Die gemeinsame Sprache der Musik

Trotz aller kulturellen Unterschiede lassen sich in der Musik Strukturen nachweisen, die weltweite Gültigkeit haben

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Der Mensch ist als Spezies durchaus ungewöhnlich. Anders als etwa bei Hunden oder Pferden ergeben sich Unterschiede von Exemplar zu Exemplar kaum aus der genetischen Ausstattung. Vielmehr hat sich beim Homo sapiens sapiens die Kultur zum wichtigsten Differenzierungsmerkmal entwickelt. Musik, als ein wesentlicher Teil der Kultur, bildet da keine Ausnahme. Klassische, westliche Musik hat mit afrikanischen Klängen oder fernöstlichen Rhythmen überraschend wenig Überschneidungen.

Ob es eine universelle Grundlage der Musik gibt, ist unter Forschern deshalb bislang umstritten. Einige gehen sogar so weit, als einzige Gemeinsamkeit die Tatsache anzunehmen, dass fast jeder Mensch Musik produziert. Einige der als universell vermuteten Features ergeben sich aus der Verbindung von Musik und Leben. Ein gleichförmiger Takt wird zum Beispiel als Voraussetzung dafür angenommen, dass eine Gruppe von Menschen sich dazu bewegt. Musik ohne einen solchen Takt hingegen dürfte vorzugsweise nicht in der Gruppe entstanden und konsumiert worden sein.

Aber solche Überlegungen stoßen nicht zum Kern der Frage vor, es handelt sich gewissermaßen um Randbedingungen. Zwar gab es bereits einige interkulturelle Studien, die etwa Gemeinsamkeiten westlicher Musik mit fernöstlichen Stücken gezeigt haben, doch eine wirklich umfassende Untersuchung fehlte bisher. Die liefert nun ein internationales Forscherteam aus Japan und Großbritannien in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS).

Eine Gruppe von Shishi-Odori-Tänzern - japanischen Volkskünstlern, die singen, trommeln und akrobatische Tänze aufführen (Bild: Hiro Ugaya)

Die Wissenschaftler haben dazu 304 Musikbeispiele aus der Garland Encyclopedia of World Music statistisch analysiert. Diese enthält Aufnahmen aus allen Teilen der Welt, die nicht nur den typischen Stil der jeweiligen Region abbilden, sondern auch wichtige Abweichungen davon. Tatsächlich ist es offenbar so, dass die Unterschiede innerhalb einer Kultur oft genug größer sind als zwischen zwei Kulturen. Deshalb wäre es verkürzend, jeweils nur den typischen Stil einer Region zu analysieren.

32 Features

Zu den 304 Musikstücken entwickelten die Forscher 32 Eigenschaften, deren statistische Häufigkeit sie maßen. Dazu gehören etwa Rhythmus und Tonhöhe, aber auch Struktur (mit Refrain oder ohne...), Aufführungsstil (wie wird gesungen?) und Aufführende (wer singt?). Bei der Analyse berücksichtigten die Forscher zudem den Verwandtschaftsgrad ihrer Proben, um eine Über-Repräsentation bestimmter Features auszuschließen.

Das Ergebnis ist eine Weltkarte für jedes der 32 Features. Dabei stellte sich heraus, dass keine allumfassende Gemeinsamkeit der weltweiten Musikkulturen existiert. Es gibt jedoch statistisch signifikante Merkmale, die in sehr vielen Musikstilen nachweisbar sind.

Eine Blaskapelle begleitet eine Tanzdrama-Gruppe während eines Volksfests in einer Straße in San Agustín de Cajas (Peru) (Bild: Joshua Katz-Rosene (CUNY)

Das beginnt bei der Aufführungsweise: Weltweit kommt es überdurchschnittlich häufig und in allen betrachteten Regionen vor, dass Musik entweder von Männern oder Frauen, aber nicht gemischtgeschlechtlich aufgeführt wird - wobei die Aufführung durch Männer bei weitem dominiert. Die Tonbildung erfolgt in der Regel in diskreten Tönen, die mit unterschiedlichem Abstand auf Skalen angeordnet sind und sich in Oktaven von sieben oder weniger Stufen anordnen lassen.

Meist basiert Musik auf einem gleichmäßigen Takt in Vielfachen von zwei oder drei Schlägen. Überrascht hat die Forscher, dass auch das Singen in Silben (also eine neue Silbe pro Note) zu den weltweiten Gemeinsamkeiten gehört. Interessant fanden die Wissenschaftler zudem auch, dass menschliche Musik damit überraschend viele Gemeinsamkeiten mit den Liedern der Singvögel hat. Unsere Verwandten im Affenreich hingegen besitzen diese Fähigkeiten nur in Ansätzen.