Die dunkle Seite der Macht

Ein Imperium zur Geldwäsche?

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Die vor einigen Wochen in meinem Artikel Matrix Kohl befürchtete dunkle Seite der Macht tritt nach 16 Jahren Regentschaft Kohls nun immer stärker zu Tage. Ein mögliches Schattenreich der Geldwäsche, welches sich in Konturen abzeichnet, macht eines deutlich, dass viele Politiker heutzutage nicht weniger korrupt sind als die immer so verteufelte Mafia. Das geflügelte Wort lautet heute nicht mehr "Wo ist Behle?", sondern "Wo ist die Spende?"

Was sich der Altkanzler dabei gedacht hat, ein scheinbar ausgeklügeltes Spendengeldwäschesystem aufzubauen, wird immer offensichtlicher: Es ging ihm immer nur um die Strategie des Machtaufbaus, des Machterhalts und der Machtverteidigung. Dieses Prinzip hat Kohl, der im Stile Darth Vaders (der dunklen Seite der Macht in den Star Wars-Filmen) agiert, seit jeher praktiziert.

Wer immer an Kohl rummäkelte und seinen Denkmalsaufbau behindern wollte, wurde aus dem Amt entfernt oder von einem ausgeklügelten Beziehungssystem aus sämtlichen wichtigen Entscheidungsprozessen gedrängt. Der Fall Kohl erinnert stark an den des italienischen Politikers Bettino Craxi, der gestern in Tunesien verstarb. Ebenso wie dieser könnte Kohl zum Symbol einer am Horizont erkennbaren zusammengeflickten "Schmiergeldrepublik" avancieren. Doch selbst ohne diese Aussicht, lässt sich bereits heute über die "Episode Kohl" konstatieren: Kein demokratisch gewählter Politiker in Deutschland dürfte bisher tiefer gefallen sein wie der Rekordkanzler.

Wie tief ist der Abgrund?

Wolfgang Schäubles Auftreten als Jedi-Ritter, der die Partei retten soll, ist zwar nicht unproblematisch, jedoch scheint eine führungslose Partei noch viel weniger in der Lage zu sein, den Parteispendensumpf trockenzulegen. Dass Kohl sich dessen bewusst ist und scheinbar immer noch im Hintergrund die Fäden zieht, wird dadurch sichtbar, dass er mit Schäuble die einzige Führungskraft, die die Selbstreinigung innerhalb der Partei pushen kann, mit seinem Old-Boys-Netzwerk aushebeln wollte. Der jetzt vollzogene Bruch zwischen der CDU und ihrem Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl lässt vermuten, dass der Gipfel der Enthüllungen und Entgleisungen ehemaliger Regierungsmitglieder noch längst nicht erreicht ist.

Die kriminelle Energie, mit der die CDU über Jahre hinaus die Öffentlichkeit getäuscht hat, sucht ihresgleichen in der demokratischen Tradition westeuropäischer Staaten. Spätestens jetzt wird erkennbar, dass es kein Denkmal Kohl geben kann, von dem man diesen stürzen könnte. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen immer deutlicher, dass Kohl und Kanther mit ihren Machenschaften der CDU schwersten Schaden zugefügt haben. Kohl selbst lässt durch sein Schweigen immer neue Spekulationen über das Ausmaß dieser mittlerweile größten Staatsaffäre in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aufkommen. Sein selbst auferlegtes Schweigegelübde dient möglicherweise als Schutz vor Enthüllungen, die eine noch viel größere Dimension als das bisher schon Bekannte annehmen könnten.

Ist alles nur eine Ablenkungsstrategie?

Fast täglich muss CDU-Chef Wolfgang Schäuble, dem die Führungsgremien am Dienstag ihr Vertrauen aussprachen und sein Rücktrittsangebot ablehnten, neue Millionensummen einräumen, deren Herkunft nicht geklärt werden kann. Gestern waren es circa 8 bis 10 Millionen DM, wie viele werden es morgen sein? Doch vielleicht sind die Spenden nur das geringste Übel und der eigentliche Skandal liegt noch im Verborgenen, da sich bis jetzt nur ein Bruchteil des Kohlschen Imperiums durchschauen lässt. Sollte es sich bei den ganzen Finanztransaktionen, nur um ein Ablenkungsmanöver von einem noch weitergehenderen Skandal handeln, nämlich der systematischen Bestechung wichtiger Entscheidungsträger dieser Republik? Könnte es sein, dass nicht nur im Falle der Elf Aquitaine selbst die Institution Treuhand zu einer riesigen Geldwaschanlage umfunktioniert wurde?

Nichts, aber auch gar nichts, ist mittlerweile mehr auszuschließen, da die Affäre um Schmiergeldzahlungen und Subventionsbetrug beim Verkauf der maroden ostdeutschen Leuna- Raffinerie im Jahre 1992 immer größere Kreise zieht. Es steht fest, dass der Verkauf der Raffinerie "Chefsache" des Aktenvernichters Helmut Kohl war und von der Treuhand abgewickelt wurde.

Wo bleibt der Neuanfang?

Wenn sich das Finanzgebaren der CDU als Geldwäsche im großen Stil offenbaren sollte, so wird trotz der jetzigen Bemühungen Schäubles am Ende der ganzen Affäre ein völliger Neuanfang innerhalb der Partei mit völlig unbelasteten Personen unumgänglich sein. Ein Rücktritt des gesamten Parteivorstandes wird die notwendige Katharsis sein. Ob Kohl von seinem Bundestagsmandat zurücktritt oder nicht, ist eigentlich nicht mehr wichtig, da erstens die Zahl der Parlamentarier eh viel zu groß ist und zweitens Kohl sich vorläufig sowieso nicht im Bundestag blicken lassen dürfte, da er dort eh nur Hohn und Spott ernten würde.

Die SPD muss jedoch davor gewarnt werden, sich nunmehr in selbstherrlicher Pose, selbst als Gralshüter zu beweihräuchern, da sie ebenfalls keine reine Weste besitzt, wie die Affairen Hombach und Rau verdeutlichen. Es bleibt das flaue Gefühl, dass die Politik in Deutschland sich am Scheideweg befindet - ihr Marktwert ist nach betriebswirtschaftlichen Kriterien auf ein derart tiefes Niveau gesunken, dass eine Reduzierung des Stammkapitals unumgänglich erscheint.

Worin besteht die Chance?

Der politische Kapitalschnitt besteht in der Verschlankung und Erneuerung der Demokratie im Sinne der neuen Medien. Elektronische Demokratie, basisdemokratisches Management und Echtzeit-Voting sind nur einige Schlagworte, die einen Trendwechsel hin zu mehr Demokratie und weniger Bürokratie einleiten könnten. Wenn das Internet für mehr Transparenz in den Märkten sorgt, so sollte dies auch in den Parlamenten und Parteien geschehen. Vielleicht erweist sich bei genauerem Hinsehen diese Krise als Chance, das verknöcherte System Bundesrepublik Deutschland zu einem offenen Interface umzugestalten, welches die Worte Pluralität, Multikulturalität und Freundlichkeit gegenüber Fremden zu einer neuen Tugend werden lässt. Die heutige Internet-Generation wird jedenfalls nicht mehr tatenlos zusehen, wenn Politiker sie ihrer Zukunftschancen berauben. Es ist an der Zeit, die Demokratie zu erneuern, wenn die Freiheit erhalten bleiben soll. Die magischen Kanäle der neuen Medien könnten der neue Yoda der Politik werden. Vielleicht ist dies das Geheimnis der Verständnisses von McLuhans Satz: "The Medium is the message!".