Die US-Regierung handelt gerecht

Ob arm oder reich - die amerikanische Regierung handelt stets nach den Wünschen aller. Eine überraschende und doch simple Erkenntnis

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In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in den Vereinigten Staaten immer weiter geöffnet. Noch nie in der langen Geschichte der US of A waren die Einkommensunterschiede derart gravierend. Die einen verdienen immer mehr, während die anderen ihren Lebensunterhalt mit immer weniger Ressourcen bestreiten müssen (siehe Beispiel USA: Die Reichen werden reicher ...). Ist ja auch völlig klar, lautet das gängige Urteil: die Herrschenden geben den Reichen, was sie zuvor den Armen genommen haben. Sie handeln vor allem im Sinne der oberen Zehntausend.

Die oft dafür hergenommene logische Erklärung zielt darauf ab, dass die gut Betuchten sich anscheinend am politischen Prozess viel besser beteiligen können als die Bedürftigen. Und ein Politiker handle vor allem entsprechend den Motiven derer, die ihm mit großzügigen Spenden zur Wiederwahl verhelfen können. Während die Stimme der Reichen im Lande deshalb laut ertönt, gingen die Bedürfnisse der ärmeren Mehrheit in ihrem Flüstern unter. Eine schöne Theorie, jedenfalls erlaubt sie es, hemmungslos auf die da oben zu schimpfen.

Zwei amerikanische Politikwissenschaftler haben sie nun allerdings auf den Prüftstand gestellt - und in einer im Fachmagazin Political Science & Politics erschienenen Studie für schwer haltbar erkannt. Joseph Ura und Christopher Ellis zeigen, dass die US-Regierung seit den 70-ern im Interesse der Armen und der Reichen gleichermaßen gehandelt hat. Das lag nicht etwa daran, weil die Politiker strategisch gedacht hätten und auch auf arme Nichtwähler Rücksicht nähmen, weil die ja künftig zu Wählern werden könnten. Nein, die Ursache ist viel einfacher: Die Männer an der Macht konnten gar nicht anders, selbst wenn sie gewollt hätten.

Ura und Ellis haben dazu Daten des amerikanischen General Social Survey (GSS) von 1974 bis 2004 analysiert. Dabei handelt es sich um eine US-weit duchgeführte Befragung, die vor allem Zusammensetzung und politische Meinung der Bevölkerung überprüft, und zwar nach über all die Zeit unveränderten Kriterien. Die Forscher wählten daraus zehn feste Fragen aus, die sich mit den Vorlieben der Bevölkerung für die Investitionspolitik der US-Regierung befassten. Die Antwortmöglichkeiten bewerteten die Wissenschaftler nach ihrem Gehalt an liberalem beziehungsweise konservativem Gedankengut und verglichen die Ergebnisse für die verschiedenen Einkommensgruppen über die Zeit.

Bei den Reichsten vollzogen sich die schnellsten Umschwünge

Das überraschende Ergebnis: Arm oder Reich dachten über die wesentlichen Fragen der Politik nahezu gleich. Zwar war eine gewisse Korrelation zwischen Einkommen und Konservatismus auszumachen (in 17 von 23 Jahren dachten die Reichen konservativer als die Armen) - doch lag diese nur knapp über der statistischen Fehlergrenze. Zudem war für die Politiker hierauf kein Verlass, denn in sechs der 23 Jahre erwiesen sich die Ärmsten der Armen als ein klein wenig konservativer als ihre begüterten Brüder und Schwestern. Von Jahr zu Jahr waren mit 9 bis 14 Prozentpunkten weit stärkere politische Stimmungsschwankungen auszumachen als Stimmungsunterschiede zwischen den einzelnen Gruppen, die im Mittel 0,5 bis zwei Prozentpunkte betrugen und nie über fünf Punkten lagen.

Interessant zu beobachten war auch der Grad der Stimmungsschwankungen in den einzelnen Gruppen. Vor allem bei den Reichsten vollzogen sich die schnellsten Umschwünge. Das passt zu der soziologischen Erkenntnis, dass Menschen mit hohem Einkommen näher am politischen Prozess stehen und deshalb auch direkter auf Stimuli der Politiker reagieren können. Die Masse des Mittelstands reagiert da weit träger. Am unteren Ende der Einkommensskala tut sich aber auch etwas: auch die Ärmsten der Armen denken schnell um, schneller jedenfalls als Menschen mit höherem Einkommen. Umschwünge in der politischen Meinung dürften deshalb am ehesten in den untersten und obersten Schichten zu beobachten sein.

Dass Arm und Reich im Mittel ähnliche Wünsche für eine gute Politik äußern, erlaubt es Politikern insofern gar nicht, eine Gruppe auszuschließen. Die Verfasser der Studie bestehen allerdings darauf, dass dies eines ganz gewiss nicht bedeute: dass die Regierung tatsächlich im Interesse der Ärmsten handele - sondern eben nur nach deren Wünschen. Wenn die Ungleichheit trotzdem weiter wächst, kann das nur eines heißen: Dass die unteren Schichten selbst nicht wissen, was gut für sie ist. Diese Folgerung ist in der Studie allerdings so nicht zu finden.