Die Welt der Spiele

Die 5. "Doors of Perception"-Konferenz in Amsterdam

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Die diesjährige Konferenz Doors of Perception beschäftigte sie sich mit dem Thema "Play". 1200 Besucher waren nach Amsterdam zu der vom Niederländischen Design-Institut organisierten Veranstaltung gereist, die vom 26.-28. November bereits zum fünften Male stattfand. Internationale Experten waren eingeladen, um nach der praktischen Bedeutung des Spielens zu fragen - nicht zuletzt angeregt durch den Boom der Computer- und Videospielbranche -, aber auch nach seinem Modellcharakter für das Geschäftsleben und die Bildung.

Die Welt der Computer- und Videospiele hat sich einem beachtlichen Faktor der Unterhaltungsindustrie entwickelt. John Thackara, der Leiter des Design-Instituts, eröffnete die Veranstaltung und beschrieb, daß da etwas Interessantes passiere, was von der Öffentlichkeit nur unzureichend wahrgenommen wird. Der Boom ist denn auch unglaublich: 42% der US-Amerikaner geben Computer- und Videospiele als bevorzugte Freizeitbeschäftigung an, während nur noch 26% am liebsten vor dem TV-Apparat hängen. Es ist euer Job, dem Ganzen einen Sinn zu geben, meinte Thackara ans Publikum gewandt. Dem Geheimnis des Erfolgs kam die Konferenz aber nicht auf die Spur. Weniger an intellektuellen Debatten und Kulturtheorie interessiert, präsentierte die Veranstaltung neben kunsthistorischen Streifzügen und Kunstexperimenten vor allem Praxisberichte von Spieleproduzenten und Designern.

Spielfieber

Es fasziniert die Produzenten offenbar vor allem, jeweils über die beste Hardware zu verfügen und sie bis an die Grenze des Möglichen auszureizen. Der Entwickler Jez San beispielsweise berichtete von seinen Anstrengungen, den Spieldesignern immer neue Werkzeuge in die Hand zu geben, damit diese das kreieren, was trotz aller Technik und Grafik das Wichtigste bei einem Spiel bleibe: den Spaß. Es sei befriedigend zu wissen, daß Millionen von Menschen mit der eigenen Software spielen. Für die Spielekonsolen verkauft seine Firma Argonaut ungefähr acht Mal soviel Programme als für die PC-Welt.

San ist beteiligt an der Entwicklung von neuen graphic engines, die realistische Bilder ermöglichen, da sie Schattenberechnung in Echtzeit durchführen. Des weiteren wird an physics engines gearbeitet, die es erlauben, mechanische Objekte wie Autos, aber auch das Knochengerüst eines Menschen zu simulieren. Aber das reicht nicht aus. "Wir geben unseren Designer world-building tools, mit denen sie alle Facetten eines Spiels auf einfache, bedienungsfreundliche Weise kontrollieren können. Damit befähigen wir die kreativen Leute, Design-Entscheidungen treffen zu können, ohne technisch sein zu müssen."

Die momentan populäre Technik des Künstlichen Lebens (KL) findet er sehr interessant, aber seiner Meinung nach wird es in den "echten" Spielen nicht benutzt, wenn man von einer Kuriosität wie "Creatures" absieht. Wenn diese Technik weitere Fortschritte erziele, würde sie aber von größerer Bedeutung für die Spieleindustrie sein. Was die Hinweise einiger Hersteller auf den Verpackungen angeht, sie würden bei ihren Produkten auf KI-Techniken zurückgreifen, so seien das nur sehr einfache Modelle, weil allein schon die Prozessorleistung vieler heimischer PCs nicht ausreichen würde, von solchen Techniken Gebrauch zu machen. Seine Firma setzt allein für die Spielefassung des vierten Teils aus der "Alien"-Reihe auf KI-Techniken beruhende Lernprogramme ein, die die Aliens dazu bringen, intelligenter zu werden, etwas über das Verhalten des Users zu lernen und so besser ihre Angriffe zu koordinieren.

Simulation von "Gesellschaft"

Mit Techniken des KL arbeitet Will Wright von Maxis, der Anfang der Neunziger einen großen Hit mit "SimEarth" landen konnte. Auf der Konferenz zeigte er sein neuestes Produkt "SimFamily", das im nächsten Frühjahr auf den Markt kommen soll. Das Spiel simuliert selbstverständlich nicht die Biographie einer Familie, sondern das Spielgeschehen läuft von einem Tag auf den anderen ab. Es zeigt nicht das langsame Heranwachsen der Kinder, sondern bildet das Familienleben gewissermaßen in Momentaufnahmen aus der "Vogelperspektive" ab. "Ich bin immer sehr skeptisch gewesen, was die Simulation von Menschen betrifft, weil es sehr schwer ist, sie glaubhaft zu realisieren. Aber ich wollte es als Simulation, es ist kein scripted game," betont Wright. "Leute wirklich zu simulieren und ihnen einen Bereich von Verhaltensweisen zu geben, den wirkliche Leute haben, ist sehr schwierig, so daß ich es von einer höheren Warte als menschliches Herdenverhalten betrachtet habe. Wenn man aus dem Fenster schaut und die Leute unten auf der Straße sieht, wie sie umhergehen und mit anderen interagieren, in Schaufenster gucken oder auf den Bus warten, dann bekommt man ein Gefühl dafür, was sie im Großen und Ganzen tun. Das war die Auflösung, auf die es mir ankam, sie bis zu dieser Ebene zu simulieren, aber nicht weiter." Es hätte einen hohen Aufwand bedeutet zu simulieren, was sie in Gesprächen miteinander reden, und es wäre unter Umständen doch sich wiederholend und sinnlos gewesen. Man hört sie also nicht sprechen, sondern man sieht nur die Themen ihrer "face-to-face"-Kommunikation über ihren Köpfen erscheinen.

KL wird eingesetzt, um mit möglichst wenigen Parametern ein ausgefeiltes, (anscheinend) menschliches Verhalten zu erreichen. Das Verhalten ist dabei in die Umgebung "eingelagert", das heißt, es wird durch die Objekte vorgegeben: das Objekt "sagt" den Charakteren, auf welche Art sie ihren Zustand ändern, welche Animationen, welche Soundeffects sie ablaufen lassen sollen. "Die Leute im Spiel wissen nicht, was ein Stuhl ist oder ein Tisch oder eine Lampe. Was passiert, ist, daß die Objekte den Leuten ihr Verhalten ankündigen. Der Kühlschrank sagt ihnen: Ich mache euch hungrig ! Die Personen stehen in der Umgebung und ŽsehenŽ alle diese Ankündigungen." Die Charaktere bewegen sich selbständig auf dem Bildschirm und reagieren auf die Veränderungen der Bedingungen, die der User vorgibt, wenn er die Architektur des Hauses umwirft und neue Objekte in die Räume stellt. Man kann einen Charakter "einstellen", ob er "ernsthaft" oder "müde" ist (also definieren, was die Charaktere tun, wenn man sie nicht steuert), sowie den Rahmen von Verhaltensweisen festlegen: "Hygiene", "Energie", "Unterhaltung", "Soziales" - das sind Motive, die die Charaktere steuern und die in den Objekten "angelegt" sind. "Hygiene" bedeutet beispielsweise, daß ein (visuell zensierter) nackter Körper aus einer Dusche steigt (Wright besteht darauf, daß das als Parodie auf "Zensur" gedacht ist). Eine besonders irritierende Szene ist, wenn einer der Charaktere, ein blonder Typ namens Ross, sich vor einen Computer setzt, ein Actionspiel beginnt und dabei noch ziemlich hysterisch lacht.

Kunst und Spiel

In einem Nebenraum, in dem erfolgreiche Spiele wie "Tomb Raider" zu besichtigen waren, zeigte die Medienkünstlerin Rebecca Allen ihre interaktive Arbeit "The bush soul". Erste Versuche mit KL machte sie schon Ende der achtziger Jahre, aber die Computer waren zu langsam, um die Experimente in Echtzeit zu ermöglichen. Sie möchte künstliche Welten bauen, die aber - im Unterschied zu den Computerspielen - eine abstrakte Ästhetik aufweisen. Da sie auf dem Gebiet der Computeranimation gearbeitet hat (von ihr stammt das berühmte "Kraftwerk"-Video zu "Musique non stop"), ist ihr Interesse, interaktive 3D-Welten mit KL zu kombinieren. "Wenn man mit KL-Programmen arbeitet, baut man Charaktere auf und läßt sie in gewisser Weise in einer Welt leben. Wenn man die virtuelle Welt betritt, tun sie verschiedene Dinge und haben Beziehungen, Interaktionen, die gestaltet werden. Ich dachte, es wäre der beste Weg zu einer neuen künstlerischen Erfahrung."

Der Bildschirm zeigt eine computeranimierte Landschaft mit Hügeln und Tälern. In ihr bewegt sich ein Gebilde, das aussieht wie drei sich überlagernde Seesterne, das auf andere Objekte gleicher Gestalt trifft, die ausweichen, wegdriften und sich auf eigenen Bahnen bewegen. Der User steuert ein Objekt, einen der geschichteten "Seesterne", aber der Titel ihrer Arbeit rührt daher, daß sie die Metapher des Avatars (als göttliches "alter ego") vermeiden wollte und stattdessen eine Analogie aus westafrikanischen Mythen gewählt hat: die "Buschseele". Der User steuert seinen Charakter nicht vollständig, sondern der Charakter entzieht sich seiner Kontrolle von Zeit zu Zeit. Die Afrikaner glauben, daß eine Person mit verschiedenen Seelen ausgestattet ist, von denen manche "ausgelagert" sind und in Tieren stecken können. Der User bleibt ein Besucher in einer fremden Welt.

Ich richte die allgemeinen Verhaltensregeln ein und habe die Ästhetik der Bewegung und des Lebens in dieser Welt geschaffen. Wenn man die Charaktere in diese Welt hineinversetzt, weiß man zwar mehr oder weniger, wie sie sich verhalten werden, aber sie können unerwartete Dinge tun. Sie können ein anderes Verhalten zeigen, wenn zwei oder mehr Dinge gleichzeitig passieren. Aber zuvorderst ist vieles davon entworfen, es ist keine Kontrolle zufälliger Art, ich denke über die ŽPersönlichkeitŽ eines jeden Objekts in der Welt nach.

Rebecca Allen

Der Rückgriff auf solche Mythen ist zur Orientierung in dieser Welt wenig hilfreich, zumal Allen plant, in Multi-user-Umgebungen verschiedene beseelte Objekte von verschiedenen Benutzern mit rein künstlichen Objekten aufeinandertreffen zu lassen. Der künstlerische Aussagewert ist der eines avancierten Experiments mit neuen formalen Mitteln. Sie möchte ihrer Arbeit eine Ästhetik geben, die genuin an den Computer gebunden ist. Die Charaktere, die virtuelle Landschaft und das Verhalten werden gestaltet - letzteres mit einer speziellen "behavior scripting language", mit der festgelegt wird, welche Reaktionsweisen welcher Charakter zeigt und welche anderen er "bevorzugt".

Pädagogisch wertvoll

Die Spiele sind zwar kommerziell äußerst erfolgreich, aber gibt es keine Alternativen, was die Inhalte betrifft ? Brenda Laurel, VR-Theoretikerin und Mitbegründerin der Firma Paper Moon, hat umfangreiche Studien beispielsweise zu der Frage durchgeführt, ob Mädchen nicht anderen Formen des Computerspielens den Vorzug geben. Die Forschung ergab, daß Mädchen die "Inhalte" der Actionspiele ablehnen, die sich um Überleben, Konkurrenz oder Gewalt drehen. Sie bevorzugen Geschichten bzw. Stoffe, die für sie eine persönliche Bedeutung haben und die sie weiter erforschen können. Als Konsequenz hat die Firma eine Website für Mädchen eingerichtet, die sich großer Beliebtheit erfreut und 40000 registrierte Benutzerinnen hat. Da entsteht eine virtuelle Welt, die für das Miteinanderspielen und -kommunizieren einen neuen Raum bietet.

Und was passiert, wenn auch herkömmliche Spielzeuge mit High-Tech aufgerüstet werden? Mitchell Resnick vom M.I.T. Media Lab war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Projekts Lego Mindstorms. Die Idee war, daß die Art des Lernens, die Kinder beim Spielen mit Bauklötzen erreichen - sie erfahren etwas über Umfang und Form -, auf die Prozeßhaftigkeit der Welt übertragen werden kann, wie die Dinge miteinander reagieren, wie sie sich verhalten.

Resnick glaubt, mit seinen "digital manipulierbaren" Spielzeugen einen Weg gefunden zu haben, die physische und die digitale Welt miteinander verbinden. Die "Lego Mindstorms" sind "programmierbare" große Legobausteine, mit einem Mikroprozessor im Innern, die man mit bis zu drei Motoren und drei Sensoren versehen kann. Die zusammengebauten Objekte können Lichtsignalen folgen oder aber sich im Kreis drehen, wenn sie auf ein Hindernis stoßen. Das hört sich auf den ersten Blick nicht spektakulär an, aber es geht um Spielzeuge für Kinder. So wie sie früher Objekte aus Legobausteien zusammensetzten, so können sie jetzt weitergehend ihr Verhalten bestimmen, indem sie auf einem PC ein Programm schreiben und per Infrarotverbindung an die Bausteine senden. Wenn diese das Verhalten ausführen und eben Hindernissen ausweichen, können die Kinder ein Gefühl dafür bekommen, wie ein Prozeß gestaltet wird, wie technische Teilsysteme sich zueinander verhalten. Es kommt nicht nur darauf an, etwas über die Technik zu lernen, sondern über die damit verbundenen Interaktionsprozesse.

Prozesse des Erfindens und Entwerfens sollen Kindern auf die Weise nahegebracht werden. Die praktischen Beispiele an US-amerikanischen Schulen zeigen, daß den Schülern diese Art des Lernens gefällt. Und Resnick ist nicht kleinlich, was seine Hoffnungen für die Zukunft angeht. "In Zukunft werden die Kinder Dutzende, ja Hunderte von Spielzeugen haben, die alle miteinander agieren, und Teil der Spielerfahrung wird sein, wie man die Interaktionen zwischen all diese verschiedenen Spielzeugen orchestrieren kann," meint Resnick optimistisch. "Und es wird wertvolle Lernerfahrungen geben, wenn die Kinder in der Lage sind, die Objekte miteinander zu verbinden und in gewissem Sinn ein Mini-Internet in ihrem Schlafzimmer zu erzeugen." Die digitalen Bausteine werden im nächsten Jahr auf den bundesdeutschen Markt kommen.

Spiel und Markt

Das Business in jeder Hinsicht als Spiel zu bezeichnen, ist sicher eine fragwürdige Metapher. Danny Hillis verwendete sie und beschrieb, daß sie am AI Lab des M.I.T. gerade dann Durchbrüche erzielt hatten, als sie gespielt haben und von Vorgaben abgewichen sind. Dieses Prinzip auf die Gründung einer eigenen Firma zu übertragen, die "Thinking machines"-corporation, die die Parallelarchitektur bei Großrechnern einführte, ging solange gut, wie man hier keinem Wettbewerb ausgesetzt war. Dann allerdings ging es abwärts, weil die eigentlich so kreative Struktur der Firma den effizient organisierten Mitbewerbern, was Produktionsweise und Kostenmanagement anging, unterlegen war. Auf der anderen Seite drohen große Konzerne in ihren Abläufen zu versteinern, so daß sie kreative Verfahren integrieren müssen, die sie u.a. auf Veränderungen des Marktes vorbereiten. Die Aspekte von "Effizienz" und "Innovation" müssen in einer kreativen Organisation ausgeglichen sein. Jetzt ist Hillis Vizepräsident bei "Walt Disney Imagineering", einer kreativen Spielwiese, die sich der Unterhaltungskonzern als Forschungszentrum leistet.

Die in einem anderen Vortrag gestellte Frage, welche Geschäftsmodelle denn die die besten seien, um die positiven Seiten des Spielens zu nutzen, gehörte zu den wenigen Ansätzen, gesellschaftliche Dimensionen in die Erörterung einzubeziehen, aber eine Systemkritik wurde umschifft. Es blieb bei dem kritischen Hinweis, daß man nicht den Marketing-Fachleuten die Bewertung überlassen soll, was gute Spiele sind.

Alle Beiträge werden in den nächsten Wochen auf der Doors-Website online verfügbar sein. Das nächste Mal öffnen sich die Pforten der (digitalen) Wahrnehmung im November 2000.