Die russischen Streitkräfte machen Boden gut

Panzer vor ukrainischer Landkarte

Russische Streitkräfte rücken langsam und methodisch in der Ukraine vor. Dieser fehlt es an Waffen und Soldaten. Welche Konsequenzen zieht Moskau daraus?

Die russischen Streitkräfte sind weiter auf dem Vormarsch. In den letzten Tagen konzentrierten sich die Kämpfe vor allem auf den Raum Donezk. Dort ist es der russischen Armee gelungen, Nowomychajliwka einzunehmen. Die Kämpfe um das Dorf dauern seit Monaten an. Russische Einheiten konnten sich hier im südöstlichsten Zipfel festsetzen und arbeiten sich von dort buchstäblich Meter für Meter vor.

Die ukrainischen Streitkräfte halten wohl noch eine Handvoll Häuser im westlichsten Zipfel des Dorfes. Nowomychajliwka wird deshalb von der ukrainischen Armee erbittert verteidigt, weil über das westlich gelegene Dorf Kostyantynivka die Versorgung der Bergbaustadt Wuhledar erfolgt.

Diese Kleinstadt ist eine sogenannte "Siedlung städtischen Typs" und hatte in ihren besten Zeiten über 20.000 Einwohner. Charakteristisch für Wuhledar ist die ‒ trotz der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl ‒ verdichtete, stadtähnliche Bebauung mit Chruschtschowka-Plattenbauten, die einen guten Schutz vor Angriffen bieten. Seit 2022 ist die Stadt umkämpft und wurde aufgrund ihrer massiven Bauweise von ukrainischen Spezialisten zu einer Festung ausgebaut.

Erbitterte Kämpfe

Mehrere Angriffe der russischen Streitkräfte scheiterten, die bisher intensivsten Kämpfe um die Bergbaustadt fanden Anfang letzten Jahres statt. Wuhledar ist der Eckpfeiler der ukrainischen Front, wo der Südabschnitt auf den Ostabschnitt trifft. Fällt Wuhledar, ist mit einer Frontbegradigung zu rechnen.

Anstatt die Siedlung frontal anzugreifen, nutzen die russischen Streitkräfte die für die Verteidiger ungünstige Versorgungslage Wuhledars aus: Das Städtchen verfügt nur noch über eine einzige befestigte Straße; die Verbindung nach Süden ist abgeschnitten. Der Nachschub erfolgt über die O0532 nach Nordosten über das bereits erwähnte Dorf Kostyantynivka.

Damit befindet sich die Festung Wuhledar in einer ähnlich schlechten Versorgungslage wie damals Awdijiwka. Und genau hier setzt die russische Armee an. Ziel ist es, Kostyantynivka einzunehmen und damit die Versorgungslinie nach Wuhledar vollständig zu unterbrechen. Übrig blieben dann nur noch unbefestigte Feldwege, über die die Aufrechterhaltung der militärischen Logistik schwierig wäre.

Verschiedene russische Angriffspunkte

Ein weiterer Schwerpunkt der Kämpfe im Raum Donesk ist die Wuhledar ähnliche Kleinstadt Krasnohoriwka. Im Gegensatz zu Wuhledar gibt es hier nur jedoch wenige mehrstöckige Plattenbauten, die leicht zu verteidigen wären.

Die russischen Streitkräfte konnten hier den südlichen Teil der Kleinstadt einnehmen und haben mittlerweile die Bahngleise überquert. Ein Verlust von Krasnohoriwka würde wahrscheinlich eine Frontverschiebung von mindestens fünf Kilometern auf einer Länge von wahrscheinlich ebenfalls mindestens fünf Kilometern nach sich ziehen.

Seit Wochen versuchen die russischen Streitkräfte das Dorf Berdychi einzunehmen. Dieses liegt auf einer Anhöhe westlich der Kokerei von Awdijiwka. Hier gelang es den russischen Streitkräften zwar, die ukrainische Armee zwischenzeitlich aus dem Dorf zu vertreiben, aber durch einen Gegenangriff ist die westlichste Straße auf dem Hügel um den Friedhof wieder in ukrainischer Hand.

Von Bachmut nach Tschassiw Jar

Um das weiter nördlich gelegene größere Dorf Otscheretyne wird seit einigen Tagen ebenfalls gekämpft. Von der östlich des Dorfes im Gleisschenkel gelegenen Datschensiedlung konnten russische Kräfte den südöstlichen Dorfteil besetzen, aber bisher nicht die Gleise nach Norden überschreiten. Aber in Otscheretyne konnten russische Spitzen das Bahnhofsgelände erreichen. Dieser spielte in der Schlacht um Awdijiwka eine wichtige Rolle für den Nachschub.

Einige Kilometer weiter östlich versuchen russische Spitzen eine Zangenbewegung, die das Dorf Novokalynove bedroht.

Im Raum Bachmut dringen russische Truppen weiter in Richtung der strategisch wichtigen Stadt Tschassiw Jar vor. Diese liegt auf einem Hügel und dominiert das umliegende Gebiet. Tschassiw Jar ist ebenfalls eine Siedlung städtischen Typs und aufgrund der dichten Bebauung für die Verteidigung gut geeignet. Gegenwärtig führen russische Verbände hier vor allem Flankensicherungen in Vorbereitung der Überquerung des Siwerskyj-Donez-Donbas-Kanals durch.

Rückwärtige ukrainische Stellungen schwach

Einen guten Einblick in den geografischen Verlauf der aktuellen Kampfhandlungen bietet die Karte des Youtube-Kanals des Open-Source-Analysten WeebUnion, eine der zuverlässigeren Quellen im Ukraine-Krieg.

Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen die umkämpften Städte deshalb so vehement, weil der Ausbaustand der rückwärtigen Stellungen nicht dem der vorderen Linien entspricht. Bei einem Verlust der jetzt noch von der ukrainischen Armee gehaltenen Linien kann diese nur auf schwächer ausgebaute Stellungen zurückweichen. Dies könnte zu einem beschleunigten Vormarsch der russischen Truppen und im schlimmsten Fall für die ukrainische Armee zu einem Kaskadeneffekt und dem Zusammenbruch eines ganzen Frontabschnittes führen.

Insgesamt ist es den russischen Streitkräften in den letzten Wochen gelungen, langsam aber stetig vorzurücken und weitere ukrainische Verteidigungsstellungen zu überwinden. Ermöglicht wurde dies vor allem durch den massiven Einsatz von Gleitbomben, der vermutlich die Zahl von hundert Stück pro Tag übersteigt.

Massiver Einsatz von Gleitbomben

Hundert Gleitbomben pro Tag bedeuten für die ukrainischen Verteidiger den Verlust von vielen befestigten Stellungen. Denn die Navigation der FAB-Bomben soll in den letzten Wochen deutlich verbessert worden sein, was angeblich eine metergenaue Zielführung ermöglicht.

Fraglich ist, wie sich das neue US-Rüstungspaket auf die Verteidigungsfähigkeit der ukrainischen Armee auswirken wird. Es sieht rund 14 Milliarden Dollar für den Kauf von Waffen für die Ukraine vor.

Dabei ist der Bedarf der Ukraine enorm, um auch nur eine elementare Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten zu können. Eine Rückeroberung der an die russischen Streitkräfte verlorenen Gebiete ist jedoch auch mit dem neuen Waffenpaket völlig undenkbar. Denn die Verluste an Menschen und Material sind enorm.

Russische Luftüberlegenheit

Dies ist nicht zuletzt auf die teilweise absolute Luftüberlegenheit der russischen Luftwaffe zurückzuführen. So zeigt ein aktuelles Video zwei russische Erdkampfflugzeuge vom Typ SU-25 in ihrer Rolle als Luftnahunterstützung für Bodentruppen, vermutlich bei Tschassiw Jar. Ungehindert von Flugabwehr fliegen die beiden Kampfflugzeuge im Tiefflug über ukrainische Stellungen.

Damit scheint die Ukraine derzeit jede Möglichkeit verloren zu haben, auch nur schultergestützte Flugabwehr im Nahbereich einzusetzen, von Flugabwehrbatterien mittlerer und großer Reichweite ganz zu schweigen. Genau hier dürfte das US-Waffenpaket ansetzen. Denn die US-Strategen wissen: Ohne leistungsfähige Flugabwehr bricht die ukrainische Front früher oder später zusammen.

Trotzdem die Ukraine mittlerweile über einen beachtlichen Teil aller Flugabwehrkapazitäten von Nato-Ländern zum Einsatz bringen konnte, ist die Kampfkraft der russischen Luftstreitkräfte nicht geschwächt worden.

Gesteigerte russische Rüstungsanstrengungen

Russland hat die Produktion von Kampfflugzeugen so gesteigert, dass sie die Anzahl der verlorenen Einheiten vermutlich zumindest kompensiert. Hinzu kommt, dass durch die stark gestiegene Zahl der Einsätze die Kampferfahrung und damit auch der Ausbildungsstand der russischen Piloten deutlich gesteigert werden konnte. Keine andere Luftwaffe der Welt fliegt derzeit auch nur annähernd so viele Kampfeinsätze.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die russischen Streitkräfte die kritische Infrastruktur der Ukraine im Hinterland bis fast an die Grenze zu Polen angreifen.

Es wird davon ausgegangen, dass die USA derzeit etwa 500 Patriot-Flugabwehrraketen pro Jahr produzieren können. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine ganze Jahresproduktion in die Ukraine gesendet werden kann, da die USA potenziell weltweit operieren, z.B. aktuell im Jemen. Zudem hat der Vergeltungsschlag der iranischen Streitkräfte gegen Israel den großen Bedarf an moderner Luftverteidigung im Nahen Osten aufgezeigt, der ebenfalls zu einem nennenswerten Teil aus den USA kommen dürfte.

Die russische Rüstungsindustrie stellt jedoch nicht nur mehr Kampfflugzeuge her, sondern hat auch die Produktion von ballistischen Raketen und Marschflugkörpern auf vermutlich deutlich über 200 Stück pro Monat gesteigert.

Nato kann ukrainischen Bedarf nicht decken

Zudem scheinen die russischen Streitkräfte in den letzten Jahren eine bedeutende Anzahl von ukrainischen Flugabwehr-Startgeräten und -Radaranlagen außer Gefecht gesetzt zu haben. Wahrscheinlich wird es der russischen Armee auch in Zukunft gelingen, ukrainische Startgeräte zu bekämpfen und damit den Gesamtbestand der nur schwer ersetzbaren modernen Nato-Luftabwehr weiter zu reduzieren.

Die Nato-Lieferungen an die Ukraine im Bereich der Flugabwehr, einschließlich der schultergestützten Nahbereichssysteme, waren erheblich. Es ist davon auszugehen, dass es den Nato-Staaten kurzfristig nicht gelingen wird, den Bedarf der ukrainischen Streitkräfte zu decken, sodass in einem Zeitfenster von bis zu zwei Jahren nicht mit einer ausreichenden Verbesserung der Situation im Bereich der Luftverteidigung zu rechnen ist.

Im Klartext bedeutet dies, dass weder eine ausreichende Abwehr russischer Raketenangriffe auf die Infrastruktur der Ukraine noch eine Abwehr von Gleitbombeneinsätzen möglich sein wird. Damit wird es den russischen Streitkräften möglich bleiben, ukrainischen Verteidigungsstellungen zu neutralisieren und weiter vorzurücken.

Panzer durch Drohneneinsätze gefährdet

Kurzfristig verfügbar wären ‒ aufgrund der vergleichsweise geringen Fertigungskapazitäten ‒ der Nato-Staaten wahrscheinlich lediglich gepanzerte Fahrzeuge und ballistische Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS.

Die USA besitzen einen größeren Bestand an eingelagerten Bradley-Schützenpanzern (2.000 Stück) und Abrams-Kampfpanzern (3.450 Stück). Auch diese wären kurzfristig nicht verfügbar, sondern müssten von der Industrie modernisiert werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass gewisse Stückzahlen relativ kurzfristig an die ukrainischen Streitkräfte übergeben werden können, insbesondere wenn zunächst aktive gepanzerte Fahrzeuge aus Armeebeständen geliefert werden.

Der Einsatz gepanzerter Fahrzeuge ohne ausreichende Luftunterstützung ist jedoch mit hohen Verlusten verbunden und nur bedingt effektiv. Zudem wird die Panzerwaffe durch die vielfach eingesetzte FPV-Drohne existenziell herausgefordert.

Von den ATACMS-Raketen verfügen die USA vermutlich über knapp 3000 Stück. Diese haben eine größere Reichweite als die russischen Gleitbomben und können daher ein breiteres Einsatzspektrum abdecken. ATACMS werden wahrscheinlich nicht direkt an der Front eingesetzt, sondern eher zur Bekämpfung militärischer Ziele im Hinterland der russischen Armee, wo sie den Nachschub empfindlich stören könnten. Sie kosten mit bis zu 1,7 Millionen Dollar pro Stück jedoch ein Vielfaches der russischen Gleitbomben.

Auch mittelfristig nur geringe Rüstungsproduktion in den Nato-Ländern

Wenn man davon ausgeht, dass die USA etwa 3.000 ATACMS im Gesamtbestand haben, und diese sie komplett an Kiew übergeben, so entspricht das nicht einmal der Sprengkopf-Nutzlast, die die russischen Streitkräfte mit den Gleitbomben in nur einem Monat zum Einsatz gegen die Ukraine bringen.

Dabei kommt es nicht nur auf die Höhe der bereitgestellten Mittel an. Wichtiger sind die aktuell vorhandenen Produktionskapazitäten. Und da stehen die Nato-Staaten erheblich unter Druck. Die Ukraine wird das zur Verfügung gestellte Geld deshalb kurzfristig wahrscheinlich einfach nicht ausgeben können, da es nur wenig taugliche und dazu noch völlig überteuerte Waffen gibt.

Kurzfristig wird die Ukraine wahrscheinlich eine gewisse Menge an Artilleriegeschossen erhalten. Aber auch hier ist die russische Produktionskapazität deutlich höher als die aller Nato-Länder zusammengenommen. Ein großer Teil der Lagerbestände der Nato ist bereits in die Ukraine exportiert worden. Daher wird es im Bereich der Artillerie bei einem Ungleichgewicht zulasten der Ukraine bleiben. Dieses wird derzeit auf mindestens 1:5 geschätzt, was sich vermutlich in entsprechend höheren Verlusten niederschlagen wird.

Personelle Probleme der Ukraine kaum lösbar

Folglich stellt sich die personelle Situation für die Ukraine weiterhin und zunehmend als kaum lösbar dar. Zwar ist gerade ein neues Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten, aber angesichts der anhaltend hohen Verluste aufseiten der ukrainischen Streitkräfte wird es immer schwieriger, junge Menschen zum Kriegsdienst zu zwingen.

Es ist davon auszugehen, dass die ukrainischen Streitkräfte trotz zunehmend gewaltsamer Rekrutierungsversuche derzeit nicht in der Lage sind, auch nur die eigenen Verluste auszugleichen.

Es gab und gibt keinen militärischen Pfad, auf dem die Ukraine einen Krieg gegen Russland gewinnen könnte. Selbst mit 14 Milliarden Dollar für neue Waffen wird es den ukrainischen Streitkräften nicht gelingen, kurzfristig die dringend benötigten Waffen zu bekommen, um die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten, denn die Nato-Staaten haben sie schlicht nicht im Angebot.

Russland strebt die Kapitulation Kiews an

Auch die Hoffnung der Nato, durch weitere militärische Unterstützung der Ukraine zumindest einen Waffenstillstand mit Russland zu ermöglichen und so einen an der Nato orientierten ukrainischen Staat zu retten, könnte sich als Wunschdenken erweisen.

Russland wird angesichts der kompromisslosen Haltung der Nato gegenüber seinen eigenen Sicherheitsinteressen nichts weniger als eine Kapitulation Kiews akzeptieren. Das Zeitfenster für Verhandlungen hat sich bereits vor Monaten geschlossen. Jetzt kann nur noch über die Form der Kapitulation verhandelt werden.

Mehr Waffen bedeuten nicht ein Mehr an Sicherheit im europäischen Haus, genauso wenig wie die jetzige Waffenlieferung Menschenleben retten wird, wie jetzt von ukrainischer Seite behauptet wird. Nur Verhandlungsbereitschaft mit dem Ziel gemeinsamer Abrüstung kann ein Weg zurück in ein friedliches Europa sein.