Die auswegslose Lage in Afghanistan

Während deutsche Soldaten und afghanische Polizeichefs bei einem Anschlag getötet wurden, starben Dutzende von Zivilisten und afghanische Polizisten bei Luftangriffen der Nato

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Die Lage der Isaf-Truppen in Afghanistan wird immer absurder und gefährlicher. Weil Truppen abgezogen werden sollen, müssen möglichst schnell möglichst viele afghanische Soldaten und Polizisten ausgebildet und eingestellt werden. Das aber macht es den Aufständischen leichter, Militär und Polizei zu unterwandern und so gezielte Angriffe auszuführen, die bei den Isaf-Truppen die Unsicherheit und das Misstrauen gegenüber den afghanischen Sicherheitskräften weiter verstärken (Afghanistan: Afghanische Sicherheitskräfte werden zu einer Bedrohung für die Zivilbevölkerung).

Das Ergebnis war wieder beispielhaft am Samstag zu sehen, als ein Selbstmordattentäter – möglicherweise waren es auch mehrere, wovon die Bundeswehr ausgeht -, der in einer offenbar gut vorbereiteten Aktion vermutlich mit einer Polizeiuniform in das Gebäude des Provinzgouverneurs von Takhar, Abdul Taqwa, gelangte, wo sich gerade eine hochrangige deutsch-afghanische Delegation traf. Bei dem Anschlag wurden die afghanischen Polizeichefs Schah Dschahan Nuri und Daud Daud sowie zwei deutsche Soldaten und mehrere afghanische Sicherheitskräfte getötet. Neben Generalmajor Markus Kneip und Provinzgouverneur Taqwa wurden vier deutsche Soldaten und weitere Afghanen verletzt.

Nicht nur wird deutlich, dass mit diesem Anschlag, kurz nach den blutigen Protesten gegen die deutschen Isaf-Truppen vor dem Camp des Provincial Advisory Team (PAT) in Talokan und nach dem Tod eines deutschen Soldaten am Mittwoch, die Lage auch in Nordafghanistan immer gefährlicher wird, sondern dass nun mit den hochrangigen Politikern, Soldaten und Polizisten auch gut geschützte Ziele erreicht werden. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag und vermehrten in der üblichen Weise die Zahl der Opfer. Für sie zeigt es den Erfolg ihrer Frühjahrsoffensive Badar und das Scheitern der Isaf-Truppen, die Situation im Norden zu stabilisieren.

Die Taliban wissen auch, dass der Norden für die Isaf als Versorgungsroute immer wichtiger wird, nachdem die Versorgungsroute aus Pakistan schwieriger wird und womöglich auch aufgrund der Spannungen zwischen Pakistan und den USA ausfallen könnte. Nach der Tötungsaktion von Bin Laden droht die pakistanische Regierung, die Versorgung über pakistanisches Territorium zu blockieren, sollten die Drohnenangriffe auf Ziele im pakistanischen Grenzland fortgesetzt werden. Die unter US-Präsident Obama massiv angestiegenen Angriffe wird man nicht einstellen, weil man dann fürchtet, dass die afghanischen und pakistanischen Taliban das Grenzgebiet wieder besser als Rückzugraum nutzen können. Die pakistanische Regierung steht mitsamt Militär und Geheimdienst unter hohem innenpolitischen Druck und muss gegenüber den USA Souveränität demonstrieren.

Auch für die deutsche Regierung wird es schwieriger, den militärischen Einsatz weiter aufrechtzuerhalten, zumal auch bei den Soldaten nach diesem Vorfall das Konzept des Partnering, also der engen Zusammenarbeit, auf stärkere Ablehnung stoßen könnte. Anders als so lässt sich aber ein Abzug nicht vorbereiten und in absehbarer Zeit realisieren, will man nicht einfach nach so langen Jahren den Taliban das Land einfach wieder überlassen. Schließlich sollen die ersten deutschen Truppen schon Ende des Jahres abgezogen werden. Die Nato-Truppen sollen 2014 das Land verlassen.

Verteidigungsminister de Maiziere gab daher allseits Durchhalteparolen aus: "Wenn wir die Sicherheit allmählich in afghanische Hände übergeben wollen, dann geht es nur so, dass wir es mit den Afghanen zusammen tun" Zudem sei auch der Angriff wohl nicht auf den deutschen General ausgerichtet gewesen, meinte de Maiziere. während Außenminister Westerwelle beteuerte, dass es keinen Grund gebe, die Strategie zu ändern, schließlich sei doch nun eine Abzugsperspektive in Sicht.

Kein Wunder, dass man auch in der afghanischen Regierung besorgt ist und behauptet, so der Sprecher von Präsident Karsai, der Anschlag sei nicht im Land geplant worden. Kritik kommt auch von afghanischen Politikern, die monieren, dass die Angriffe sich vermehren, während die Regierung mit den Aufständischen verhandle. Für die Badar-Offensive wird von afghanischer Seite auf Pakistan und dessen Geheimdienst ISI verwiesen.

In die Zwickmühle kommen allerdings die afghanische Regierung und die Isaf-Truppen auch deswegen, weil wieder einmal bei einem Nato-Luftangriff in der Provinz Helmand anstatt Aufständischer 14 Zivilisten getötet worden sein sollen, 2 Frauen und 12 Kinder. Überdies werden nicht nur Isaf-Soldaten Opfer von Angreifern aus den Reihen der afghanischen Polizisten und Soldaten, sondern das geschieht auch umgekehrt. Am Sonntag wurden durch einen Luftangriff der Isaf in der Provinz Nuristan 22 afghanische Polizisten und 20 Zivilisten getötet, die mit Aufständischen verwechselt worden seien. Präsident Karsai, der mitsamt seiner Regierung um das Überleben kämpft, verlangt wieder einmal ein Ende von einseitigen Nato-Aktionen und nächtlichen Razzien.