Die besten Strategien für Betrüger

Biologen zeigen, dass sich Betrug auf lange Sicht nur dann auszahlt, wenn er die Ausnahme bleibt

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Ein Einkaufswagen, der sich ganz unauffällig von rechts in die lange Schlange vor der Kasse schiebt. Der Handwerker, der sich einen Teil des Lohns bar und ohne Quittung auszahlen lässt. Der Vater, der seine Beziehungen nutzt, damit der Sohn an dieser renommierten Universität unterkommt. Der Kollege, der sich mit übertriebener Freundlichkeit die Beförderung sichert. Betrug hat viele Gesichter, nicht alle davon sind ungesetzlich.

Dass es sich im sozialen Sinn trotzdem um Betrug handelt, versteht wohl jeder, weil der Mensch auch einen Sinn für Gerechtigkeit besitzt. Tatsächlich ist das Leben aber nicht immer fair. Oft genug erleiden wir Nachteile, weil sich andere Menschen Vorteile verschafft haben. Da entsteht schnell die Frage nach de "warum", die man besser (weil der Betrug ja nie persönlich gemeint ist) sachlich anders stellt: Was sind die Bedingungen, unter denen sich sozialer Betrug lohnt?

Interessanterweise lohnt dafür ein Blick in die Welt der Kleinstlebewesen. Dictyostelium discoideum ist eine Amöbe wie du und ich. Normalerweise ist "Dicty", wie ihn die Mikrobiologen gern nennen, als gemütlicher Einzeller unterwegs. Etwa 10 bis 20 Mikrometer groß, besitzt er keine feste Gestalt. Er bewegt sich auf Zellausstülpungen fort, die wie Füße aussehen, indem er diese nach vorn ausstreckt und dann den Körper nachzieht. Wenn Dicty Hunger hat, stülpt er sein Zellmaterial über eine Bakterie, schließt sie ein und verdaut sie. In seinem Leben (wenn man einen Zyklus bis hin zur ersten Zellteilung so nennen kann) verspeist er auf diese Weise rund 1000 Bakterien.

Dieses ruhige Leben genießt Dicty, bis ihm irgendein Mensch mit Sagrotan die Lebensgrundlage entzieht, die Bakterien. Stellt ein Dictyostelium discoideum fest, dass im Vergleich zur Amöbendichte zu wenig Nahrung vorhanden ist (dafür hat die Amöbe einen Sinn), wird die Art plötzlich zum sozialen Wesen.

Zahlreiche Einzeller schließen sich zu einem multizellulären Organismus zusammen, bei dem unterschiedliche Zellen verschiedene Aufgaben wahrnehmen. Zunächst entsteht dabei eine nacktschneckenähnliche Formation, die durch die Gegend kriecht und einen Platz für den letzten Schritt sucht: die Ausbildung eines Fruchtkörpers mit Basis, Stiel und einem Kopf voller Sporen. Diese sind gegen Trockenheit und Wärme unempfindlich. Sobald sich die Bedingungen wieder bessern, können sie zu Dicty-Einzellern auskeimen.

An dieser Stelle ist Platz für Betrug. Denn klar ist: die Einzeller, die den Platz an der Basis oder im Stil einnehmen, werden sterben. Nur die, die sich zu Sporen umbilden, können überleben. Im Wissenschaftsmagazin Current Biology zeigen nun Forscher der Washington University in St. Louis, was dabei die erfolgreichsten Strategien sind. Das war möglich, weil Dictys natürlich nicht bewusst betrügen (sie haben ja gar kein Nervensystem), sondern ihr Verhalten von ihren Genen bestimmt wird. Einige sind dadurch kooperativ, andere sind egoistisch.

Tatsächlich fanden die Forscher heraus, dass sich keine der Strategien langfristig durchsetzen konnte. Nahm die Zahl der Betrüger überhand, musste die Ausbildung des Fruchtkörpers scheitern. Doch ausmerzen konnten die Kooperativen die Betrüger auch nicht. Denn je größer ihr Anteil wurde, desto bessere Chancen auf ein Überleben hatten die Betrüger, eben weil sie dann in der absoluten Minderheit waren. Gleichzeitig beobachteten die Forscher einen Vorgang, der sie selbst überraschte: Statt dass sich auf beiden Seiten das jeweils beste Genom durchsetzte, stieg die genetische Variabilität eher noch an. Ein "multikulturelles" System bildet offenbar die Grundlage für Stabilität - jedenfalls bei den Dictys.

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