Die große Flut

Reiche Ausbeute für Windkraftanlagen (blau) ab dem 6. Januar. Die Grafik sollte allerdings nur als Näherung verstanden werden. Am 9. Januar waren die Erträge nach den Daten der Strombörse deutlich höher als hier dargestellt, an den darauf folgenden Tagen dafür etwas niedriger. Bild: Agora Energiewende

Die Energie- und Klimawochenschau: Von heftigen Winterstürmen, neuen Windkraft-Rekorden, historischen Sturmfluten und guten Nachrichten aus China

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Mächtig stürmisch ist es seit Ende letzter Woche über der Nordsee und nach den Prognosen der Meteorologen soll es noch einige Tage so weiter gehen. Zeitweise zeigte die Karte des Deutschen Wetterdienstes Unwetterwarnungen für die ganze Republik.

Noch stärker toben die Orkane allerdings über den Färöern und Schottland. Schon am Freitagmorgen zog Sturmtief "Elan" mit Hurrikan-Stärke über den Norden Schottlands und sorgte dort unter anderem dafür, dass die Stromversorgung für 70.000 Menschen unterbrochen wurde.

Am Wochenende bescherten "Elon" und sein Nachfolger "Felix" dann der deutschen Nordseeküste die erste Sturmflut des Jahres, die jedoch glimpflich verlief. Zu einer für wirklich gefährlichen Flut gehört nämlich neben den Orkanen, an denen es derzeit keinen Mangel hat, noch das richtige Timing. Zum einen muss der Sturm längere Zeit von Nordwest Wasser in die Deutsche Bucht drücken und dann idealer Weise auf West drehen. Das war bisher nicht der Fall. Der Wind blies die meiste Zeit von West. Außerdem ist die Mondphase nicht unwichtig. Bei Voll- und Neumond, wenn Erde, Sonne und Mond auf einer Linie stehen, sind die Gezeitenkräfte am stärksten und entsprechend die Wasserstände am höchsten. An der Küste spricht man dann von Springflut oder Springtide. Der Sturm traf die Küste jedoch einige Tage nach Neumond. So wurden dann die Höchstmarken deutlich verfehlt. Auf Sylt wurden dennoch etliche Meter Dünenlandschaft weggerissen.

Für die Windkraftanlagen bedeuten die Stürme derweil reichliche Ernte. Zwar werden die Rotorblätter bei zu starker Belastung aus dem Wind gedreht, insgesamt hat es in den letzten Tagen jedoch rekordverdächtige Mengen an Windstrom gegeben. Der Januar ist noch nicht einmal halb rum und gehört bereits zu den zehn ertragreichsten Monaten in der Geschichte der deutschen Windkraftnutzung. Spitzenreiter ist bisher der Dezember 2014, aber der Januar hat bisher gute Chancen diesen noch zu überbieten.

Auch ein neuer Tagesrekord wurde am Wochenende aufgestellt. Nach den Daten der Strombörse wurden am Freitag letzter Woche zwischen 16 und 17 Uhr durchschnittlich rund 31 Gigawatt (GW) Windleistung eingespeist. Nach Ansicht der Agora Energiewende (siehe obige Grafik) war es allerdings deutlich weniger. Offensichtlich hat man dort derzeit Probleme, die Daten der Strombörse richtig aufzubereiten.

Neue Inseln

Angesichts der derzeitigen Stürme ist es vielleicht angebracht, an einen Jahrestag zu erinnern: Am 16. Januar jährt sich "De Grote Mandrenke" ("Das große Ertrinken"), bei dem 1362 an den Küsten der Nordsee mindestens 25.000 Menschen ums Leben kamen, sehr viel Land verloren ging und neue Inseln entstanden. Zum Beispiel wurde Sylt durch diese Flut von Festland getrennt.

Weil der 16. Januar im damals noch katholischen Nordeuropa als Namenstag des heiligen Maracellus galt, wird diese Flut auch die Zweite Maracellusflut genannt. An der schleswig-holsteinischen Küste hat sich jedoch eher die niederdeutsche Bezeichnung "De Grote Mandrenke" gehalten. Auch in Dänemark, zu dem Nordfriesland bis 1864 gehörte, spricht man von "Den Store Manddrenkning".

Die erste Marcellusflut war am 16. Januar 1219 mit etwa 36.000 Todesopfern laut Wikipedia sogar noch verheerender gewesen, beschränkte sich aber weitgehend auf Westfriesland und Groningen im Osten der Niederlande. Die Flut von 1362 hat sich hingegen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, weil sie den Küstenverlauf radikal veränderte.

Karte Nordfrieslands von Johannes Mejer, Mitte des 17. Jahrhunderts. Bild/gemeinfrei

Links auf der Karte ist der Küstenverlauf von 1651 zu sehen. Sylt ist seiner heutigen Form bereits sehr ähnlich, darunter liegen Amrum und Föhr, letzteres noch deutlich größer als heutzutage. Südöstlich davon, nördlich der Halbinsel Eiderstedt, ist die im Oktober 1634 weitgehend untergegangene Insel Strand eingezeichnet. Der rechte Teil der Karte stellt eine Rekonstruktion des Küstenverlaufs vor der "Groten Mandrenke" dar. Man beachte zum Beispiel links unten, dass Helgoland zu jener Zeit noch eine große Insel unmittelbar vor der Küste war. Heute gilt sie als Deutschlands einzige Hochseeinsel.

Raubbau

Die Ursachen für die große Sturmflut und den erheblichen Landverlust sind vielfältig und haben mit dem Klimawandel und seinen Folgen nur insofern zu tun, als sie Einblick in einige Mechanismen und einen Ausblick auf etwaige Folgen eines künftigen Meeresspiegelanstiegs geben.

Erstens war das Land an der Nordsee zu dieser Zeit nur sehr unzureichend befestigt. Zweitens war der Meeresspiegel im Mittelalter im globalen Mittel zwar weitgehend konstant, lokal hob er sich aber. Die Halbinsel Jütland, zu der Schleswig-Holstein gehört, liegt im tektonischen Einzugsgebiet der einstigen Eiszeitgletscher. Während dort, wo diese einst lagen, nämlich auf Skandinavien und der heutigen Ostsee, der Untergrund noch immer aufsteigt, sinkt er im Umfeld. Die Null-Linie dieser sogenannten postglazialen Hebung verläuft vor der Ostküste Schleswig-Holsteins. Westlich davon sinkt das Land also, womit der lokale Meeresspiegel an der Westküste um etwa einen Millimeter pro Jahr steigt.

Drittens lagen auf dem heutigen Marschland und Wattenmeer Schichten von Torf, die aufgrund häufiger Überschwemmungen viel Salz enthielten. Das war zu dieser Zeit in Europa ein begehrtes und daher kostbares Konservierungsmittel. Der Torf wurde daher im großen Maßstab abgebaut und verbrannt. Die Asche mit dem in ihr konzentrierten Salz wurden in einen großen Topf mit Meerwasser getan und so eine stark salzhaltige Sole erzeugt. Die wurde dann so lange gekocht, bis das Salz übrig blieb, was sich zu einem guten Preis verkaufen ließ.

Das war offensichtlich ein einträgliches Geschäft, aber die langfristigen Folgen waren verheerend: Das Land hinter den für heutige Verhältnisse äußerst dürftigen Deichen lag kaum noch über dem Niveau des Meeres und oft genug auch darunter. Größere Sturmfluten hatten also ein leichtes Spiel und rissen meist auch noch die Reste des Torfs weg, womit das Land endgültig ans Meer verloren war.

In den Fluten ging auch das später in den Erzählungen mystisch verklärte Rungholt unter. Das Salzgeschäft hatte es zu einem außergewöhnlich wohlhabenden und aufstrebenden Küstenstädtchen gemacht. Seine Spuren werden heute im Watt nördlich von Eiderstedt vermutet.

Sturmflutmarken im Hafen von Husum. Das Bild wurde zur besseren Lesbarkeit bearbeitet. Bild: Wolfgang Pomrehn

Das setzte sich in späteren Jahrhunderten fort, wie die obige Karte anschaulich zeigt. Der nächste große Einschnitt erfolgte an der nordfriesischen und dithmarscher Küste am 11. Oktober 1634 mit der zweiten Groten Mandrenke, auch Burchardiflut genannt. Die Schätzungen gehen von 8.000 bis 15.000 Todesopfern aus. Bei dieser Flut ging zum Beispiel die Insel Strand größten Teils unter. Nur das heutige Pellworm und die ehemalige Insel Nordstrand blieben übrig. Letzteres ist mittels Landgewinnung seit einigen Jahrzehnten inzwischen Teil des Festlandes.

Übrigens: Die obigen Karten zeigen auch, dass der globale Meeresspiegel im europäischen Mittelalter keineswegs wesentlich höher als heutigen Tags gewesen sein kann. Das müsste aber der Fall gewesen sein, wenn, wie eine beliebte Legende der Denial-Industry besagt, Grönland zu dieser Zeit eisfrei gewesen wäre. Auf der weltgrößten Insel ist heute nämlich so viel Wasser in Form von Eis gespeichert, dass ohne diese Gletscher der Meeresspiegel im globalen Mittel um etwas mehr als sieben Meter höher läge.

Kohleverbrauch leicht rückläufig

Und zuletzt die gute Nachricht der Woche. Die australische Zeitung Sydney Morning Herald berichtet, dass es um Chinas Pläne für einen massiven Aufbau einer Vergasungsindustrie für Kohle schlecht bestellt ist. Bei den chinesischen Energieplanern habe ein Umdenken eingesetzt. Grund seien nicht nur ökonomische und technische Probleme der ersten fertig gestellten Anlagen, sondern auch der hohe Ausstoß an Treibhausgasen und der nicht minder kritische Wasserbedarf.

Die meisten Kohlevorkommen Chinas liegen in Regionen im Norden und Westen in denen Wasser eher knapp ist. In einem im September veröffentlichten Bericht über die in den westlichen Provinzen prioritär zu entwickelnden Industrien tauche die Kohlevergasung nicht mehr auf, obwohl sie in einem ersten Entwurf noch zu finden gewesen sei. Das würde bedeuten, dass entsprechende Anlagen nicht mit Steuerrabatten oder ähnlichen Anreizen rechnen können. Für den neuen Fünfjahresplan sei außerdem vorgesehen die meisten entsprechenden Projekte einzufrieren. Lediglich einige Werke, die bereits im Bau seien, allen noch fertig gestellt werden.

Die Zeitung berichtet außerdem unter Berufung auf chinesische Greenpeace-Mitarbeiter, dass Chinas Kohleverbrauch 2014 zum ersten Mal seit langem leicht rückläufig gewesen sein könnte. Dazu passen auch die statistischen Daten für die Stromproduktion in den ersten elf Monaten 2014. Demnach hat diese zwar weiter zugenommen (plus 3,7 Prozent, womit der Strombedarf inzwischen deutlich langsamer als die Wirtschaftsleistung wächst, sich die Effizienz als erhöht.), der Beitrag aus den Kohlekraftwerken ging allerdings etwas zurück. Das wäre wirklich mal eine gute Nachricht fürs Klima.

Und ganz zum Schluss schließlich noch ein Lesetipp: Volker Quaschning von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik erklärt in einem Beitrag für die Zeitschrift neue energien, weshalb die neuen Höchstspannungstrassen vor allem den Kohlekraftwerken nutzen, der Energiewende eher schaden und wie diese statt dessen dezentral ausgelegt werden müsste.