Die Zweite Biennale von Südafrika

Digitale Diaspora am Kap der Guten Hoffnung

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Am 12.Oktober 97 wurde die Zweite Biennale von Südafrika in Johannesburg eröffnet. Diese Biennale verdient besondere Beachtung, weil sie sich mit den vielfältigen Implikationen der Globalisierung aus einer afrikanischen Perspektive auseinandersetzt. Sie gibt den Diskussionen um "lokal" und "global" einen neuen Dreh, indem sie die kulturellen Nord-Süd-Beziehungen umkehrt. Mehr als 50 Prozent der teilnehmenden Künstler stammen aus der südlichen Hemisphäre. Johannesburg war jedoch nicht nur willkommener Treffpunkt einer sehr kosmopolitischen Mischung von Künstlern, Kuratoren, Kritikern und Journalisten. Die Stadt selbst zeigte mit ihrer bloßen Existenz auch die Grenzen der Kunstveranstaltung auf und brachte jene Problemzonen zu Bewußtsein, die von der Biennale nicht oder nicht genügend klar artikuliert wurden.

Bongi Dhlomo-Mautloa, Leiterin des Africus Instituts für Zeigenössische Kunst (Veranstalter) und Okwui Enwezor, Kurator

Die 2.Biennale von Johannesburg ist, mit mehr als 300 teilnehmenden Künstlern und Konferenzteilnehmern, ein ehrgeiziges Projekt, das versucht Südafrika auf die Karte großer Weltkunstausstellungen zu setzen. Die Ausstellung verteilt sich über vier Hallen allein in Johannesburg, sowie zwei weitere in Kapstadt. Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor und sein Assistent Octavio Zaya formulierten mit dem Thema "Trade Routes - History and Geography" in ihren Katalogtexten und der von ihnen kuratierten Ausstellung "Alternating Currents" das inhaltliche Fundament dieser Biennale. Die Arbeiten von 85 Künstlern werden im Rahmen dieser Hauptausstellung im sogenannten "Electric Workshop" gezeigt, ein ehemaliges Kraftwerk, das für die Zwecke der Biennale renoviert wurde. 5 weitere Kuratoren setzten dieses Thema der Handelsrouten, des Post-Kolonialismus und der Globalisierung in ihren eigenen Ausstellungen fort: Yu Yeon Kim (Transversions), Hou Hanru (Hongkonk etc.), Gerardo Mosquera (Important and Exportant), Kellie Jones (LifeŽs Little Necessities) und Colin Richards (Graft). Sonderprojekte benutzen Anzeigentafeln in der Stadt, sowie die Medien. Dazu gab es eine Konferenz und eine Selektion von Filmen. All das nimmt zusammen die Dimensionen eines Mega-Projekts an, das unter einzigartigen und schwierigen Umständen in einem Land, das sich in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess befindet, zustandekam.

Wer sich der Stadt über den internationalen Flughafen von Johannesburg nähert, wird zuerst feststellen, daß hier auf zahlreichen riesigen Werbetafeln für die selben Produkte wie überall auf der Welt geworben wird - Luxusartikel, Kreditkarten, Telekommunikation, Computer, Software. Die Autobahn, die Tankstellen, die Fast Food Ketten möchten einen glauben lassen, man befinde sich in Stuttgart oder Milano. Nähert man sich aber den nördlichen Vorstädten wie Rosebank oder Sandton, so beginnt man langsam die Unterschiede wahrzunehmen. In diesen Straßen sind die Bürgersteige mindestens so sauber wie in München-Bogenhausen und die Villen brauchen in Größe und Stil keinen Vergleich mit Beverly Hills zu scheuen. Vielmehr zeigen sie besseren architektonischen Geschmack und selbst die Niederlassungen der Multinationalen Konzerne wetteifern miteinander um ein stilvolles Erscheinungsbild. Nähert man sich nun dem Zentrum von Johannesburg, so wird man eine weitere Veränderung wahrnehmen, ohne genau sagen zu können, wann sie eingetreten ist. Die Gebäude verändern sich nicht so sehr, abgesehen von einer gewissen städtischen Verdichtung. Die Gehsteige vor den Gebäuden aber sind belebt von einem typisch afrikanischem Straßenleben. Doch zwischen den exotischen Oberflächen des geschäftigen Treibens schimmert die Armut und Verzweiflung des Lebens im städtischen Südafrika durch. Kommt man schließlich im zum Kulturbezirk ausgerufenen Stadtteil Newtown an, wo die Biennale ihr Zentrum hat, so hat man bereits eine Lektion gelernt. Es besteht ein großer Unterschied darin, abstrakt über die Schrecken des Apartheid-Regimes informiert zu sein, und seine Langzeitfolgen tatsächlich aus erster Hand sehen zu können.

Soweto

Über Jahrzehnte hinweg war Südafrika ein Land, in dem eine mächtige und mit allen High-Tech-Mitteln ausgestattete Sicherheitsmaschinerie alles in ihrer Macht stehende tat, um einem Großteil der Bevölkerung seine grundlegenden Menschenrechte vorzuenthalten. Nachdem der ANC 1994 durch demokratische Wahlen an die Macht kam, ist die Ungerechtigkeit des Apartheid Regimes nicht über Nacht verschwunden - insbesondere die ökonomische Ungerechtigkeit. Zusätzlich zu den alten Wunden brechen wöchentlich neue Konflikte auf, gespeist aus den alten Sümpfen von Korruption und Lügen. Doch die meisten Südafrikaner zeigen nach wie vor große Zuversicht, daß der Prozess der Transformation im großen und ganzen weiterhin friedlich verlaufen wird. Es war mir unmöglich, die Biennale von diesem Klima der Hoffnungen und Ängste getrennt zu betrachten. Die Kraft der Biennale liegt auch in der Größe des Konfliktpotentials in Südafrika. Dadurch erscheint Johannesburg ideal geeignet, die Probleme der Globalisierung in den Blickpunkt zu rücken. Es begegnet uns als ein Modell für die Transformation und Hybridisierung der Welt, wobei "Roots" durch Routen ersetzt werden, welche die Menschen auf eine ungewisse Reise in die Zukunft führen.

Im folgenden möchte ich versuchen, die Erzählungen der Stadt mit den Erzählungen der Künstler und Kuratoren, und schließlich meiner eigenen Erzählung, in Beziehung zu setzen. Wie Sie bald feststellen werde, versuche ich dabei meine eigene Stimme soweit wie möglich zurückzunehmen. Während der Biennale habe ich viele Gespräche aufgezeichnet. Von den Ideen hinter dieser Biennale ausgehend, entschloss ich mich, eher eine Montage verschiedener Äußerungen vorzunehmen, als einen linearen eigenen Text zu verfassen. Die Vielfalt der Stimmen war eine der Errungenschaften dieser Biennale, ihr manchmal babylonisches Durcheinanderreden zugleich eine (notwendige) Last.

(Die folgenden Zitate basieren auf Transskripten meiner Aufnahmen, die dabei leicht redigiert wurden)

Okwui Enwezor, der künstlerische Leiter der Biennale, geboren in Nigeria und mit Wohnsitz in New York:

Für mich war die Hauptfrage, wie man mit diesem Thema der Globalisierung umgeht. Ich spreche dabei nicht von Globalisierung als ein typisches Phänomen nur für das 20. Jahrhundert, sondern als etwas, das eine viel längere historische Verlaufsbahn hat. Innerhalb dieser Problematik der Globalisierung, die von den Multinationalen Konzernen gewissermassen gestohlen wurde, haben wir über einige Fragen nachgedacht, sei es Auswanderung, Identität, Nationalität, Postkolonialismus, Kolonialisierung usw. Es war für mich eine Gelegenheit, darüber zu meditieren, was das genau an diesem historischen Moment bedeutet und welche ökonomischen Machtfaktoren welche jüngsten kulturellen Konsequenzen nach sich zogen.

Einige von Okwui Enwezors grundlegenden Entscheidungen über die Organisationsweise der Biennale wurden von vielen Künstlern und Besuchern positiv aufgenommen.

Ich bin sehr davon angetan, daß die Pavillons der Nationen abgeschafft wurden und daß wir nicht unsere Heimatländer repräsentieren, sondern daß wir unsere Arbeiten als individuelle Künstler zeigen, und daß wir alle durcheinandergemischt wurden.

Alfredo Jaar Chile/New York (Tranversions)

Mir gefällt diese Biennale, denn sie haben nicht nach Künstlern gesucht, die aus diesem oder jenem Land kommen, sondern nach Künstlern, die gut zu ihrem Konzept passen. Sie haben diese Idee der Nationalität abgeschafft und damit fühle ich mich sehr wohl.

Juan Carlos Robles, Spanien/Berlin (Alternating Currents)

Okwui Enwezor ging jedoch weiter, als nur die Nationalpavillons abzuschaffen, er delegierte auch kuratorische Macht und sagte diesbezüglich:

Für mich war es unmöglich, einmal mehr diese große Geste der Kunstwelt zu unterstützen, und mich als der alleinige Kurator zu präsentieren. Ich fühlte die Notwendigkeit, mit anderen Kuratoren zusammenzuarbeiten. Das macht meine Position komplizierter, es macht sie aber auch besser nachvollziehbar.

Man kann das schon als einen Vorzug dieser Biennale sehen, daß es verschiedene Kuratoren mit verschiedenen Wertesystemen gibt. Dadurch wird dieses Schlagwort von der Dezentralisierung zum Bestandteil der technischen Struktur der Biennale.

Helmut Weber, Wien (Transversions)

Okwui Enwezors Idee, daß die Biennale einen "fünfstrahligen Stern bilden sollte, zwischen dessen Polen die verschiedenen ästhetischen und kulturellen Positionen miteinander interagieren können," scheint also funktioniert zu haben. Nicht nur die jüngeren Künstler, auch Dennis Oppenheim, einer der Stars der Ausstellung, fand Gefallen am kommunikativen Geist der Biennale. Er erzählte mir, daß er es ausgesprochen interessant fand, daß die Veranstaltungen von jungen Südafrikanern "infiltriert" wurden, die alle begierig darauf waren, zu sehen und zu lernen. Er erwähnte auch, daß die Kuratoren der wichtigsten amerikanischen Museen präsent waren, ebenso wie Vertreter der wichtigsten Kunstzeitschriften. Alfredo Jaar, ein weiterer "Name" in dieser Biennale, teilte dieses Gefühl:

Beinahe ein Drittel der Künstler kommen aus Südafrika, wir sind alle zusammen, sie haben eine starke Präsenz, wir werden zusammen durch die Stadt geführt und wir werden Freunde.

Jaar brachte jedoch auch Skepsis über die Fähigkeit des Kunstsystems zum Ausdruck, sich zu verändern. Seiner Ansicht nach ist die Erkenntnis, daß andere Sichtweisen als die der westlichen Kunstwelt akzeptiert und gezeigt werden müssen, zwar seit langer Zeit gegeben, trotzdem habe sich bislang wenig verändert.

Das ist eine der großen Ironien in der heutigen Kunstwelt. Aber ich glaube, wir sind heute in der ersten Phase, in der es für Künstler aus der sogenannten Dritten Welt nötig ist, Präsenz in den sogenannten Zentren zu zeigen, um ihren weg machen zu können. Wir werden jedoch eine zweite Phase erreichen, in der es nicht mehr nötig sein wird, die sogenannte Dritte Welt zu verlassen. Man kann überall leben und sein Vokabular und seine Arbeit weiterentwickeln und trotzdem von seinem eigenen Land aus auf der Weltbühne der Kunst sichtbar sein. Vielleicht ist das Wunschdenken, aber ich glaube wir bewegen uns langsam darauf zu. Die Peripherie wird verschwinden, wir werden alle zu Zentren und die eurozentrische Weltsicht wird ebenfalls verschwinden.

Alfredo Jaar

Das war einer der zentralen Punkte in vielen Diskussionen dieser Biennale. Die Mehrheit der Künstler, die bei der Biennale gezeigt wurden, kamen aus der sogenannten Dritten Welt oder der südlichen Hemisphäre oder aus anderen marginalisierten Gebieten. Die meisten dieser Künstler leben jedoch in New York. Es wäre zu einfach, die Kuratoren zu beschuldigen, daß sie ein New York-zentriertes Bild verbreiten. Für junge Künstler aus Afrika ist es eine Frage der Notwendigkeit und nicht der freien Wahl nach New York oder London zu ziehen, um überhaupt so etwas wie eine künstlerische Karriere haben zu können. Die "Diaspora" der Künstler ist oft eine Geschichte von persönlicher Verzweiflung und Mangel an anderen Perspektiven. Deshalb wird ein Kurator wie Okwui Enwezor sich nicht leichtfertig jenem Trend anschließen, der den "Nomadismus" feiert, ein Konzept, das in westlich elitären Kunstzirkeln seit vielen Jahren populär ist.

Die Frage ist, was ist in Afrika in den letzten 20 Jahren passiert? Warum mußten Leute ihre eigenen Länder verlassen und wohin sind sie gegangen? Ich denke, daß die Metropolis empfänglicher für dieses Konglomerat von Menschen und Identitäten ist. Nicht notwendigerweise in den Zentren der Metropolis sondern an ihrer Peripherie. Die Metropolis selbst kann nicht mehr bloß als ein Zentrum betrachtet werden, sondern ist selbst ein hochgradig fragmentierter Ort. Diese Künstler leben in New York, aber sie werden dort nicht ausgestellt. Um sie in einer Ausstellung dieser Größenordnung zu sehen, muß man nach Johannesburg kommen.

Okwui Enwezor

Er fügt an, daß "New York natürlich ein Machtzentrum in den Begriffen des Kapitalismus bleibt und das ist eine Frage, der ich mich ebenso stellen muß." Nach und von New York zu fliegen, scheint eine zentrale Frage für viele Künstler zu sein. Das Problem der Diaspora ist jedoch nicht nur das Problem afrikanischer Künstler. Die Diaspora, die aus ökonomischen oder politischen Gründen erzwungene Auswanderung, war das zugrundeliegende Hauptthema in vielen Arbeiten bei dieser Biennale.

Ich denke, daß wir alle Teil der Diaspora sind. Das ist eine der durchgängigen Fragen am Endpunkt des zwanzigsten Jahrhunderts. Diaspora für mich ist, wie jemand ihre oder seine Identität definiert, in einem größeren Bezugsrahmen von kultureller Identifikation im Gegensatz dazu, durch enge rassische oder ethnische Positionen definiert zu sein.

Okwui Enwezor

Genau an diesem Punkt jedoch endete der Konsens. Die Fragen der Identität und ihrer Formation provozierten endlose Diskussionen, die zu keiner Lösung führten. Als Catherine David, Kuratorin der documenta X, bei einer Podiumsdiksussion äußerte, daß sie Identität als einen lebenslangen Prozess sehe, anstatt als feststehende Kategorie, wurde sie äußerst emotional angegriffen. Das Argument ihrer Gegnerinnen war, daß die Möglichkeit, eine Identität selbst zu wählen, vom eigenen Handlungsspielraum abhängig ist, der jedoch für viele Menschen in Afrika nicht gegeben ist, so daß sie von außen "identifiziert" werden, ohne die Möglichkeit zu haben, darauf zu antworten.

Später sagte Catherine David in einem persönlichen Gespräch:

Dieser Idee von Identität als Gemischtwarenhandlung bin ich überdrüssig. Dahinter steht ein sehr angelsächsischer Gedanke: Sei was du willst, aber bleib wo du bist. Ich komme aus einem sehr republikanischen Land. Die Idee der Staatsbürgerschaft ist mir wesentlich näher als die Idee von diesen isolierten "Communities".

Die Ausstellungen I:Alternating Currents

Die Hauptausstellung "Alternating Currents" im "Electric Workshop" hinterließ gemischte Gefühle. So war der Raum selbst beeindruckend, ebenso wie die Vielzahl der Künstler und Formate. Malerei gab es kaum, dafür sehr viele Installationen, Video, Fotografie, Projektionen und auch die eine oder andere computergestützte Arbeit. Ebenso wie bei den anderen Ausstellungen der Biennale fiel dabei angenehm auf, daß die verwendete Technologie, bzw. das Medium nie im Mittelpunkt stand. Globale Kommunikationsmedien wurden nicht fetischisiert, sondern genutzt. Die Ausstellungsräume wurden zu Labyrinthen, in denen man sich stundenlang aufhalten konnte.

Soweto

Ein immer wiederkehrendes Thema war das "Heim". Viele Künstler zeigten Innenräume. Dabei dominierten "Shacks", jene primitiven und meist selbstgebauten Behausungen in afrikanischen oder lateinamerikanischen Slums. Während eine Reihe von Künstlern solche Shacks in der Halle als reale Installationen aufbauten, beschränkten sich andere auf photographische Abbildungen. Die Photographien fand ich wesentlich interessanter, da sie nicht mit der Slum-Ästhetik kokettierten, sondern subtilere Nuancen zeigten, so z.B. die Arbeiten von Zwelethu Methetwa aus Durban, Südafrika und Esko Männikkö, Pudasjarvij, Finnland.

Beide zeigen gewöhnliche Menschen in ihren Häusern, wobei die Betonung auf "gewöhnlich" und nicht "arm" liegt. Damit lenken sie den Blick nicht auf pseudoschockierende Armutsbilder, sondern auf die Würde der abgebildeten Menschen. Die geographische Distanz und zugleich die Ähnlichkeit zwischen den abgebildeten Realitäten konstruierte eine Botschaft von universaler Menschlichkeit. Der in Köln lebende schweizer Photograph Beat Streuli mag eine ähnliche Botschaft beabsichtigt haben, seine riesige Fototapete, welche die Eingangshalle des Electric Workshop dominierte, erinnerte jedoch mehr an "United Colors of Benetton" als an irgendetwas sonst.

Die Anhäufung von Arbeiten über das Heim funktionierte auf Zeichenebene vor allem als Verweis auf die Identität der Künstler, auf ihre Herkunft oder auf ihr Zugehörigkeitsgefühl. Doch eine darüberhinausgehende gedankliche Synthese fand selten statt. Die Fragmente individueller Identitäten addierten sich zu keinem Ganzen.

Diese Ausstellung ist rauh, ihre Oberfläche ist in vielerlei Hinsicht ungeglättet. Ich möchte das betonen, denn viele Leute werden die Frage aufwerfen, ob einige der gezeigten Arbeiten Kunst genannt werden sollen. Ich denke aber, daß Themen wie die Politik des Überlebens, der sozialen Mobilität, der politischen und ökonomischen Analyse heute nicht mehr getrennt von der Kunst zu sehen sind. In dieser Hinsicht ist die Biennale eher eine multidisziplinäre Ausstellung als einfach bloß Kunst.

Okwui Enwezor

Als kuratorischer Standpunkt ist das sicher nachvollziehbar, erklärt jedoch nicht, warum so viele Künstler nicht in der Lage sind, über den subjektiven Ausdruck ihrer Erfahrungen als Individuen hinauszugehen und diese in einen größeren Rahmen zu stellen. Doch immerhin gab es auch diesbezüglich einige Ausnahmen.

Vivat Sundaram, Indien, z.B. druckte Texte führender indischer Ökonomen auf dünne Metallfolien, die zu Büchern zusammengeheftet waren. Diese "Bücher" hingen an den Wänden, während der Boden von kleinen Fotos übersät war, die alle indische Marktsituationen zeigten und die alle im selben billigen roten Plastikrahmen gerahmt waren. Damit gelang eine interessante Gegenüberstellung ernsthafter ökonomischer Analyse über die Folgen der Globalisierung mit der Realität lokaler Dritte-Welt-Märkte.

Eugenio Dittborn aus Chile zeigte eine neue Serie seiner "Airmail Paintings". Seine auf Stoff gemalten und mit der Luftpost verschickten Bilder wurden zu einem großen Wandbild zusammengefügt. Dieses ergab eine Art Psychogeographie des Kolonialismus in Zeit und Raum, von den Erfahrungen der indigenen Völker mit dem "weissen Mann", über die Knechtschaft des Christentums, bis hin zu der Bilderwelt der Coco-kolonialisation. Das Verschicken der Bilder per Luftpost ist integraler Bestandteil der Arbeiten des in Chile lebenden Dittborn, sie können so als "Nachrichten aus der Dritten Welt" gelesen und identifiziert werden.

Einen beinahe versteckten Höhepunkt der Ausstellung bildete die Arbeit von Marko Peljahn, Slowenien. High-Tech-Equipment benutzend, das jedoch in einem Kontrollraum unsichtbar versteckt war, empfing er Gespräche und Funksignale der Luftraumüberwachung. In der Ausstellung selbst befand sich nur ein Kopfhörer und eine Karte von Afrika, die zeigt, welche Räume von welcher Bodenstation überwacht werden. Über den Köpfhörer können die Gespräche zwischen Tower und Piloten mitgehört werden. Nachdem transkontinentale Flüge für die Diaspora eine so große Rolle spielen, war dieser Beitrag einer der wenigen, der einen zugleich lokalen und globalen Kontext eröffnete, eine Form von Daten sichtbar machte, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen sind, und dabei nicht von der "Subjektivität" des Künstlers beeinträchtigt wurde.

Weitere für sich genommen interessante Arbeiten von Künstlern wie z.B. Wenda Gu, Stan Douglas, Sophie Ristelhueber oder der als Videoinstallation gezeigte Film von Isaac Julien über Franz Fanon könnten an dieser Stelle Erwähnung finden. Doch trotz ihrer professionellen und beeindruckenden Realisation taten sie wenig für die weitere Entwicklung des Themas.

Die Probleme der Kunst und der Künstler

Olu Oguibe, Organisator der begleitenden Konferenz, gab ein hartes Statement über die intellektuellen Fähigkeiten von Künstlern ab. Um fair zu sein, muß diesbezüglich erwähnt werden, daß er sich nicht nur auf die Künstler der Biennale bezog, sondern auf die Kunstwelt allgemein:

Wir leben im sogenannten "Zeitalter der Konzeptkunst" und man würde annehmen, daß die Künstler folglich mit Konzepten und Ideen zu tun haben. Wann man sich aber umschaut, dann ist das ganz klar nicht der Fall. Was sie machen ist, mit allen möglichen massenproduzierten Fertigideen herumzufummeln, die sie nicht richtig durchzudenken in der Lage sind. Kaum einer von ihnen kommt zur Konferenz, weil sie mit intellektuellen Themen nichts anfangen können. Alles was jenseits eines Zweizeilers ist, ist jenseits ihrer Fähigkeit zu verstehen oder zu artikulieren. Wie irgendjemand, der nicht genügend intellektuell begabt ist, mit Diskursen umgehen und Ideen oder Konzepte in visuelle Form übersetzen kann, ist für mich ein Wunder.::

Catherine David, die ihren eigenen Worten zu Folge, die "Methodologien anderer Kuratoren studierte", spielte den Ball an die Kuratoren zurück:

Diese Biennale ist nicht schlechter als andere, sie ist aber auch nicht besser als andere. Was meiner Ansicht nach hier versäumt wurde, ist eine spezifische Artikulation über den Kontext von Johannesburg. Es wäre interessant gewesen, mit anderen Ausstellungsstrategien zu experimentieren...Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, bestimmte Prioritäten zu setzen und bestimmte Dinge in den Fokus zu rücken, und zu versuchen, das auf eine offensichtliche und manchmal sogar Anstoß erregende Art zu tun. Für mich besteht eine Ausstellung zu 50% aus dem, was man zeigt und zu 50% aus dem, was man damit tut.

Catherine David

Sicherlich ist es einfach, über versäumte Möglichkeiten zu sprechen, aus einer Position heraus, gerade eine der wichtigsten Ausstellungen in der westlichen Kunstwelt gemacht zu haben, wo die künstlerische Leitung eine effiziente Organisationsmaschinerie hinter sich hat, bestehend aus gut bezahlten Profis. Im Kontrast dazu war die Organisation der Biennale von Südafrika ein Parcours von Problemen. Organisatoren wie Bongi Dhlomo-Mautloa, Leiterin des Africus Instituts für Zeigenössische Kunst (Veranstalter), Projektkoordinator Clive Kellner, Medienpromoterin Susan Glanville und Administratorin Angela Gama, um nur einige zu nennen, haben es geschafft, einen gewaltigen Berg von Arbeit zu bewältigen, auf der Basis einer praktisch kaum vorhandenen Infrastruktur und mit den notorischen Geldproblemen eines unterfinanzierten Projekts, bei dem auch die zugesagten Gelder (zu) spät eingetroffen sind. Die Teilnahme vieler Künstler hing davon ab, daß sie eigene Mittel von ihren jeweils lokalen Kunstfördereinrichtungen organisieren konnten. Einige Künstler bezahlten ihre Teilnahme sogar aus der eigenen Tasche. Derartige organisatorische Angelegenheiten sind normalerweise nicht Teil der Rezension. Ich denke jedoch, daß diese Dinge diskutiert gehören, weil sie ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitsbedingungen von Künstlern in einer zunehmend sozialdarwinistischen Kunstlandschaft sind.

Trotz des Mangels an Resourcen hätte mehr getan werden können, um Publikum in die Biennale zu bringen. In den ersten Tagen nach der Eröffnung hatten Künstler und angereiste Insider die Hallen beinahe für sich allein.

Desné Maise, 19, Architekturstudentin und in der Künstlerkantine arbeitend:

Durch die Politik der Vergangenheit wurde ein großer Teil der Bevölkerung von der Kunst ferngehalten. Und was ich bezüglich dieser Biennale sehen kann ist, daß nur entlang der Autobahnen in die nördlichen Vorstädte Werbung gemacht wird und daß in den Townships nicht plakatiert wurde. Dazu muß man auch wissen, daß auch alle Gallerien in den nördlichen Vorstädten sind.

Jacob Lebeko, 23, der gerade sein Diplom in Kunstwissenschaft gemacht hat und für den Biennale Führungsdienst arbeitet:

Mich beschäftigt, was in den Townships bezüglich der Biennale gemacht wird, bisher wurde nämlich nichts gemacht. Es gibt viele Gemeinde-Kunstzentren in den Townships, diese werden aber einfach zurückgelassen. Alles findet in den wichtigen Teilen Johannesburgs statt. Mir erscheint, daß Leute ausgelassen werden, nicht absichtlich, aber durch die Art, wie alles arrangiert ist. Vielleicht sind meine Erwartungen bezüglich dieser Biennale zu hoch, es ist ja erst die zweite, aber wir sollten von der ersten gelernt haben. Es ist nur ein Problem des Zugangs, ein ökonomisches Problem.

Alexia Webster, 18, angehende Kunststudentin und auch in der Kantine beschäftigt:

Mein erster Eindruck von der Kunst ist, daß sie meistens nichts mit der Umgebung zu tun hat. Aus irgendeinem Grund habe ich erwartet, daß die Künstler hierher kommen und uns ihre Perspektiven auf die Dinge hier und ihre Erfahrungen mit Südafrika vermitteln. Aber es ist mehr eine persönliche Kunst, was hier gezeigt wird.

Als ich Okwui Enwezor mit solchen Kritikpunkten konfrontierte, beklagte er sich über die "Fetischisierung der Townships". Die Biennale, sagte er, mache Projekte in den Townships und es werde auch Workshops geben usw.
Diese Pläne jedoch, ebenso wie die begleitende Konferenz und das Filmprogramm, wurden nicht genügend bekannt gemacht.

So konnte der Eindruck entstehen, daß die elitären Auffassungen der Kuratoren die Gefahr einer verlängerten kulturellen Dominanz in sich bergen. Westlicher Kulturimperialismus wird ersetzt durch afrikanisch internationalen Transkulturalismus. Dieses Regime ist zwar subtiler und bringt mehr Diversität in das auf Markennamen bauende Betriebssystem der Kunst, ist jedoch nichtsdestotrotz im selben Elfenbeinturm beheimatet. Die Kuratoren sprechen die Sprache der Hyper-Post-Modernität. Diese mag für New York angemessen sein, wird der Realität von Johannesburg jedoch kaum gerecht. So wurde die fehlende Schnittstelle zwischen der Biennale und Johannesburg auf ganz "natürliche" Weise durch ein Phänomen hergestellt, daß so überaus präsent in dieser Stadt ist - die Straßenkriminalität. Nachdem ein japanischer Künstler am ersten Tag überfallen und beraubt, und eine deutscher Biennale-Tourist in den Arm gestochen wurde, wurden die Künstler von Furcht geplagt. Nur wenige wagten es, die Stadt auf eigene Faust zu erforschen, neben den organisierten Taxi-Fahrten zwischen Hotel und Ausstellungshalle oder nach Soweto.

Die Ausstellungen II: Transversions etc.

Die übrigen Ausstellungen der Biennale taten wenig, um dieses Bild des künstlerisch elitären Transkulturalismus zu verbessern.

"Transversions", kuratiert von Yu Yeon Kim, war vielleicht die "modernste" Ausstellung, was den Einsatz einer Vielzahl von technischen Mitteln betrifft (Video, CD ROM, Computer, Internet).

Alfredo Jaar, der seine letzten drei Arbeits-Jahre Recherchen über den Völkermord in Ruanda widmete, zeigte "Die Augen von Gutete Emerita", eine zutiefst anrührende Arbeit. Nachdem die Bilder vom Völkermord um die Welt gegangen sind, die internationale Gemeinschaft aber dennoch nichts unternahm, um ihn rechtzeitig zu stoppen, bezweifelt Jaar die Wirksamkeit von Bildern in den Medien. In seiner Arbeit ist daher das Bild auf ein Minimum reduziert. In genau getakteten Abständen erscheinen Texte auf zwei elektronischen Anzeigetafeln, und erst nach zwei Minuten erscheinen für einen Sekundenbruchteil die "Augen von Gutete Emerita", Zeugin und einzige Überlebende des Mordes an ihrer gesamten Familie.

Elisabeth Diller und Ricardo Scofidio aus New York zeigen "Pageant", eine computeranimierte Folge von schwarzweissen Firmenlogos, die auf den Boden projiziert werden, wobei ein Logo fließend ins nächste übergeht. Die Arbeit erreicht eine hypnotisierende Qualität, sie erzeugt das Gefühl, Zeuge eines neuen religiösen Rituals des transnationalen Kapitalismus zu sein, ohne diesem entkommen zu können. Alles in allem gelangte jedoch auch "Transversions" nicht über die Rhetorik von "Künstler überbrücken Territorien, Zonen, Geschichten, Kulturen" (Katalogtext) hinaus, und das ist etwas, was beinahe über jede Ausstellung gesagt werden kann.

"Hongkonk etc.", kuratiert von Hou Hanru erschien noch willkürlicher in seiner Auswahl und Zusammenstellung. Arbeiten auf Fotos, Video, Internet und CD ROM fügten sich zu einer Art künstlerischem Reisealbum zusammen, in dem künstelnde Weltreisende die Bilder zeigen, die sie gesammelt haben. In diesem Kontext wurden selbst die streng komponierten Foto-Arbeiten von Andreas Gursky zum Teil eines wahllosen Bilderbombardements.

"Important und Exportant", kuratiert von Gerardo Mosquera war die "europäischste" aller Ausstellungen (die Ausstellungen in Kapstadt konnte ich nicht sehen), wobei europäisch in diesem Zusammenhang heißt, auf wohletablierte Praktiken der Konzeptkunst der letzten 20 Jahre zurückgreifend. Doch auch in dieser, ebenso wie in allen anderen Ausstellungen, gab es Arbeiten von hervorragender Qualität.

Sophie Calle zeigt mit "Detachment" verwüstete Denkmalstätten in und um Ostberlin. Neben Fotos von Orten, an denen sich einst stalinistische Monumente befanden, die nach der Wende beseitigt wurden, plazierte sie Texte mit Erinnerungen von Leuten an diese Monumente. Willem Boshoffs, Südafrika, "The Writing That Fell From The Wall" füllte den Raum mit leeren Ausstellungspodesten, umgeben von zu Boden gefallenen Worten, Worte wie "Wahrheit", "Sinn", "Heil" usw.. Hiroshi Sugimoto, Japan, zeigte graue Fotos von den Weltmeeren, die auf den ersten Blick monochrom erscheinen und nur aus der Nähe ihre Struktur offenbaren, eine überaus ästhetisch geschlossene Thematisierung von "global" ohne didaktischen Zeigefinger.

Anstatt alle "heissen" Themen in Zusammenhang mit Globalisierung zugleich behandeln zu wollen, hätten die Kuratoren gut daran getan, sich auf einige wenige Aspekte zu konzentrieren und diese mehr in die Tiefe gehend, und damit auch kontroversieller, zu behandeln. Weniger wäre mehr gewesen.

Doch damit soll kein endgültiges Urteil über die Biennale gesprochen sein. Die Ausstellung läuft noch 10 Wochen und es ist nur zu hoffen, daß der Effekt auf die Öffentlichkeit in Südafrika sich noch steigern wird, und daß die Biennale positive Langzeitwirkungen auf den schwierigen Übergangsprozess in Südafrika ausüben kann. Für die, die willig sind, und denen es möglich ist, die Biennale zu besuchen, ist eine intensive und kraftvolle Erfahrung garantiert. Trotz der strukturellen Probleme des Kunstsystems, von denen Johannesburg nicht frei war, bot die Biennale mehr, als jüngst ge-hypte Shows im Westen, wie etwa die Ausstellung "Sensations" der Young British Artists in London, mit ihrem hoffnungslosem eingebautem Zynismus. Und als eine mit überraschend viel Technologie bestückte Ausstellung bot die Biennale auch mehr, als die repetitiven Übungen in Technik-Determinismus bei spezialisierten Events wie Ars Electronica oder ISEA. Die Biennale von Südafrika hat zumindest das Potential, ein Zeichen in der neuen kulturellen Weltordnung zu setzen. Der Süden hat etwas zu sagen. Gehen Sie hin und hören sie zu...