Die dicken Kinder der Inder

Vekaufsstand in Varanasi, Indien. Bild: © Christoph Knoch

Mit steigendem Wohlstand setzt sich industriell verarbeitete Nahrung auch in ehemaligen Entwicklungsländern durch. Die globalen Nahrungsmittelkonzerne spielen dabei eine ungesunde Rolle

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Chips, Cola, Alkohol und Zigaretten haben mehrere Gemeinsamkeiten. Sie sind mit überaus hohen Gewinnen zu produzieren, haben im Gegensatz zu frischen Produkten lange Haltbarkeitsfristen und erzielen stabile Verkaufspreise. Coca Cola etwa erreicht mit Softdrinks einen Profit von einem Viertel des Bruttoerlöses - höhere Margen lassen sich allenfalls noch aus Apple-Computern und Alkoholika pressen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die globalen Nahrungsmittelriesen stets darauf bedacht sind, ihren Kundenkreis zu erweitern.

Allerdings haben ihre Produkte, reich an Salz, Zucker und Fett, gemeinsam mit Tabakwaren und Alkoholika einen kleinen Nachteil: Übermäßiger Genuss schädigt die Gesundheit. Inzwischen ist ungesunde Ernährung weltweit - und nicht mehr nur in den Industrieländern des Westens - die Hauptursache für nicht ansteckende chronische Krankheiten. Die Folgen von Chips und Cola haben damit die Unterernährung als bedeutendste Krankheitsursache abgelöst. Wo liegen die Ursachen dafür? Schmecken den indischen und afrikanischen Kindern plötzlich Fladenbrot und Tee nicht mehr?

Epidemiologen untersuchen das Phänomen schon seit einiger Zeit und haben dafür verschiedenste Gründe ausgemacht. Dazu gehört zum Beispiel die Urbanisierung. In Mumbai oder Nairobi ist der Zugang zu frischer Nahrung auch für Angehörige der Mittelschicht ungleich teurer geworden. Gleichzeitig gelingt es den verbliebenen Bauern nicht mehr, ihre Produkte direkt abzusetzen: Sie müssen ihr Geschäft aufgeben (und den Urbanisierungstrend verstärken) oder werden in die Prozesskette der industriellen Nahrungsmittel-Herstellung einbezogen.

Interessanterweise steigt der Konsum ungesunder Nahrung dabei nicht unbedingt mit dem Einkommen: Statistiken zeigen, dass auch die ärmsten der Armen davon betroffen sind - weil die Preise verarbeiteter Nahrungsmittel teilweise unter denen frischer Nahrung liegen. An sauberes Trinkwasser ist in manchen Ländern schwerer zu kommen als an "saubere" Cola.

Im Open-Access-Magazin PLoS Medicine analysiert jetzt ein internationales Forscherteam mit Hilfe offizieller Marktdaten von EuroMonitor aus 80 Staaten, wie sich der Konsum ungesunder Nahrung in den vergangenen 15 Jahren weltweit entwickelt hat. Daraus extrahierten die Forscher sechs Beobachtungen:

  1. Während im Westen der Konsum der betrachteten Produkte in letzter Zeit kaum gestiegen ist, zeichnet sich für Länder mit geringem oder mittlerem Durchschnittseinkommen ein hohes Wachstum ab. Das gilt auch für Alkohol und Tabak - setzt sich der Trend fort, werden Indien, China & Co in vier Dekaden europäisches Niveau erreicht haben.
  2. Der Zuwachs des Konsums ungesunder Nahrung liegt in den "armen" Ländern deutlich höher, als er sich in den Industrieländern jemals vollzogen hat: Hier findet eine echte Aufholjagd statt.
  3. Multinationale Nahrungsmittelkonzerne haben in den Ländern mittleren Einkommens schon ähnliche Marktanteile erreicht wie im Westen. Außer in China gehört Nestlé in all diesen Ländern zu den Top-3-Unternehmen der Branche.
  4. Der Konsum von Tabak und Alkohol hat sich parallel vervielfacht. Wo geraucht und getrunken wird, ist man auch Chips und "Cerealien".
  5. Das Wachstums des Konsums ungesunder Nahrung ist nicht unbedingt an den Wohlstand gebunden: In Ländern wie Schweden oder Südkorea ist er nicht größer als im deutlich ärmeren Brasilien.
  6. Die Länder mit dem höchsten Anteil ausländischer Direkt-Investitionen weisen auch den höchsten Verbrauch industriell hergestellter Nahrung auf. Vor allem der letzte Punkt, meinen die Forscher, deutet auf den Einfluss der globalen Nahrungsmittelkonzerne hin.