Die mit den Schiiten tanzen

Kandidatenwirrwar um den Posten des irakischen Ministerpräsidenten

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Die irakische Gleichung bleibt schwierig: während der UN-Gesandte Brahimi mit Bremer und dem Bush Emissär Blackwill eine ausbalancierte Geometrie der Übergangsregierung ausheckt, zeigen widersprüchliche Meldungen, dass man von harmonischen Kongruenzen der verschiedenen Interessen noch ziemlich entfernt ist.

So wurde bis zum frühen Nachmittag heute von "gut informierten offiziellen Kreisen" ein aussichtsreicher, wenn auch nach eigener Bekundigungen etwas reservierter Kandidat für den Posten des irakischen Ministerpräsidenten in einer zahlreich zitierten Meldung ausgerufen, um dann von wieder anders gut informierten offiziellen Kreisen als Anwärter für den wichtigsten Posten deutlich dementiert zu werden.

Die Rede ist von Hussein Sharihstani, der, wenn man ihm den Posten anböte, ihn auch pflichtschuldig übernehmen würde, obwohl er seinem Land lieber weiter auf "humanitäre Weise" dienen wolle.

Natürlich drückten alle Berichte den Vorbehalt aus, dass Brahmini die endgültigen Nominierungen erst in der nächsten Woche bekannt geben würde, aber Shahristani wurde einvernehmlich als aussichtsreichster Kandidat gehypt.

Shahristani ist ein dissidenter Nuklearwissenschaftler, der sich offen gegen das Atomwaffenprogramm Saddam Husseins ausgesprochen hatte und deswegen mehr als zehn Jahre in einer Einzelzelle des berüchtigten Abu Ghuraib-Gefängnisses eingesperrt war, ehe ihm 1991 die Flucht gelang.

Da er als "Technokrat" bislang nicht mit politischen Karriere-Ambitionen in Erscheinung trat, aber durch seine Arbeit im humanitären Feld über gute Kontakte zu politischen Kräften verfügt, erfüllt er die Kriterien Brahminis (vgl. "Sie sind nicht glücklich, dass sie besetzt sind") für die Mitglieder der geschäftsführenden Regierung, die bis zu den Wahlen im nächsten Jahr im Amt sein soll. Shahristani gilt als gemäßigter Schiit und er hat einen Freund, an dessen Gunst den Amerikanern viel liegt: Großayatollah Ali Sistani.

Wie Sistani steht auch Shahristani, der viele Jahre im Exil in Iran verbracht hat, der amerikanischen Besatzung sehr skeptisch gegenüber: er habe seine Zweifel, ob die Amerikaner die "irakische Wirklichkeit" verstünden, kritisierte er Anfang des Jahres die Politik von Paul Bremer.

Vor dem Irak-Krieg gehörte Shahristani allerdings zu denjenigen, welche die These der versteckten Massenvernichtungswaffen im Irak stützten. In der berühmten CBS-Sendung "60 Minuten" sprach er im Februar 2003 noch die Vermutung aus, dass Saddam Massenvernichtungswaffen in Tunnels versteckt haben könnte, die für eine Untergrundbahn in Bagdad vorgesehen waren, die nie gebaut wurde. Zugleich warnte er die Amerikaner jedoch mehrfach vor den ernsthaften Konsequenzen, die ein Angriff auf den Irak und eine Besatzung nach sich zögen. Jubelnde Iraker prophezeite Shahristani den Amerikanern nicht.

Wie sehr sich Shahristani über die amerikanischen Unschlüssigkeiten freut, die seine Präferenz für das humanitäre Engagement zuungunsten des politischen wohl bestärken dürften, wussten die gut informierten Kreise bis zum frühen Abend noch nicht.