahre. Das bedeutet, dass die Global Players, die großen Pharma-Konzerne, deutlich bessere Chancen haben, sich auf dem Markt durchzusetzen, als die kleinen Neugründungen. Die Einstiegskosten sind hoch: Geräte, Patentierungen, hoch qualifiziertes Personal, lange Entwicklungsphasen, die bedeuten, dass die ersten Gewinne erst nach Jahren fließen. Viele Start-ups halten sich noch mit Fördergeldern über Wasser, aber ohne ausreichend Venture Capital werden sie bald wieder verschwunden sein.

Die Verzahnung von Forschung und Wirtschaft hat im Bereich Biotechnologie große Bedeutung, da der Wissenstransfer entscheidend ist. Die Bundesrepublik hat gerade ein Programm zur staatlichen Förderung der Genforschung nationales Genom-Forschungsnetz ins Leben gerufen, an dem alle einschlägigen Einrichtungen beteiligt werden sollen.

Eins ist sicher: es gibt immer mehr ältere Menschen und immer mehr Bedarf an neuen Medikamenten - diese Tatsachen werden den Unternehmen der Biotechnologie auch künftig ein kräftiges Wachstum sichern. Entscheidend aber bleibt der politische Rahmen, der durch den Willen der Öffentlichkeit geprägt wird. In Deutschland gibt es sehr viel Opposition gegen eine Vielzahl biotechnologischer Verfahren. Ethik muss vor Profit stehen.

Themen wie Klonen, die Stammzellenforschung, die vorgeburtliche Diagnostik, die Präimplantationsdiagnostik und Gen-Tests bringen die Öffentlichkeit in Aufruhr, die Resultate dieser Diskussionen werden die kommenden gesetzlichen Rahmenbedingungen definieren und damit auch den Umfang, in dem Biotech-Firmen forschen, entwickeln und verkaufen dürfen. Überblick über Biotech-Start-ups im Bio-Forum

Arzneimittelmärkte

Weltmarkt: Im Jahr 2000 waren rund 60 % der weltweit neu auf den Markt gekommenen Arznei-mittel gentechnischen Ursprungs. Der Umsatz mit rekombinanten Arzneimitteln lag 2000 mit 43 Mrd. $ bei rund 10 % des Weltpharmarktes; dieser Anteil wird bis zum Jahr 2005 auf 15 % und langfristig auf 20 bis 25 % steigen.

USA: Bis Ende 1999 waren in den USA über 90 gentechnisch hergestellte Arzneimittel zugelassen. Über 350 weitere Produkte sind in der klinischen Entwicklung.

Europa: Bei der europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) betrug 1999 der Anteil der biotechnologischen Arzneimittel an der Gesamtzahl der Zulassungen rund 40 %.

Deutschland: 1999 waren in Deutschland 63 gentechnisch hergestellte Arzneimittel (mit 49 verschiedenen Wirkstoffen) auf dem Markt, davon 6 aus deutscher Produktion. Damit wurden 1999 rund 1,85 Mrd. DM durch die Apotheken (ohne die Krankenhäuser) umgesetzt. Das entspricht 6 % des deutschen Arzneimittelmarktes.

Diagnostikamärkte

Weltmarkt: 1999 gab es weltweit mehrere hundert biotechnologiebasierte Diagnostika.

Deutschland: 1999 betrug das Volumen des deutschen Marktes für biotechnologiebasierte Diagnostika über 800 Mio. DM (das entspricht etwa 30 % des gesamten deutschen Diagnostikareagenzienmarktes) .

Quellen: BIO (2000), VDGH (2000), VFA (2000), BCC (2000)