Die drei Gesichter des Mario Bava (Teil 2)

Die Bundesprüfstelle: Schmutz und Schund und wenig Sachverstand

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn die Bundesprüfstelle einen Film als „jugendgefährdend“ einstuft, hat das weitreichende Folgen: für den Film, für den Ruf des Regisseurs, für die Jugend und für die Erwachsenen. Wie sorgfältig wird eine solche Indizierung begründet? Hier eine Probe aufs Exempel.

Bei uns indiziert. Im Blutrausch des Satans von Mario Bava

Um es vorweg zu sagen: Ich mag keine Zensur, bin aber grundsätzlich nicht dagegen, dass man Kinder vor gewissen Inhalten und Darstellungsweisen schützt, die sie nicht verarbeiten können. Ich beispielsweise wäre gern vor den Nazi-Unterhaltungsfilmen geschützt worden, die in meiner Kindheit dauernd im Fernsehen liefen, weil sie angeblich so harmlos und unpolitisch sind. Aus diesen Filmen hatte man gelegentlich ein Hakenkreuz oder ein Führerbild herausgeschnitten, aber die von Goebbels verordnete Ideologie war meistens intakt geblieben. So ähnlich gilt das auch für viele harmlose Unterhaltungsfilme der 1950er Jahre, die oft auf nicht mehr realisierten Drehbüchern aus der Zeit vor 1945 basieren. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, wie sie damals noch hieß, muss da gerade andere Sachen geprüft haben, um mich zu schützen.

Bay of Blood gilt als das erste der „body count movies“ à la Freitag der 13. Das stimmt zwar so nicht, hat dem Film aber sehr geschadet. Doch warum genau ist er indiziert worden? Ich habe mich an die BPjM gewandt und kann die freundlichen Mitarbeiter dort nur loben. Ohne Probleme und sehr schnell habe ich die schriftliche Begründung dafür erhalten, warum Im Blutrausch des Satans (der damalige Videotitel) 1983 auf den Index gesetzt wurde. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man bei der BPjM etwas verbergen wollte. Nur: Falls ich den Film gut finden würde, dürfte ich das hier nicht sagen (das Werbeverbot). Ich darf mich aber kritisch mit den Gründen für die Indizierung auseinandersetzen. Das möchte ich hiermit tun.

Die Indizierung wurde im „vereinfachten Verfahren“ beschlossen. Laut Website der BPjM reicht „in Fällen offensichtlicher Jugendgefährdung“ statt des „12er-Gremiums“ ein „3er-Gremium“. Das habe ich nicht ganz verstanden. Jemand in der Behörde stellt fest, dass ein Film „offensichtlich“ jugendgefährdend ist, und dann stellen drei Leute fest, dass der Film jugendgefährdend ist? Oder, anders gesagt: Wenn sich drei Leute treffen, um unvoreingenommen (das Wort „unvoreingenommen“ kommt oft vor bei der BPjM) einen Film zu beurteilen, dann wissen sie schon, dass die Behörde den Film für „offensichtlich jugendgefährdend“ hält (sonst wären sie zu zwölft). So kann das doch eigentlich nicht gehen. Wenn das 3er-Gremium sich nicht einig ist, oder wenn es einstimmig zu dem Schluss kommt, dass ein Medium nicht jugendgefährdend ist, wird der Fall an das 12er-Gremium weitergereicht. Im Blutrausch des Satans wurde mit 3:0 für jugendgefährdend erklärt. Damit ist der Film jetzt indiziert.

Das 3er-Gremium bestand aus der stellvertretenden Vorsitzenden der BPjM, einem Verleger und einem Vertreter (einer Vertreterin) der Jugendwohlfahrt. Die Namen dieser drei Personen erfahren nur die Verfahrensbeteiligten. Die stellvertretende Vorsitzende müsste nach Lage der Dinge Frau Elke Monssen-Engberding gewesen sein, seit 1991 Vorsitzende der BPjM. Und der ungenannte Antragssteller war vermutlich irgendein Jugendamt. Das Dilemma der Mitarbeiter dort kann ich nachvollziehen. Viele von ihnen wissen heute noch nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie bei einem Kind ein „Gewalt-Video“ finden, und 1983 gab es nicht einmal in Ansätzen eine vernünftige Ausbildung in Sachen Medienkompetenz. Man ruft schnell nach einem Verbot, wenn man überfordert ist.

Aber wie steht es um die Qualifikation von Frau Monssen-Engberding? Auf der Website ihrer Behörde konnte ich nur finden, dass sie früher stellvertretende Vorsitzende war und dass sie jetzt Vorsitzende ist. Dank Google weiß ich außerdem, dass sie Jura studiert hat und früher als Referentin im Koordinierungsstab AIDS des Bundesministeriums für Gesundheit tätig war. Jura und Gesundheit: Reicht das aus, um die Wirkung von Medien beurteilen zu können? Weiß man, was jugendgefährdend ist, wenn man sich jahrelang Dinge ansieht, von denen das Jugendamt meint, dass sie jugendgefährdend sind? Von den beiden anderen Mitgliedern des Gremiums kenne ich nur vage Berufsbezeichnungen.

Noch einmal: Auch ich bin für den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Ich bin aber auch dafür, dass man berücksichtigt, was es für Folgen hat, wenn man die Kinder schützt und sich ggfs. eine andere Art des Kinderschutzes überlegt, wenn daraus eine Zensur für Erwachsene wird. Sollte ich jetzt, rein hypothetisch, schreiben wollen, dass ich Im Blutrausch des Satans für einen guten Film halte (ich spreche vom Film, nicht von dem idiotischen deutschen Verleihtitel), dürfte ich das hier bei Telepolis nicht tun. Im Internet müsste ich mir dafür ein Forum suchen (vielleicht die Website eines Pornoanbieters?), das nur für Erwachsene zugänglich ist. Denn Frau Monssen-Engberding und zwei Unbekannte haben den Film indiziert. Aber natürlich habe ich das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das garantiert das Grundgesetz.

Die Bundesprüfstelle prüft

Die andere Frage wäre dann noch, was eigentlich jugendgefährdend ist. Schlichte Ursache-Wirkungs-Muster, wie sie von der BPjM favorisiert werden, halte ich nicht für sehr schlüssig. In der Wurdalak-Episode von Bavas Die drei Gesichter der Furcht kommt Boris Karloff als Vampir zurück zum Haus seiner Familie und beißt nacheinander alle seine Kinder und Kindeskinder. Wenn die Menschen so einfach gestrickt wären, wie die Bundesprüfstelle das gern glauben möchte, könnte womöglich Herr Fritzl aus Amstetten diesen Film gesehen und daraufhin beschlossen haben, seine Tochter zu vergewaltigen und den Keller zum Kerker auszubauen. Oder sind solche Handlungen in einer Gesellschaft leichter möglich, in der man das Thema so tabuisiert und verdrängt (also wegschaut), dass die Geschichte von einem, der seine Kinder und Enkel zu Inzestopfern macht, in Form eines Vampirfilms erzählt werden muss? Letzteres halte ich für viel wahrscheinlicher.

Im Blutrausch des Satans, schreibt der Antragsteller, sei „geeignet, Kinder und Jugendliche sittlich zu gefährden“. Als Beleg wird die in der zweiten Hälfe ganz unlogische Inhaltsangabe auf der Umschlaghülle der Videokassette zitiert. Dort ist von einem „Blutrausch“ die Rede, den es im Film aber so wenig gibt wie den Satan. Kann man einen Film indizieren, weil der Videovertrieb sich einen dämlichen Titel ausgesucht hat, den er für werbewirksam hält und dazu noch ein paar dumme Sätze zum Inhalt geschrieben hat?

Der Antragsteller listet 13 Morde auf, die in dem Film begangen werden, mit Todesart und Minutenangabe. Diese Liste dürfte ich, meines Wissens nach, hier nicht veröffentlichen, weil sich die Jugend mit ihrer Hilfe noch schneller in eine sittliche Gefährdungslage begeben könnte. Man muss aber sagen dürfen, dass es diese Liste überhaupt nur gibt, weil es diese Behörde gibt, bei der man eine Indizierung beantragen kann. Die BPjM, die mir freundlicherweise die schriftliche Begründung zugeschickt hat, braucht sich trotzdem keine Sorgen zu machen. Ich bin dafür, dass man Filme als Ganzes betrachtet und die einzelnen Elemente im Kontext sieht, statt sie aus dem Zusammenhang zu reißen und sich auf irgendwelche „Stellen“ zu konzentrieren. Eine Anleitung zum falschen Sehen wie diese Liste des Antragstellers würde ich nie veröffentlichen.

Am interessantesten an der Liste finde ich die Minutenangaben. Warum macht der Antragsteller das eigentlich? Wollte er dem 3er-Gremium die Arbeit erleichtern, indem er diesem sagt, wohin es spulen muss, um die Morde zu finden (und sich den Rest des Films sparen kann)? Fast könnte man den Verdacht haben, dass das 3er-Gremium es genau so gemacht hat. Gleich zu Beginn des Films, schreibt das Gremium, wird eine Gräfin ermordet – „von einer unbekannten Person“. Dann, so das Gremium, wird der Mann der Gräfin ermordet. Das ist aufschlussreich. Der „unbekannte“ Mörder der Gräfin und der Mann der Gräfin sind ein und dieselbe Person. Das weiß man, wenn man den Film ganz gesehen hat. Das Gremium scheint es nicht gewusst zu haben. Ich will hier nichts unterstellen, möchte aber doch hinzufügen, dass man die eheliche Verbindung zwischen der Gräfin und ihrem Mörder weder dem Antrag noch der darin zitierten Inhaltsangabe entnehmen kann, sondern nur dem Film selbst.

Mord als „erfolgreiche Handlungsweise“

Auch der Antragsteller scheint die Zusammenhänge nicht ganz durchschaut zu haben. Am Anfang tötet ein Mann seine Frau und wird dann selbst getötet. Damit ist eines der Strukturprinzipien des Films beschrieben: Wer tötet, wird ebenfalls getötet, bringt sich also quasi selber um. Deshalb wundere ich mich über diesen Satz des Antragstellers: „Mord wird als erfolgreiche Handlungsweise miterlebt.“ Das gilt allenfalls für diejenigen unter uns, die endlich auf brutale Weise getötet werden wollen. Der Satz, fürchte ich, steht da so, weil solche Sätze zu einer Indizierung führen. Mit dem Film hat er nichts zu tun. Dem 3er-Gremium ist dieser eklatante Fehlschluss in der Begründung des Antragstellers nicht aufgefallen, oder zumindest findet sich nichts davon in der Indizierungsentscheidung. Da steht, dass die Bundesprüfstelle mit Blick auf „die Jugendlichen schlechthin, einschließlich der gefährdungsgeneigten, ausgenommen Extremfälle“ entscheidet. Man muss aber ein – ausdrücklich ausgenommener – Extremfall sein, um die Morde in Bavas Film als „erfolgreiche Handlungsweise“ mitzuerleben. Indiziert wurde trotzdem. Darf man daraus schließen, dass die BPjM „die Jugendlichen schlechthin“ für todessehnsüchtige Masochisten hält?

Seit Jahrzehnten wird unablässig zu den Auswirkungen von Gewaltdarstellungen in den Medien geforscht, und die Ergebnisse werden immer komplexer, statt einfache Verbindungen zwischen Ursache und Wirkung nachzuweisen, wie Politik und Jugendschutz das gerne hätten (die „Erkenntnisse“ der Lerntheorie, auf die sich die BPjM in ihrer Entscheidung beruft, galten schon 1983 als eher schlicht). Die Indizierung eines Films aber hat weitreichende Folgen, auch für Erwachsene. Er darf nicht mehr offen beworben und verkauft werden, wird in eine Schmuddelecke gedrängt und stigmatisiert. Ich bin ein staatlich geprüfter Fachmann (das kann ich mit diversen Universitäts-Urkunden belegen), dürfte hier aber nur dann meine Beurteilung des Films veröffentlichen, wenn ich ihn schlecht finden würde.

Wenn ich mir den Film kaufen möchte, muss ich das im Ausland tun oder, z.B., im „18er-Bereich“ von filmundo.de, wo Begriffe wie „uncut“ und „indiziert“ längst zu Qualitätsmerkmalen mutiert sind und den Preis erhöhen. Sind das wirklich die Kriterien, nach denen wir Filme beurteilen wollen? Staatsanwälte nehmen eine Indizierung gern zum Anlass, den betroffenen Film zu beschlagnahmen. Im Blutrausch des Satans ist das, unter wechselnden Titeln, im letzten Jahrtausend genauso passiert wie in diesem. Mag sein, dass den Erfordernissen des Jugendschutzes alles andere (etwa Kunst- und Meinungsfreiheit) untergeordnet werden muss. Wenn das aber die Konsequenzen sind, dann erwarte ich von der zuständigen Bundesbehörde, dass sie den beanstandeten Film so genau prüft wie irgend möglich und ihre Indizierungsentscheidung fundiert begründet, statt irgendwelche Textbausteine aneinander zu reihen. Das ist das Mindeste.