Die neue Freiheit der Grünen

Annalena Baerbock auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen, 2018. Screenshot, Video YouTube

Mit der "Maßlosigkeit des Optimismus": Durch Annalena Baerbock und Robert Habeck wird linksliberale Politik in Deutschland plötzlich zu einer Option

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Die Grünen müssen auch eine linke Partei bleiben und sein. Sie gehören meiner Auffassung nach klar ins linke Lager.

Hans-Christian Ströbele, am 27.1.18 auf Phoenix

Endlich: Die Grünen schaffen den Befreiungsschlag aus der Selbstlähmung der letzten Jahre, und finden eine politische Stoßrichtung. Die Wahl des neuen Bundesvorstands und die Satzungsänderungen bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hannover bedeuten mehr als Parteiroutine. Beides steht für einen Generationswechsel und damit verbunden für einen Neuanfang der Partei, für die Justierung der eigenen Grundwerte in Bezug auf die Fragen der Gegenwart des 21. Jahrhundert.

Weniger Fixierung auf Ökologie, dafür mehr Beachtung der sozialen Frage, keine altbackenen Flügelkämpfe, sondern ein Bild der Gesellschaft in Gegenwart und die Fragen der Zukunft - das stand im Zentrum des Parteitags

Mit einem Mal sehen die Grünen nicht mehr schwarzgrün aus, sondern frisch. Im Verhältnis dazu wirken die sich in Parteiauseinandersetzungen und internen Kämpfen verzettelnden Linke und SPD alt, müde, von gestern. Die Grünen sind die letzte handlungsfähige progressive linke Partei und schicken sich an, die neue Volkspartei einer linken Mitte zu werden.

"Wir haben existentielle Zeiten"

Es geht in der Politik eben auch um Charisma, um gutes Aussehen, um Emotion, darum, den guten Ideen und richtigen eine konkrete Gestalt und ästhetische Form zu geben. Da können auch die Grünen noch bei sonst-wie-vielen MeToo-Kampagnen mitmachen und Gendermainstreaming-Kurse besuchen - es geht um Sexyness.

Und wenn man dann, wie Robert Habeck, auch noch etwas Subtantielles zu sagen hat, das über den Tag hinaus führt, und man es in eine einfache Sprache fassen kann, dann stehen einem alle Türen und Parteiohren offen.

Vor allem die Kandidatenrede des schleswig-holsteinischen Ministers für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung Robert Habeck sorgte in ihrer für Politikveranstaltungen heute ungewöhnlichen Art für Aufsehen. Der linke Partei-Dino Hans-Christian Ströbele bezeichnete sie später als eine "nachdenkliche, fast philosophische Rede", Habeck sei sich der Tradition der Grünen bewusst: "Da war vieles Richtige drin, vieles was ich selbst erlebt habe."

Habeck, studierter Philosoph, bot eine kurze einfache Rede, in der es ihm gelang, trotzdem sehr viel zu sagen.

"Wir haben existentielle Zeiten. Menschen sind auf der Flucht und sie werden vertrieben, und sie verrecken im Mittelmeer. Und wir sind Teil davon." Das spiegele sich in der Lähmung der deutschen Verhältnisse. Die Schwierigkeiten der Jamaika- und GroKo-Regierungsbildung seien kein Zufall, sondern Symptom einer grundsätzliche Kluft zwischen dem Gefühl in der Gesellschaft, dass etwas Altes zuende geht, dass etwas Neues beginnen muss, "aber das Neue noch keinen Namen hat, keinen Begriff hat, keinen Umriss hat", und einer Verhaltensstarre der Politik, die in Ritualen gefangen ist, und nicht über den Augenblick hinausdenkt.

"Deswegen kommen wir ins Spiel" - die Grünen müssten an die Tradition ihrer Gründungsphase anknüpfen, "gesellschaftliche Bedürfnisse, Fragen, Ängste aufzunehmen, sich nicht bange machen lassen, und dann diesen Protest mit der Maßlosigkeit des Optimismus in eine konstruktive Politik" zu verwandeln.

"Linke Politik des letzten Jahrtausends ist keine linke Politik"

Es wird mit Blick auf die Krisen dieser Welt und auf den Zustand von Europa eben auch an uns liegen, ob eine linksliberale Politik einen Ort hat, Verantwortung findet, und eine Zukunft hat.

Robert Habeck

Was heißt für Habeck linksliberale Politik?

"Linksliberale Politik bedeutet, nach den Strukturen der Probleme zu fragen." "Links hat heute keinen politischen Ort." Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Kluft zwischen Menschen und Systemen, angesichts schamlosen Reichtums, und unsichtbarer wie sichtbarer Armut sei die linke Politik des letzten Jahrtausends keine linke Politik.

Wir brauchen also - und das ist unstrittig - Umverteilung. Eine härte Besteuerung von Kapital und von Vermögen. Und zwar nicht, weil wir nicht gönnen können. Sondern weil wir nicht wollen, dass sich Menschen an den Rändern verabschieden und andere nach oben verabschieden. Aber da können wir nicht stehenbleiben.

Robert Habeck

Unter den Bedingungen eines postmodernen Kapitalismus der "alles: das Privateste, Arbeit, Zeit, Glück, Intimität, Lebenszufriedenheit in Wert setzt und dieses in-Wert-setzen ausquetscht, auswringt", müssten die Grünen ihr Verständnis von Kapital, Arbeit und Freiheit weiter fassen und neu denken und in eine konstruktive Politik verwandeln. Habeck setzt auf die Ordnungsfunktion des Staates, die Differenz zur Gesellschaft.

Wir müssen Garantiesysteme entwickeln, die Humanität schützen, Kreativität schützen, die Freiheit, die Lebenszufriedenheit die Familie, Arbeit, Glück verteidigen; der Durchökonomisierung des Privaten eine Grenze setzen.

Robert Habeck