Die ältesten modernen Europäer

31.000 Jahre und schon ein Homo sapiens sapiens

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Die im südmährischen Mladec gefunden Knochen früher moderner Menschen sind nachweislich 31.000 Jahre alt. Damit gehören sie zu den ältesten Funden von Homo sapiens sapiens in Europa. Und sie stellen den ältesten Fund mit einem kulturellen Umfeld dar, sprich die versteinerten Knochen lagen mit Artefakten zusammen. Die neue Datierung ist wichtig für die Frage, wann und wo der moderne Mensch nach Europa zuwanderte und wie er den Neandertaler verdrängte.

Schon lange diskutieren die Wissenschafter darüber, von welchen frühen Menschen wir abstammen. Immer mehr Anthropologen sind Anhänger der „Out of Afrika“-Theorie, die besagt, dass unsere Vorfahren sich vor maximal 200.000 Jahren in Afrika entwickelten (Echt alt) und von dort aus die ganze Welt besiedelten. Sie verdrängten die Nachkommen des Homo erectus, der in einer ersten sehr viel früheren Welle aus Afrika gekommen war.

Dazu gehörten die Peking- und Javamenschen in Asien – und die Neandertaler, deren direkte Ahnen bereits vor 150.000 Jahren den Raum zwischen dem Nahen Osten und Europa besiedelt hatten und deren Aussterben vor ungefähr 30.000 Jahren bis heute rätselhaft blieb (Rätselhafter Abgang und Neandertaler: Fand der erste Weltkrieg vor 40.000 Jahren statt?). Untersuchungen des Erbgutes heute lebender Menschen zeigten, dass der untersetzte Früheuropäer keine nachweisbare genetische Spur in uns hinterließ (Kein liebevoller Neandertaler in uns).

Alle in Mladec gefundenen Fossilien des Naturhistorischen Museum in Wien (Bild: Wolfgang Reichmann, Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien)

Wann genau der Homo sapiens sapiens in Europa auftauchte und auf welchem Weg er zuwanderte, wird noch debattiert (Out of Africa). Die Vertreter der „Out of Africa“-Theorie gehen davon aus, dass sein weltweiter Siegeszug dafür sorgte, dass alle anderen Frühmenschen verdrängt wurden und komplett ausstarben. Ein Teil der Anthropologen vertritt dagegen die multiregionale Theorie, die besagt, dass eine Vermischung der frühen Menschen stattfand und unter anderem auch der Neandertaler zu unseren direkten Ahnen gehört.

Lautscher Spitzen

Obwohl das Bild des Neandertalers als kulturloses, nur Grunzlaute ausstoßendes und keulenschwingendes Wesen längst überholt ist (Klein und knuffig, mit Muskeln und Hirn, aber wenig kreativ), diskutieren die Vor- und Frühgeschichtler immer noch, wer die ersten Künstler Europas waren. Die Debatte betrifft die Funde der steinzeitlichen Aurignacien-Kultur (ab ungefähr 35.000 vor Chr.). Ein Beispiel ist die Diskussion um die in der Vogelherdhöhle auf der Schwäbischen Alb gefundenen Elfenbeinfigürchen und Werkzeuge (Steinzeitkünstler Neandertaler?).

In einem Höhlensystem in Mladec (früher Lautsch) in Tschechien wurden Ende des 19. Jahrhunderts (1881/1882) menschliche Überreste und verschiedene Artefakte entdeckt, darunter Speerspitzen, deren Typus auch in anderen Teilen Europas auftauchte. Sie heißen nach dem Fundort: Lautscher Spitzen (Jagdwaffen der Vormenschen). Das Fundensemble der Mladec-Fossilien besteht aus Schädel, Schädelfragmenten, Kieferteilen und Zähnen sowie mehreren Skelettelementen.

Ein interdisziplinären Team von Wissenschaftern um Eva M. Wild von der Universität Wien, Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien und Eric Trinkaus von der University of Washington ist es jetzt gelungen, die Funde direkt zu datieren. Sie stellen ihre Untersuchungsergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature vor. Bisherige Versuche einer Radiokarbon-Datierung der alten Knochen waren fehlgeschlagen, die Befunde waren nicht zuverlässig. Durch die Verwendung von Zähnen als Probenmaterial konnten nun zuverlässige Datierungen durchgeführt werden.

Die Wissenschaftler setzten auf die Beschleuniger-Massenspektrometrie (accelerator mass spectrometry = AMS) und führten ihre Analysen am Vienna Environmental Research Accelerator (VERA) der Universität Wien durch. Das moderne Verfahren und die Zähne brachten den Durchbruch. "In den Zähnen war genügend organisches Material vom Schmelz geschützt worden, so dass die Bestimmung funktionierte", erläutert Maria Teschler-Nicola und ergänzt: „Die Schädelreste und Zähne sind 31 000 Jahre alt, das steht beinhart fest“.

Die datierten Funde Mladec 1 (Schädel) und Mladec 8 (Oberkiefer) (Bild: Wolfgang Reichmann, Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien)

Die sichere Datierung in die jüngere Altsteinzeit bedeutet, dass die Knochen die ältesten Komplettreste von Homo sapiens sapiens in Europa darstellen. Älter sind nur die Fossilien aus der Höhle Pestera cu Oase in Rumänien. Allerdings sind diese Funde laut Maria Teschler-Nicola sehr dürftig. Es handelt sich hauptsächlich um Kieferfragmente – Teile etwa von Gliedmaßen gibt es ebenso wenig wie archäologische Beifunde.

Die Autoren legen sich nicht ganz und gar darauf fest, dass die Lautscher Knochen von einem reinen Homo sapiens stammen, was auch am Co-Autor Trinkaus liegen mag, der ein bekannter Vertreter des Ansatzes der Vermischung der Menschenformen ist (Der Neandertaler ist Teil von uns). Generell werden die Mladec-Fossilien als vom Homo sapiens sapiens stammend eingeordnet. Maria Teschler-Nicola merkt ganz vorsichtig an:

Dennoch gibt es eine sehr kontroversielle Debatte darüber, ob ‚archaische’ Merkmale vorhanden sind, die auf eine Neandertaler-Abstammung hinweisen oder ob sie ausschließlich morphologische Merkmale des modernen Menschen zeigen.

Insgesamt wertet das Team die neuen Datierungsergebnisse trotzdem als einen Beleg dafür, dass der frühe moderne Mensch die Aurignacien-Kultur entwickelte. Eva Wild und Maria Teschler-Nicola sind sich einig: „Einen entgültigen Beweis dafür könnte eine Datierung der zum Teil aus Knochen gefertigten Artefakte bringen“. Der Beginn eines spannendenden neuen Projekts.